Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 1.1909
Cite this page
Please cite this page by using the following URL/DOI:
https://doi.org/10.11588/diglit.24117#0330
DOI issue:
10. Heft
DOI article:Tietze, Hans: Bilder aus Wiener Privatbesitz: I. Tizians Mater dolorosa
DOI Page / Citation link:https://doi.org/10.11588/diglit.24117#0330
314
Der Cicerone
Heft 10
Mater dolorosa
Sammlung Carvallo, Paris
theoretisch etwa Beweisbare sofort über den Haufen würfe. Denn bei allen vortreff-
lichen Qualitäten, die das Pariser Bild besitzt, bei all seiner Ännäherung an die tech-
nische Behandlung der Spätwerke Tizians, fehlt jener herbe Reiz der unmittelbaren
Konzeption, jenes Ällerpersönlichste der Empfindung der Madrider Madonna, in deren
schmerzvollen Mienen und Geberden sich nach Tizians Ausdruck in dem Brief vom
10. September 1554 seine eigenen Leiden wiederspiegeln (Crowe und Cavalcaselle,
Tizian, 555). In dem Pariser Bild ist dieser Schmerz abgedämpft, allgemeiner geworden,
die Herbheit jedes Zuges abgerundet; mit einem Wort, es fehlt ihm die Überzeugungs-
kraft des ersten Wurfes, der Adelsbrief der eigenhändigen Schöpfung, während ihm
Der Cicerone
Heft 10
Mater dolorosa
Sammlung Carvallo, Paris
theoretisch etwa Beweisbare sofort über den Haufen würfe. Denn bei allen vortreff-
lichen Qualitäten, die das Pariser Bild besitzt, bei all seiner Ännäherung an die tech-
nische Behandlung der Spätwerke Tizians, fehlt jener herbe Reiz der unmittelbaren
Konzeption, jenes Ällerpersönlichste der Empfindung der Madrider Madonna, in deren
schmerzvollen Mienen und Geberden sich nach Tizians Ausdruck in dem Brief vom
10. September 1554 seine eigenen Leiden wiederspiegeln (Crowe und Cavalcaselle,
Tizian, 555). In dem Pariser Bild ist dieser Schmerz abgedämpft, allgemeiner geworden,
die Herbheit jedes Zuges abgerundet; mit einem Wort, es fehlt ihm die Überzeugungs-
kraft des ersten Wurfes, der Adelsbrief der eigenhändigen Schöpfung, während ihm