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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 1.1909

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Ausstellungen

299

bekommt, als von dem Berliner Max Pech-
stein, aus dessen Gauguintollen Farbenorgien
der ganze Ekel schlechter Digestion zu uns
spricht. Emil Orlik ist der Gegenpol zu
diesem Westeuropäer, der seine Äktphantasie
in Haremsszenen austoben muß: Orlik bemüht
sich das Seidenweiche des Fleisches, das Duftige
weiblicher Formen zu schildern; daß er dabei
in das allzu Glatte verfällt, läßt sich nicht leug-
nen, aber wichtiger scheint mir zu betonen, daß
nicht eben viele der Heutigen eine ähnliche
Delikatesse, einen ähnlichen fein erzogenen
Geschmack besitzen.

Stilleben und Interieur. Es ist eine vor-
treffliche ältere Ärbeit da, die den Neuesten
eine unbequeme Konkurrenz sein muß, Trüb-
ners Rosen und Apfelsinen auf graubraun und
grau, in der bekannten frühem Art des Künst-
lers. Unter den Jüngern ist wohl nur Curt
Hermann als in seiner Art ebenbürtig zu
nennen; mit seiner pointillistischen Methode ist
er freilich schon heute ein Zeuge versunkener
Pracht, aber die Sicherheit und Feinheit des
Aufbaues, die Leuchtkraft der Töne machen
ihm „die um Cezanne“ (Weiß, Pechstein u. a.)
nicht nach. Vortrefflich in der Art des jüngern
Berliner Impressionismus sind die Stilleben der
Breyer,Kardorff, Oppenheimer, Mosson;
der erste fesselt mit einem „Silber“-Stilleben
in Schwarz, Weiß und Grün, die übrigen haben
meist Blumen zum Vorwurf genommen. Oppen-
heimers „Orientalisches Porzellan“ steht schon
auf der Linie, die zur Innendarstellung hinüber-
leitet; es ist kein arrangiertes „Stilleben“, son-
dern eine beliebige Zimmerecke, der die direkt
einfallenden Sonnenstrahlen Wärme und Bild-
mäßigkeit geben.

Das beste Interieur der Ausstellung ist eine
Zimmerwand von Arthur Segal; zusammen
mit Hermanns Fruchtstilleben beweist dies im
Format unscheinbare Bild mit seiner eminenten
Wirkung auf die Ferne, daß der Neoimpressio-
nismus für eine bestimmte Gattung noch nicht
tot ist. Man denkt bei der verträumten Art
Segals an den Dänen Hammershoi, der mit den
Mitteln einer älteren Generation sozusagen
musikalische Stimmungen aus einer einfachen
Stubenwand herauszufühlen verstand. Robuster,
norddeutsch — unsensitiv sind Heinrich Hüb-
ners Innenräume. Der heuer ausgestellte „Än-
tiquitätenschrank“ bietet ein ungewöhnlich gün-
stiges Beispiel. Die weißen Wände, das helle
Licht, die aufgestellten Blumensträuße und der
behagliche Barockschrank mit den großen Glas-
scheiben: sie sorgen für eine aufgeräumte, mun-
tere Stimmung, wie man sie gelegentlich in den
Bürgerhäusern ostelbischer Hansestädte findet.

Landschaft und Straßenbilder. Die
Landschafter der Berliner Sezession betrauerten
im Vorjahre des Jubiläums den Heimgang des
Besten unter ihnen, Walter Leistikow; in
einem eigenen Raume ist ihm nun eine Ge-
dächtnisausstellung hergerichtet, die einesteils
seine Kunst in vorzüglichen Beispielen vorführt,
ohne andrerseits über die engen Grenzen seiner
Begabung hinwegzutäuschen. Berlin als Mittel-
punkt einer Landschafterschule ist eben nach
Lage der Dinge eine Unmöglichkeit, Leistikows
Kunst scheint bereits das Höchste zu bezeichnen,
was aus dem dürren Boden der Mark heraus-
zuholen ist. Charakteristisch für Berlin bleibt
darum, daß vielfach das Abstoßendste, das sich
denken läßt, die durch einzelne häßliche Miets-
häuser unterbrochene unmittelbare Großstadt-
umgebung, zur bildlichen Darstellung gelangt,
so in diesem Jahre besonders durch Franz
Heckendorf. Gleichwohl fehlt es bei den
Jüngeren nicht an tüchtigen Versuchen der nord-
deutschen Landschaft malerisch beizukommen.
Sehr respektgebietend ist diesmal Ulrich Hüb-
ner, der die atmosphärischen Stimmungen an
der Ostseeküste fein und koloristisch frisch
herausholt; breiter und malerischer zeigt sich
Waldemar Rösler in einer Küstenlandschaft,
deren Motiv aus Rügen stammen könnte.
Th. von Brockhusen landschaftert, wie es
scheint, hauptsächlich in der Umgebung Berlins;
ihn wie den in Holland heimischen Fritz Rhein
besprachen wir hier schon vor kurzem.

Fritz vonUhde variiert seit einigen Jahren
das Thema seiner drei Töchter im sonnen-
beschienenen Garten. Auch heuer stellt er zwei
Bilder der Art aus, die qualitativ sehr hoch
stehen. Einem anderen würde diese Selbstwieder-
holung gefährlich werden, bei Uhde ist sie,
ganz ähnlich wie in Monets Ansichten der
London Bridge, der selbstgewählte Rahmen,
innerhalb dessen der Künstler sich stets neue
Probleme stellt. Was an diesen Bildern haupt-
sächlich interessiert, der Bewegungsinhalt, ist
recht eigentlich eine Aufgabe der modernen
Kunst seit etwa 1870. Wir kennen die Gattung
in Deutschland namentlich seit Max Lieber-
manns Vorgänge, der selber diesmal ein der-
artiges Gemälde ausstellt, „Judenviertel in Am-
sterdam“, das die lllussion der Bewegung außer-
ordentlich treffend gibt. Die Momentphotographie
hat sehr dazu beigetragen, uns zu lehren, was
Zufälligkeit und Ungezwungenheit der Be-
wegungen sei; ältere Schemata, die teils den
italienischen Gruppierungskünstlern, teils den
holländischen Genremalern ihr Dasein ver-
dankten, wurden für das moderne Gefühl un-
brauchbar; wo heute noch Reste davon zu finden
 
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