Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 1.1909
Cite this page
Please cite this page by using the following URL/DOI:
https://doi.org/10.11588/diglit.24117#0505
DOI issue:
15. Heft
DOI article:Sammlungen
DOI Page / Citation link:https://doi.org/10.11588/diglit.24117#0505
Sammlungen
489
Neben den großen Hallen gibt es lange, lange
Säle, in denen zum Teil hinter Schnüren Möbel
aller Perioden dastehen, manchmal eine ganze
Kompagnie Stühle, die förmlich „stramm stehen“
müssen. Dann wiederum gibt es kleinere Zimmer,
die wie veritable Schulzimmer aussehen, deren
unmoderner Schmuck völligste Nüchternheit und
puritanische Strenge ist. Und in langer Reihe
kommt ein viereckiges Zimmer nach dem anderen.
Variatio delectat? An den Spruch hat man
nicht gedacht, auch nicht Inhalt und Form wie
Ausstattung der Räume irgendwie in inneren
Konnex zu bringen auch nur versucht. Wie durch
den großen Speicher eines Riesenkunstwaren-
hauses wandelt man dahin, bis man vor Er-
müdung umsinken möchte. Aber auch dazu
gibt es kaum eine Möglichkeit; denn an Ruhe-
plätze hat man, vorläufig wenigstens, nicht ge-
dacht. Das ganze Museum soll ja auch nur für
den Studenten, den Fachgelehrten dasein. Er
findet, was er sucht, fragt den Teufel nach Um-
gebung, nadi Raumlösungen, studiert oder ko-
piert nur und zieht dann wieder seiner Wege.
Ein Museum ist ein Gebäude, das Kunstgegen-
stände vor Unwetter schützen und sie auch neben-
bei noch vorführen soll, daß es selber ein Kunst-
werk sein, daß es mit dem Inhalt zusammen
eine Art „Gesamtkunstwerk“ bilden solle, das
sind Forderungen törichter Ästheten und Di-
lettanten.
Nach all dem gesagten muß man nun auch
eines wenigstens zu gunsten des Baues an-
führen: die Licht Verhältnisse sind vorteilhaft,
freilich fast zu vorteilhaft, denn ein gleichmäßig
starkes, nicht abgetöntes Licht umschließt all
diese Schätze aus allen Ecken und Enden der
Welt, die teils die Sonne Italiens, teils die Nebel
des Nordens gekannt; es dringt in die äußersten
Ecken, kein heimliches Winkelchen bleibt, in dem
eine alte Statue ihre stillen Reize enthüllen
könnte. Ans Tageslicht muß alles. Und wo
die Art des Gegenstandes es verbietet, daß zu
starkes Licht oder gar Sonnenstrahlen ihn treffen,
z. B. die japanischen Seidengewebe usw., da
hängen sie in nüchtern langen Korridoren Glas-
schrank an Glasschrank voll. Wahr ist natürlich,
worauf man lächerlicher Weise hier Gewicht
legt, daß nun die wundervollen Schätze des
Museums, die im alten engen Hause kaum über-
haupt zu sehen waren, besser besichtigt werden
können. Es ist kein Kunststück das mit Hilfe zahl-
reicher neuer Hallen und Gemächer zu erreichen.
Ein Kunststück besonderer Art freilich ist es,
eine Raumverschwendung in solchen Dimensionen
wie in diesem neuen Riesenbau auszuüben.
Im alten, geschmacklosen Hause ist jetzt
manches verödet, die Bilder aber sind noch immer
in kleinen Stuben unsäglich schlecht und geradezu
gefühllos untergebracht. Noch immer hängen sie
an den Wänden, wie Briefmarken in einem Al-
bum kleben, dem keine einzige Marke mehr fehlt.
Wann wird das anders werden? Wann auch
wird man die viele Spreu vom Weizen zu scheiden
sich entschließen?
