Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 1.1909
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https://doi.org/10.11588/diglit.24117#0396
DOI Heft:
12. Heft
DOI Artikel:Brosch, L.: Fra Vittore Ghislandi
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Der Cicerone
Heft 12
weichen, tiefen Samt, Spitzengarnituren malt. Freudig blickt der Meister als wohl-
erzogener Weltmann in die uns jetzt heiter dünkende Umgebung, ohne dabei doch
hier und dort einer gewissen Flauheit seines malerischen Gestaltens Herr zu werden.
Plötzlich aber wird er gewaltig farbenglühend, breit und flott im Pinselstrich. Er er-
innert an die Neapolitaner, an die Spanier und in der Behandlung der Draperien auch
an Tiepolo. Seine Porträts sind charakte-
risiert durch ungezwungene Haltung, durch
die Weichheit der Konturen, durch einen
sanften, natürlichen Blick der Dargestellten;
seine Köpfe heben sich wirksam im Halb-
dunkel vom Hintergründe ab — vor allem,
die Hände besitzen Charakter. Er selbst
sagte: Man könne die Natur nie treu nach-
ahmen, ohne sie direkt unabläßlich zu stu-
dieren. Ein guter Grundsatz! Indes unter-
lag auch Ghislandi, der ein Schnellmaler
war, wie so viele Künstler, dem Manieris-
mus: seine Gestalten haben meist den-
selben Mund, große Äugen, etwas hoch-
stehende Ohren und scheinen immer die
gleichen Stimmen zu besitzen. In Knaben-
porträts hat er wirklich Meisterhaftes geleistet,
schwächer hingegen, doch mit Unterschied,
sind seine Damenbildnisse.
Begeben wir uns nach Bergamo in
die Galerie Carrara. Hier erblicken wir
das Porträt einer alten Frau in schwarzem
Kleide mit weißem Spitzenaufsatz, etwas
bräunlich im Teint und mit vollem Pinsel
ausdrucksvoll modelliert (Äbb. 1).
Nr. 91 des Katalogs: Ein Knabe vor
hellem, braunem Hintergründe; der im
Ausdruck sehr lebhafte Kopf erinnert nicht
in der Malweise, sondern im Typus an
Murillo. Das weiße Hemd schillert brillant
unter der roten Weste und dem hellbraunen
Kreidestift, auf einem Tisch befinden sidi
Äbb. 3. V. GHISLÄNDI,
mannes
Porträt eines Edel-
Galerie Carrara
Oberrock hervor. Die Rechte hält einen
Äpfel und ein Brot (Äbb. 2).
Nr. 96: Die Vollfigur eines Edelmannes in natürlicher Größe auf tief samtrotem
Hintergründe, mit außerordentlich locker gemalter, weißer Perriicke. Der alte, schwarz
gekleidete Herr blickt etwas streng. Die Gesichtspartien sind sehr flüssig und weich
modelliert und überaus fein im Ton gelungen (Äbb. 3).
Nr. 94: Ovalporträt einer Magistratsperson, dreiviertel Ansicht, mit roter Stuhl-
Der Cicerone
Heft 12
weichen, tiefen Samt, Spitzengarnituren malt. Freudig blickt der Meister als wohl-
erzogener Weltmann in die uns jetzt heiter dünkende Umgebung, ohne dabei doch
hier und dort einer gewissen Flauheit seines malerischen Gestaltens Herr zu werden.
Plötzlich aber wird er gewaltig farbenglühend, breit und flott im Pinselstrich. Er er-
innert an die Neapolitaner, an die Spanier und in der Behandlung der Draperien auch
an Tiepolo. Seine Porträts sind charakte-
risiert durch ungezwungene Haltung, durch
die Weichheit der Konturen, durch einen
sanften, natürlichen Blick der Dargestellten;
seine Köpfe heben sich wirksam im Halb-
dunkel vom Hintergründe ab — vor allem,
die Hände besitzen Charakter. Er selbst
sagte: Man könne die Natur nie treu nach-
ahmen, ohne sie direkt unabläßlich zu stu-
dieren. Ein guter Grundsatz! Indes unter-
lag auch Ghislandi, der ein Schnellmaler
war, wie so viele Künstler, dem Manieris-
mus: seine Gestalten haben meist den-
selben Mund, große Äugen, etwas hoch-
stehende Ohren und scheinen immer die
gleichen Stimmen zu besitzen. In Knaben-
porträts hat er wirklich Meisterhaftes geleistet,
schwächer hingegen, doch mit Unterschied,
sind seine Damenbildnisse.
Begeben wir uns nach Bergamo in
die Galerie Carrara. Hier erblicken wir
das Porträt einer alten Frau in schwarzem
Kleide mit weißem Spitzenaufsatz, etwas
bräunlich im Teint und mit vollem Pinsel
ausdrucksvoll modelliert (Äbb. 1).
Nr. 91 des Katalogs: Ein Knabe vor
hellem, braunem Hintergründe; der im
Ausdruck sehr lebhafte Kopf erinnert nicht
in der Malweise, sondern im Typus an
Murillo. Das weiße Hemd schillert brillant
unter der roten Weste und dem hellbraunen
Kreidestift, auf einem Tisch befinden sidi
Äbb. 3. V. GHISLÄNDI,
mannes
Porträt eines Edel-
Galerie Carrara
Oberrock hervor. Die Rechte hält einen
Äpfel und ein Brot (Äbb. 2).
Nr. 96: Die Vollfigur eines Edelmannes in natürlicher Größe auf tief samtrotem
Hintergründe, mit außerordentlich locker gemalter, weißer Perriicke. Der alte, schwarz
gekleidete Herr blickt etwas streng. Die Gesichtspartien sind sehr flüssig und weich
modelliert und überaus fein im Ton gelungen (Äbb. 3).
Nr. 94: Ovalporträt einer Magistratsperson, dreiviertel Ansicht, mit roter Stuhl-