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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 1.1909

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12. Heft
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Brosch, L.: Fra Vittore Ghislandi
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https://doi.org/10.11588/diglit.24117#0400

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384

Der Cicerone

Heft 12

Lichtern. Ein zweites Bildnis, mit der üblichen rotblauen Drapierung stellt einen jungen
Künstler dar. — In der Brera sieht man das Porträt eines Malers en fape, in schönem
Halbdunkel, ferner ein zweites Malerbildnis, das zwar ein wenig barock in der Auf-
fassung ist, an dem jedoch besonders weich die Fleischpartien modelliert sind, und das
sehr apart in der luministischen Anlage ist. — Endlich hat auch die Sammlung Pol di -
Pezzoli einige charakteristische Werke, so Nr. 69, ein sehr weich modelliertes
Priesterbildnis, mit transparenten Übergängen und meisterhaft gezeichneter Hand aus
der ersten Periode des Meisters. Später entstanden ist das Bild eines blonden Knaben
in blauem Rock, das sehr pastös gemalt ist. — Im zweiten Stock der Galerie befinden
sich noch drei Bildnisse, von denen besonders eines in Oval hervorzuheben ist, das einen
Herrn mit grauem, malerischem Gewand, schwarzem Dreispitz, weißer Perrücke dar-
stellt, kräftiger modelliert und brauner im Ton, der in der ersten malerischen Periode
selten ist. Man wird dieses Porträt deshalb für die Übergangszeit aus der ersten in
die zweite Manier in Anspruch nehmen dürfen, während ein zweites Porträt, das einen
Herrn in pfirsichrotem Oberkleid mit blauem Rock und weißen Spitzenaufschlägen
ebenso sicher der späteren Zeit entstammen dürfte.

Diese kurzen Hinweise mögen vorerst genügen. Sie sollen die Aufmerksamkeit
der Sammler für einen Meister wecken, der ebenso bedeutend als Einzelerscheinung
wie vielsagend im Rahmen der kunstgeschichtlichen Entwicklung ist. Gerade das
letztere soll hier absichtlich vor der Hand nicht näher umschrieben werden; denn es
gibt Bilder dieses Frate Galgario, die so modern anmuten, wie nur irgend ein gutes
Bild von Ragski, Leibi oder Manet. Nicht Was, sondern Wie Ghislandi gemalt hat,
kennzeichnet den springenden Punkt innerhalb der kunstgeschichtlichen Entwicklungs-
frage. Vergleichsmomente liegen wohl nahe — sie sollen hier nicht berührt werden,
aber wenn von der modernen Kultur und der besonderen Lage des Kunstmarktes ein
Rückschluß gezogen werden darf, so ist die Zeit nicht fern, wo man Vittore Ghislandi
als einen der großen Meister des Porträts neu bewerten lernt.
 
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