Ein Riesenaufwand ist vertan, um ein Kunst-
schulgebäude und ein pomphaftes Kunstwaren-
lager zu errichten. Statt ein edles Kunstwerk
zu schaffen, würdig der Zeit, würdig der Stadt,
des Landes, würdig der zu bergenden Schätze,
und daneben wie etwa in München für die Be-
dürfnisse der Studenten und Fachgelehrten be-
sondere Räume zu näherem Studium einzelner
Gegenstände anzulegen, hat man nur an diese
Bedürfnisse gedacht und das Publikum mit ein
paar architektonischen Phrasen abgespeist, die
jeden Feinfühligen beleidigen müssen. Es ist
ein Jammer. F.
s
MAILAND =====- _
Die Brera-Galerie erwarb auf der Auktion
der Sammlung des Lord Äshburton in London
für 3800 lire ein unterzeichnetes Bild von Giro-
lamo Marchesi. Das Kunstwerk stammt aus der
Frühzeit des Meisters, als er nodi von Francia
und Palmezzano beeinflußt war. Das Bild ist
3 */* Meter hoch, datiert 1513 und wurde für die
S. Maria delie Grazie-Kirche zu Pesaro gemalt.
Stifterin desselben war Ginevra Tiepolo, Gattin
des Sforzas. Die Halbfigur des Christus mit einer
Glorie von Engeln thront am Himmel, während
Maria, umgeben vom hl. Hyronimus und einem
Bischof, schwebend dargestellt ist. Zwei Heilige
sieht man kniend an den Seiten; eine stellt
wahrscheinlich die Stifterin dar. B.
S
MOSKAU.. , -
Die bekannte Golenischtschewsche Sammlung
ägyptischer und orientaler Altertümer in St. Pe-
tersburg ist vom russischen Staat für die Summe
von 350000 Rubel erworben und dem im Bau
begriffenen AlexanderIII.-Museum der schönen
Künste zu Moskau einverleibt worden. Die
Sammlung Golenischtschews umfaßt ca. 5500
Nummern, in erster Reihe Denkmäler ägypti-
scher Kunst und Kultur, worunter auch kaptische
Kunst sehr reichlich vertreten ist und zahlreiche
Papyri sowie Handschriften auf Pergament sich
befinden. Das zukünftige Moskauer Museum,
welches bisher über nur wenige originale Kunst-
denkmäler verfügt und zum größten Teil aus
Kopien bestehen wird, gewinnt durch die wert-
volle Golenischtschewsche Sammlung einen star-
ken Anziehungspunkt. p,
489
Neben den großen Hallen gibt es lange, lange
Säle, in denen zum Teil hinter Schnüren Möbel
aller Perioden dastehen, manchmal eine ganze
Kompagnie Stühle, die förmlich „stramm stehen“
müssen. Dann wiederum gibt es kleinere Zimmer,
die wie veritable Schulzimmer aussehen, deren
unmoderner Schmuck völligste Nüchternheit und
puritanische Strenge ist. Und in langer Reihe
kommt ein viereckiges Zimmer nach dem anderen.
Variatio delectat? An den Spruch hat man
nicht gedacht, auch nicht Inhalt und Form wie
Ausstattung der Räume irgendwie in inneren
Konnex zu bringen auch nur versucht. Wie durch
den großen Speicher eines Riesenkunstwaren-
hauses wandelt man dahin, bis man vor Er-
müdung umsinken möchte. Aber auch dazu
gibt es kaum eine Möglichkeit; denn an Ruhe-
plätze hat man, vorläufig wenigstens, nicht ge-
dacht. Das ganze Museum soll ja auch nur für
den Studenten, den Fachgelehrten dasein. Er
findet, was er sucht, fragt den Teufel nach Um-
gebung, nadi Raumlösungen, studiert oder ko-
piert nur und zieht dann wieder seiner Wege.
Ein Museum ist ein Gebäude, das Kunstgegen-
stände vor Unwetter schützen und sie auch neben-
bei noch vorführen soll, daß es selber ein Kunst-
werk sein, daß es mit dem Inhalt zusammen
eine Art „Gesamtkunstwerk“ bilden solle, das
sind Forderungen törichter Ästheten und Di-
lettanten.
