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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 1.1909

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5. Heft
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Kern, Guido Josef: Zur Berliner Pieta Böcklins
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https://doi.org/10.11588/diglit.24117#0173

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Zur Berliner Pieta Böcklins

159

Der Pieta der Nationalgalerie malerisch überlegen, teilt die Studie mit ihr die
Schwächen der Komposition. Wir wollen ihre Entstehung verfolgen. Erinnern wir
uns der Schilderung, die uns Schick von seinem Spaziergang mit Böcklin und der im
Anschlüsse an die Wanderung entstandenen Skizzen Böcklins entwirft, so offenbart
sich auf den ersten Blick ein Zusammenhang zwischen ihr und den künstlerischen
Erlebnissen jenes Abends. Es wird klar: Der geöffnete strahlende Himmel ging in
der Phantasie des Künstlers aus dem malerischen Anblick der Lampenreflexe hervor,
die „oben an den Häusern“ mit der Dämmerung in den Straßen kämpften. Die
Engel sind mit der Idee des Himmels aus dem malerischen Reiz des
Lichtes geboren. Als Bewohner des „Himmels“ treten zunächst, bezeichnender-
weise, nur Putten auf. Die Kohlenstudie aus dem Besitz des Freiherrn von Heyl-
Darmstadt kennt gar nicht den „großen“ Engel. Er entsteht aus einer Anwandlung
des Künstlers, eine innigere, innere wie äußere Beziehung zwischen dem Himmel und
der Madonna herzustellen. Das Licht verleugnet nun seinen irdischen malerischen Ur-
sprung: es wird zum Symbol der Erleuchtung. „In die dunkle Verzweiflung soll
Licht und Trost kommen.“1) Noch 1877 steht das Licht an erster Stelle. Die Aus-
führung der Idee mißlang. Die Komposition der unteren Gruppe, für sich erdacht,
setzte sich gegen eine Erweiterung zur Wehr. Maria, in unendlichem Schmerz,
mit verhülltem Haupt, über die Leiche des Sohnes gebeugt, nimmt die Teilnahme
der Engel nicht einmal wahr. Versuchsweise beseitigt Böcklin die Putten1) und läßt
Gabriel „mit einem Symbol des Trostes“ kommen.1) Es sah „trostlos konventionell“1)
aus: „Mitten in Herzempfindungen“, klagt der Meister, „drängt sich ein fremdes
Element, die Einheit ist gestört, die Wirkung aufgehoben . . . Rein menschlich ge-
dacht, was tut der Engel hier? Das ist eine Personifikation des Trostes und die
müßte ihm schriftlich beigefügt werden.“1) Böcklin fand aus den Widersprüchen
keinen Ausweg und so besteht seine eigene Kritik über das Werk heute wie damals
zu Recht. Als historisches Dokument ist es von unschätzbarem Wert, denn nie hat
bei Böcklin der Kampf der Idee mit der sinnlichen Anschauung die Seele des Künstlers
entschleiert wie in diesem Bilde.

h Brief an Jordan.
 
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