Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 1.1909
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14. Heft
DOI article:Ausstellungen
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458
Der Ciceronö
Heft 14
LEIPZIG ===,,., - i -
Im ersten Stock des von Stadtbaurat Scha-
renberg mit feinem kunstgeschichtlichen Ver-
ständnis renovierten Alten Rathauses ist
zur Feier des 500jährigen Bestehens der Uni-
versität Leipzig eine Jubiläumsausstellung er-
öffnet worden, die im ganzen rein lokalen
Charakter hat und nur in Einzelheiten das
kunsthistorische Interesse stärker zu fesseln ver-
mag. Das ist vor allem in der Abteilung
„Goethe und Leipzig“ der Fall, durch deren
Anordnung sich Julius Vogel ein besonderes
Verdienst erworben hat. Hier ist sogar das
Interesse mehr kunstgeschichtlich als literar-
historisch. Denn einmal wird man sich doch
wohl entschließen müssen, an Hand dieser
prachtvollen Dokumente (Radierungen und Hand-
zeichnungen; unter den letzeren eine bisher
unbekannte Serie aus dem Goethe-National-
Museum, deren Authentizität allerdings starken
Zweifeln begegnet) Goethes künstlerische Lei-
stungen höher zu bewerten als es bisher ge-
schah, und dann vermitteln die Werke von
Anton Graff in dieser reichen Zusammen-
stellung, die Arbeiten Oesers u. a. m. einen
kulturhistorisch reizvollen Einblick in die Zeit
des Leipziger Studenten Goethe.
Ebenso findet man unter den Professoren-
porträts der Leipziger Alma mater manches
rein künstlerisch bemerkenswerte Stück, so einen
noch unbekannten Perronneau, der gerade
jetzt, wo der lange vergessene Meister wieder
anerkannt ist, fast aktuelles Interesse hat.
Am reichsten ist das alte Kunstgewerbe ver-
treten mit Textilien und prachtvollen Gold-
schmiedearbeiten, wichtig sind jedoch mehr
nach der literarischen Seite hin die illuminierten
Stammbücher, Matrikel u. a.
Das umfangreiche Kapitel „Lipsiensia“, auf
den diese Gelegenheitsausstellung den Haupt-
akzent legt, bedarf an dieser Stelle kaum der
Erwähnung.
8
LONDON -
Leicester Galleries, Leicester Square:
Ausstellung von Werken des bedeutenden Eigen-
brödlers und „Vaters der Prärafaeliten“ Ford
Madox Brown, deren Katalog sein Enkel,
Mr. Ford Madox Hueffer, redigiert hat. Die
Ausstellung enthält u. a. das weitbekannte
„Work“, „Wickliffe on Trial“, „Cromwell on his
Farm“ usw. — Vorher hatte hier eine sehr
interessante Ausstellung des ehrlichen Wahr-
heitssuchers George Clausen, dieses nadi einem
eigenen Stil ringenden Künstlers stattgefunden.
Gutekunst Gallery, King Street, St. Ja-
mes’: Ausstellungen von exquisiten Radierungen
des Schweden Anders Zorn, von dem Gute-
kunst schon früher einigemale bedeutende
Schwarz-weiß-Blätter vorgeführt hatte.
Paterson Gallery, New Bond Street: Aus-
stellung von Handzeichnungen italieni-
scher, französischer, niederländischer
und englischer Meister des XVII., XVIII. und
XIX. Jahrhunderts, darunter Stücke vonBaroccio,
Guardi, Segantini; Fragonard, Gericault, Millet,
Theodore Rosseau, Daumier, Corot; Rembrandt,
Van Goyen, Willem van de Velde; Gains-
borough, Cotman, Crome, Constable, Boning-
ton usw.