Nach all dem gesagten muß man nun auch
eines wenigstens zu gunsten des Baues an-
führen: die Licht Verhältnisse sind vorteilhaft,
freilich fast zu vorteilhaft, denn ein gleichmäßig
starkes, nicht abgetöntes Licht umschließt all
diese Schätze aus allen Ecken und Enden der
Welt, die teils die Sonne Italiens, teils die Nebel
des Nordens gekannt; es dringt in die äußersten
Ecken, kein heimliches Winkelchen bleibt, in dem
eine alte Statue ihre stillen Reize enthüllen
könnte. Ans Tageslicht muß alles. Und wo
die Art des Gegenstandes es verbietet, daß zu
starkes Licht oder gar Sonnenstrahlen ihn treffen,
z. B. die japanischen Seidengewebe usw., da
hängen sie in nüchtern langen Korridoren Glas-
schrank an Glasschrank voll. Wahr ist natürlich,
worauf man lächerlicher Weise hier Gewicht
legt, daß nun die wundervollen Schätze des
Museums, die im alten engen Hause kaum über-
haupt zu sehen waren, besser besichtigt werden
können. Es ist kein Kunststück das mit Hilfe zahl-
reicher neuer Hallen und Gemächer zu erreichen.
Ein Kunststück besonderer Art freilich ist es,
eine Raumverschwendung in solchen Dimensionen
wie in diesem neuen Riesenbau auszuüben.
Im alten, geschmacklosen Hause ist jetzt
manches verödet, die Bilder aber sind noch immer
in kleinen Stuben unsäglich schlecht und geradezu
gefühllos untergebracht. Noch immer hängen sie
an den Wänden, wie Briefmarken in einem Al-
bum kleben, dem keine einzige Marke mehr fehlt.
Wann wird das anders werden? Wann auch
wird man die viele Spreu vom Weizen zu scheiden
sich entschließen?
Ein Riesenaufwand ist vertan, um ein Kunst-
schulgebäude und ein pomphaftes Kunstwaren-
lager zu errichten. Statt ein edles Kunstwerk
zu schaffen, würdig der Zeit, würdig der Stadt,
des Landes, würdig der zu bergenden Schätze,
und daneben wie etwa in München für die Be-
dürfnisse der Studenten und Fachgelehrten be-
sondere Räume zu näherem Studium einzelner
Gegenstände anzulegen, hat man nur an diese
Bedürfnisse gedacht und das Publikum mit ein
paar architektonischen Phrasen abgespeist, die
jeden Feinfühligen beleidigen müssen. Es ist
ein Jammer. F.
s
MAILAND =====- _
Die Brera-Galerie erwarb auf der Auktion
der Sammlung des Lord Äshburton in London
für 3800 lire ein unterzeichnetes Bild von Giro-
lamo Marchesi. Das Kunstwerk stammt aus der
Frühzeit des Meisters, als er nodi von Francia
und Palmezzano beeinflußt war. Das Bild ist
3 */* Meter hoch, datiert 1513 und wurde für die
S. Maria delie Grazie-Kirche zu Pesaro gemalt.
Stifterin desselben war Ginevra Tiepolo, Gattin
des Sforzas. Die Halbfigur des Christus mit einer
Glorie von Engeln thront am Himmel, während
Maria, umgeben vom hl. Hyronimus und einem
Bischof, schwebend dargestellt ist. Zwei Heilige
sieht man kniend an den Seiten; eine stellt
wahrscheinlich die Stifterin dar. B.
S
MOSKAU.. , -
Die bekannte Golenischtschewsche Sammlung
ägyptischer und orientaler Altertümer in St. Pe-
tersburg ist vom russischen Staat für die Summe
von 350000 Rubel erworben und dem im Bau
begriffenen AlexanderIII.-Museum der schönen
Künste zu Moskau einverleibt worden. Die
Sammlung Golenischtschews umfaßt ca. 5500
Nummern, in erster Reihe Denkmäler ägypti-
scher Kunst und Kultur, worunter auch kaptische
Kunst sehr reichlich vertreten ist und zahlreiche
Papyri sowie Handschriften auf Pergament sich
befinden. Das zukünftige Moskauer Museum,
welches bisher über nur wenige originale Kunst-
denkmäler verfügt und zum größten Teil aus
Kopien bestehen wird, gewinnt durch die wert-
volle Golenischtschewsche Sammlung einen star-
ken Anziehungspunkt. p,