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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 1.1909

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9. Heft
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Trenkwald, Hermann von: Ein Tafelaufsatz von J. J. Kändler
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https://doi.org/10.11588/diglit.24117#0296

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280

Der Cicerone

Heft 9

erhaltenen Kuperstichen1) vom Jahre 1771 wiedergegeben, wird ausdrücklich als ein
Werk J. J. Kändlers bezeichnet. Es ist eine Arbeit von noch gewaltigerer Anlage als
der Frankfurter Aufsatz und völlig in Rokokoformen gehalten. Vier übereck gestellte
Pfeiler tragen ein geschweiftes Kuppelgewölbe, darüber erhebt sich eine ähnlich aus-
gestaltete Laterne, die von einer durchbrochenen Zierkuppel mit Obelisk bekrönt ist.
An diesen Kernbau schließen sich zwei seitliche Bauglieder an, vor welche lang-
gestreckte Postamente gestellt sind. Reicher figuraler Schmuck verbindet sich mit dieser
Architektur. Börner führt dann noch einen „weißen Tempel“ an, der zur Verherr-
lichung eines Herrschers bestimmt gewesen. Er ist ein architektonisch durchgegliederter
quadratischer Portalbau mit allegorischen Figuren und läßt sich ebenfalls mit Kandier
in sichere Verbindung bringen.2) Ein dritter „bunt gemalter Tempel“ weist vier auf
runder Platte im Kreise aufgestellte gekuppelte, mit Ranken umwundene Säulen auf,
die einen Gebälkring tragen. Putten bekrönen das Gebälk. Alle diese Arbeiten, von
denen der Ehrentempel und der weiße Tempel ausdrücklich als nur einmal angefertigt
bezeichnet werden, sind verschollen. Nur vom Ehrentempel haben sich Wiederholungen
zweier Teilstücke im Dresdener Kunstgewerbemuseum erhalten.

Auch der Frankfurter Tempel ist eine Arbeit Kändlers. Am Figürlichen ist un-
schwer der Stil des Künstlers zu erkennen. Im Einzelnen zeigen sich stilistische Unter-
schiede, wie sie im Schaffen Kändlers überhaupt zutage treten. Die vier Jahreszeiten
offenbaren in ihrer kraftvollen Durchbildung und lebhaften Bewegung den engen
Zusammenhang des Meißener Modellmeisters mit der Barockkunst. Auch die Sockel
dieser Putten, mit Goldornamenten geziert, sind reine Barocksockel und die Bemalung
der Figürchen mit kräftigen Farben auf größeren Flächen entspricht ebenfalls der frühen
Zeit. Die kleinen kartuschenhaltenden Putten dagegen sowie die Mittelgruppe ge-
hören einer zweiten Periode des künstlerischen Schaffens Kändlers an, in welcher er,
vom Rokoko beeinflußt, größere Grazie anstrebte. Man braucht aber bloß die Figur
des heranschreitenden Amor mit dem Kronos am Grabdenkmal Kändlers für Frau
Maria Schlegel in Meißen oder mit dem Genius am Sockel der Porzellanfigur des
hl. Wenzeslaus zu vergleichen, um der Autorschaft des Künstlers auch bei dieser
Gruppe sicher zu sein. Der Sockel des Mittelstücks trägt Rokokoformen.

Die Modelle der vier Jahreszeiten sind identisch mit denen vom Jahre 17413),
während das ganze Werk mit Rücksicht auf die Verwendung von Rokokoformen in
die Zeit um 1750 zu setzen ist. Auch bei anderen Arbeiten Kändlers läßt sich die
Verwertung früherer Modelle nachweisen. Übrigens wurden solche Aufsätze offenbar
auf Bestellung zu bestimmten Zwecken zusammengestellt, beziehungsweise durch Zu-
taten erweitert. Das Verzeichnis der Brühlschen Konditorei enthält außer den erwähnten
Tempeln allerhand Gesimse, Schilder, Vasen, Postamente, Säulen und Kapitäle. Die
freie Verwendbarkeit solcher Aufsätze ist auch in der dem Ehrentempel des Börnerschen

>) Äbb. bei Sponsel „Kabinettstücke der Meißener Pqrzellanmanufaktur von J. J. Kandier“,
pag. 215—217. Leipzig 1900, Verlag Klinkhardt & Biermann. Der Holzsockel des Frankfurter
Tempels ist nach der GrundriBzeidmung des Ehrentempels ergänzt.

'-) Vgl. Sponsel a. a. 0. pag. 225.

“) Vgl. Sponsel a. a. 0. pag. 136.
 
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