Bei Mr. E. M. Hodgkins, 158 B, New Bond
Street, sah man kürzlich eine größere Anzahl
alter Miniaturen von mehr als gewöhnlichem
Interesse, darunter ein Porträt Karl II.; Lady
Falconberg; Frances Stuart (Van Dyck zuge-
schrieben) usw. Gleichzeitig waren 12 Kreide-
zeichnungen von Jacob Mathias Schmutzer: Die
Kinder der Maria Theresia, ausgestellt. F.
8
MAILAND =- ■■ ■ -
Eine Sonderausstellung Giovanni Car ne-
valis, auch Piccio genannt, wurde von der
hiesigen Societä permanente organisiert. Die-
selbe ist ins Leben gerufen worden, weil im
Jahre 1900 dieser Künstler mit anderen italieni-
schen Malern des 19. Jahrhunderts, von Äppi ani
bis Segantini, in einer Kunstschau vereint großen
Erfolg erzielte. Piccio ward in Montegrino
bpi Luino 1804 geboren und ertrank zufälliger-
weise 1873 im Pofluß. Er war Zeitgenosse der
Romantiker, Akademiker, Historien- und Anek-
dotenmaler — erschien jedoch in dieser Gesell-
schaft, als ein Revolutionär, speziell wegen seines
rastlosen Strebens, die Luft auf die Leinwand
zu bannen und eine Synthese der Farben zu er-
zielen. Mit Faruffini, Cremona und Ran-
z o n i muß er als Erneuerer der italienischen Kunst
begrüßt werden, mit dem Unterschied jedoch,
daß er oberen drei vorangegangen ist. Heute,
wo Piccio sich uns mit seinem Gesamtouvre
repräsentiert, das aus über 250 Werken besteht,
erkennt man selbstverständlich, daß dieser Künst-
ler nicht immer auf seinen Höhen stand. Es
hätte genügt etwa 10 seiner schönsten Lein-
wänden auszustellen — denn als Schnellmaler
hat er sich oft wiederholt, von demselben Werk,
bis er das richtige herausfand, eine Unzahl
Varianten gemalt. Zu seiner Lebenszeit, von
der Masse belächelt, von der Kritik verhöhnt,
fand Giovanni Carnevali kein Verständnis
Der Ciceronö
Heft 14
LEIPZIG ===,,., - i -
Im ersten Stock des von Stadtbaurat Scha-
renberg mit feinem kunstgeschichtlichen Ver-
ständnis renovierten Alten Rathauses ist
zur Feier des 500jährigen Bestehens der Uni-
versität Leipzig eine Jubiläumsausstellung er-
öffnet worden, die im ganzen rein lokalen
Charakter hat und nur in Einzelheiten das
kunsthistorische Interesse stärker zu fesseln ver-
mag. Das ist vor allem in der Abteilung
„Goethe und Leipzig“ der Fall, durch deren
Anordnung sich Julius Vogel ein besonderes
Verdienst erworben hat. Hier ist sogar das
Interesse mehr kunstgeschichtlich als literar-
historisch. Denn einmal wird man sich doch
wohl entschließen müssen, an Hand dieser
prachtvollen Dokumente (Radierungen und Hand-
zeichnungen; unter den letzeren eine bisher
unbekannte Serie aus dem Goethe-National-
Museum, deren Authentizität allerdings starken
Zweifeln begegnet) Goethes künstlerische Lei-
stungen höher zu bewerten als es bisher ge-
schah, und dann vermitteln die Werke von
Anton Graff in dieser reichen Zusammen-
stellung, die Arbeiten Oesers u. a. m. einen
kulturhistorisch reizvollen Einblick in die Zeit
des Leipziger Studenten Goethe.
Ebenso findet man unter den Professoren-
porträts der Leipziger Alma mater manches
rein künstlerisch bemerkenswerte Stück, so einen
noch unbekannten Perronneau, der gerade
jetzt, wo der lange vergessene Meister wieder
anerkannt ist, fast aktuelles Interesse hat.
Am reichsten ist das alte Kunstgewerbe ver-
treten mit Textilien und prachtvollen Gold-
schmiedearbeiten, wichtig sind jedoch mehr
nach der literarischen Seite hin die illuminierten
Stammbücher, Matrikel u. a.
