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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 1.1909

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14. Heft
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Bode, Wilhelm von: Paris und London unter dem Gestirn der amerikanischen Kaufwut
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https://doi.org/10.11588/diglit.24117#0459

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Paris und London unter dem Gestirn der amerikanischen Kaufwut

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Tage die Sammlungen Hainauer in Berlin, Baron Ä. v. Oppenheim in Cöln und
Wencke in Hamburg nach Amerika verkauft wurden, kam die Nachricht darüber nur
beiläufig zwischen den „Sensationsnotizen“ über Raubmord, homosexuellen Schmutz u. dgl.
in die Zeitungen. Die Sammlung Campe ist im letzten Winter aus Hamburg nach
Paris und jetzt nach Amerika gewandert, ohne daß man davon gehört hätte, so
wenig wie s. Z. über die treffliche Guthmannsche Sammlung deutschen Silbers,
die aus Berlin an P. Morgan gekommen ist. Selbst aus Fideikommissen verkauft man
bei uns, scheint's, ganz anstandslos! Ich sah eben bei Baron Edmond Rothschild
Rembrandts schönes großes Porträt der Saskia, das Baron Luckner in Altfranken bei
Dresden im vorigen Jahre verkauft hat. Ich habe es seinem Vater vor wenigen
zwanzig Jahren um 5000 Mark fast aufdrängen müssen, und Professor Hauser hat es
um wenige hundert Mark in seinen jetzigen Zustand gebracht, in dem Ed. Rothschild
den Preis von 450 000 francs dafür zahlte: aber der Eigentümer hielt es nicht einmal der
Mühe wert, uns ein Wort über seine Absicht eines Verkaufs mitzuteilen. Doch bei uns
in Deutschland sind nicht nur die Fideikommißsammlungen, sondern selbst die Kunst-
werke in öffentlichen Besitz nicht mehr sicher. Im vorigen Monat ist in Paris der be-
rühmte Schatz von alten Elfenbeinbildwerken der Kirche von Cranenburg vom Antiquar
Brauer an Herrn P. Morgan verkauft worden, der ihn demnächst im „Morgan-Court“
des neuen Victoria and Albert Museums leihweise ausstellt. Ganz Paris erzählt sidi
die Geschichte der Erwerbung. Ein schlechtes Subjekt, das Herr Brauer dafür gedungen
hatte, fuhr im feinsten Auto beim Pfarrer in Cranenburg vor, präsentierte sich ihm
mit einer gestohlenen oder gefälschten Visitenkarte als Comte de San Gallo aus Paris
und erbat sich gnädigst der armen Kirche aufzuhelfen, indem er aus törichter Sammel-
leidenschaft für den alten Krempel die Riesensumme von 45 000 Mark zu zahlen
bereit sei. Seine Hochehrwürden konnte der Beredsamkeit des „Herrn Grafen“ nicht
widerstehen, obgleich ihm vom Provinzialkonservator der Verkauf streng untersagt
war; der edle „Graf“ hatte- ja eine Empfehlung der „Prinzessin Victoria“ und
wollte die ministerielle Genehmigung bereits erhalten haben. Das Geld wurde bar
erlegt und der Kirchenschatz wanderte mit dem Auto in rasender Geschwindigkeit
über die Grenze! Die Vorgesetzte Behörde wandte sich sofort an den wirklichen
Comte San Gallo in Paris, der nicht wenig erstaunt war über seinen angeblichen Kauf
und durch den dann der Sdiwindel aufgedeckt wurde. Welche Schritte wird man gegen
den Herrn Pfarrer und seinen Kirchenvorstand tun? Glaubt man etwa, daß Mr. Pierpont
Morgan die Elfenbeinskulpturen der Kirche von Cranenburg zurückerstatten wird, wie
s. Z. das Piviale an die Kirche von Ascoli-Piceno? Oder daß sich Herr Brauer und
sein edler „Graf“ Pollak den deutschen Gerichten stellen werden? Bleibt ein solcher
Unfug ungeahndet, so werden unsere herrlichen Kirchenschätze, an denen namentlich
die Rheinprovinz noch so reich ist, bald ebendahin wandern, wohin unsere besten
Privatsammlungen bereits zum guten Teil gewandert sind!
 
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