Das umfangreiche Kapitel „Lipsiensia“, auf
den diese Gelegenheitsausstellung den Haupt-
akzent legt, bedarf an dieser Stelle kaum der
Erwähnung.
8
LONDON -
Leicester Galleries, Leicester Square:
Ausstellung von Werken des bedeutenden Eigen-
brödlers und „Vaters der Prärafaeliten“ Ford
Madox Brown, deren Katalog sein Enkel,
Mr. Ford Madox Hueffer, redigiert hat. Die
Ausstellung enthält u. a. das weitbekannte
„Work“, „Wickliffe on Trial“, „Cromwell on his
Farm“ usw. — Vorher hatte hier eine sehr
interessante Ausstellung des ehrlichen Wahr-
heitssuchers George Clausen, dieses nadi einem
eigenen Stil ringenden Künstlers stattgefunden.
Gutekunst Gallery, King Street, St. Ja-
mes’: Ausstellungen von exquisiten Radierungen
des Schweden Anders Zorn, von dem Gute-
kunst schon früher einigemale bedeutende
Schwarz-weiß-Blätter vorgeführt hatte.
Paterson Gallery, New Bond Street: Aus-
stellung von Handzeichnungen italieni-
scher, französischer, niederländischer
und englischer Meister des XVII., XVIII. und
XIX. Jahrhunderts, darunter Stücke vonBaroccio,
Guardi, Segantini; Fragonard, Gericault, Millet,
Theodore Rosseau, Daumier, Corot; Rembrandt,
Van Goyen, Willem van de Velde; Gains-
borough, Cotman, Crome, Constable, Boning-
ton usw.
Bei Mr. E. M. Hodgkins, 158 B, New Bond
Street, sah man kürzlich eine größere Anzahl
alter Miniaturen von mehr als gewöhnlichem
Interesse, darunter ein Porträt Karl II.; Lady
Falconberg; Frances Stuart (Van Dyck zuge-
schrieben) usw. Gleichzeitig waren 12 Kreide-
zeichnungen von Jacob Mathias Schmutzer: Die
Kinder der Maria Theresia, ausgestellt. F.
8
MAILAND =- ■■ ■ -
Eine Sonderausstellung Giovanni Car ne-
valis, auch Piccio genannt, wurde von der
hiesigen Societä permanente organisiert. Die-
selbe ist ins Leben gerufen worden, weil im
Jahre 1900 dieser Künstler mit anderen italieni-
schen Malern des 19. Jahrhunderts, von Äppi ani
bis Segantini, in einer Kunstschau vereint großen
Erfolg erzielte. Piccio ward in Montegrino
bpi Luino 1804 geboren und ertrank zufälliger-
weise 1873 im Pofluß. Er war Zeitgenosse der
Romantiker, Akademiker, Historien- und Anek-
dotenmaler — erschien jedoch in dieser Gesell-
schaft, als ein Revolutionär, speziell wegen seines
rastlosen Strebens, die Luft auf die Leinwand
zu bannen und eine Synthese der Farben zu er-
zielen. Mit Faruffini, Cremona und Ran-
z o n i muß er als Erneuerer der italienischen Kunst
begrüßt werden, mit dem Unterschied jedoch,
daß er oberen drei vorangegangen ist. Heute,
wo Piccio sich uns mit seinem Gesamtouvre
repräsentiert, das aus über 250 Werken besteht,
erkennt man selbstverständlich, daß dieser Künst-
ler nicht immer auf seinen Höhen stand. Es
hätte genügt etwa 10 seiner schönsten Lein-
wänden auszustellen — denn als Schnellmaler
hat er sich oft wiederholt, von demselben Werk,
bis er das richtige herausfand, eine Unzahl
Varianten gemalt. Zu seiner Lebenszeit, von
der Masse belächelt, von der Kritik verhöhnt,
fand Giovanni Carnevali kein Verständnis