Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 1.1909
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18. Heft
DOI article:Sammlungen
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Sammlungen
575
eine systematischeZusammenstellung desBauern-
schmuckes von ganz Nordwestdeutschland (im
großen Ganzen das Gebiet zwischen Elbe und
Ems, südlich begrenzt vom südhannoverschen
Gau) und gibt die Geschichte dieses Kunst-
zweiges für annähernd die letzten anderthalb
Jahrhunderte. Die vergleichende Anschauung
lehrt manches Neue und Überraschende, man
gewinnt ein lebendiges Bild des Vergangenen,
wenn man von Tafel zu Tafel schreitend sich
die Formen der bäuerlichen Frauenschmuckstücke
nebeneinander hält. Es sind fast immer die-
selben Gegenstände: Halskette, Hemdspange,
„Leibhaken“ (also die Gürtelschnalle), dann Ohr-
und Fingerringe; in einigen Bezirken kommen
dann noch Verzierungen eigener Art hinzu, wie
etwa die Stirnbänder in Südhannover oder die
spitzen Ornamente der Haubenenden in Fries-
land, oder die Nackenschleife.
Ebenso fest wie die Grundformen der Schmuck-
stücke bleibt die Grammatik des Ornaments. Die
alten primitiven Symbole von Minne und Liebe
dominieren, soweit nicht überhaupt nur die geo-
metrische Dekorationsweise angewandt wird,
Taubenpaare in Früchten und Blättern, der
Blumenkorb, das Herz. Im katholischen Südost-
friesland kommt das Kreuz hinzu, in den Küsten-
gegenden gern der Anker. Manchmal wird das
ganze Schmuckstück in ornamentaler Form be-
handelt, die Spange hat Herzform und heißt
dann „Bruthart“ (Brautherz). Amüsant ist auch
eine bestimmte Form der Schließe, die als
Miniaturmieder auftritt und damit den Ort ihrer
Bestimmung leicht angibt. Diese Art ist aus
der Geest bekannt, aus der Gegend von Roten-
burg und Scheeßel. Sehr viel Phantasie haben
die Bauern nicht entwickelt, zu ihrem Glück,
möchte man nach den angedeuteten Proben sagen.
Höhere Ansprüche wurden schlichtweg mit der
größeren Kostbarkeit befriedigt. • Die Größe
einer Hemdspange erhebt sich manchmal bis
zum Umfange eines mäßigen Tellers. Die
Materialfrage richtete sich auch fast durchweg
nach dem Wohlstände. Am üppigsten ist hier
Ostfriesland gewesen, das fast immer für seine
Schmuckstücke reines Dukatengold verwendet
hat. In dieser Gegend scheint sich übrigens
auch ein gewisser feiner Sinn für Ornamentie-
rung entwickelt zu haben — man findet oft eine
sehr reizvolle Zusammenstellung von Filigran
mit Flachornament, wobei z. B. auf einen Grund
von Filigran ein ausgeschnittenes Blattornament
aufgelegt wird. Nicht so reiche Gegenden be-
gnügten sich dann mit Silber, und die auf-
gelegten Steine sind einfach gefärbtes Glas. In
der Geest besonders findet man viel Silber-
gravierung.
Der Verkehr zwischen den verschiedenen
Gegenden muß sehr lebhaft gewesen sein, und
die Grenzen lassen sich natürlich nicht immer
fest ziehen. Nur die Haupttypen kann man
auseinanderhalten. So ist z. B. die eben ge-
schilderte ostfriesische Art auch ins Südolden-
burgische, in die Landschaft von Wildeshausen
gewandert, und die häufige Verwendung von
Ketlchen und Anhängern, die in Friesland hei-
misch scheint, ist auch in Westfalen gebräuch-
lich geworden. Sehr viel mögen bei solchem
Austausch und solcher Verpflanzung die sog.
„Hollandgänger“ getan haben, Feldarbeiter, die
zur Ernte nach Holland wanderten und dann
zurückkehrten; sie werden nicht nur den Import
der ursprünglich wohl holländischen Filigran-
technik bewerkstelligt, sondern auch sonst wohl
Vermittlerrolle gespielt haben. So kommt es,
daß der Charakter des Nordwestdeutschen, der
in allen diesen Erzeugnissen fühlbar wird, doch
eigentlich nicht recht faßbar und mit Worten
definierbar ist. Erst in Gegenden, wo der Volks-
stamm als solcher nicht mehr rein ist und man
auf einmal wenig ausgesprochenen Formen
gegenübersteht, wie im Südhannoverschen etwa,
merkt man an der Verwässerung der Formen-
sprache um was es sich bei dieser etwas eigen-
sinnigen, aber imposanten nordwestdeutschen
Bauernkunst handelt. — Vom museumstechni-
schen Standpunkt ist dann noch darauf hinzu-
weisen, daß in diesem kleinen Raum des Bremer
Museums ein Beispiel dafür vorliegt, wie sich
die bei den Richtungen im Museumswesen, die
ästhetische und die systematische, glücklich ver-
einigen lassen. Der wissenschaftliche Charakter
dominiert vollkommen in dieser Schmucksamm-
lung, d. h. alles ist so geordnet, wie es die
Sache in ihrer historischen Bedeutung verlangt.
Dabei aber ist der Eindruck des Magazinierten
und Äufgespießten vermieden. Anderseits aber
ist ohne Zuhilfenahme von spielerischen, pre-
ziösen oder ästhetenhaften Mittelchen ein de-
korativ sehr wohltuender und harmonischer
Eindruck zustande gekommen. Selbstverständ-
lich ist dergleichen in einem kleinen Museum
und bei einer Spezialgruppe eher möglich, als
bei großen Sammlungen und im ganzen. Aber
die Richtungslinien müssen ja immer erst im
kleinen ausprobiert werden.
Von einer wichtigen Neuerwerbung des Mu-
seums ist dann ferner zu berichten, von einem
Orgelgehäuse des aus Hamburg gebürtigen und
in späterer Zeit dann besonders am linken
Weserufer tätigen Holzschnitzers L. Münster-
mann, dessen Hauptwirksamkeit in das erste
Viertel des XVII. Jahrhunderts fällt und der viel-
leicht in seiner Jugend Anregungen von Albert
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eine systematischeZusammenstellung desBauern-
schmuckes von ganz Nordwestdeutschland (im
großen Ganzen das Gebiet zwischen Elbe und
Ems, südlich begrenzt vom südhannoverschen
Gau) und gibt die Geschichte dieses Kunst-
zweiges für annähernd die letzten anderthalb
Jahrhunderte. Die vergleichende Anschauung
lehrt manches Neue und Überraschende, man
gewinnt ein lebendiges Bild des Vergangenen,
wenn man von Tafel zu Tafel schreitend sich
die Formen der bäuerlichen Frauenschmuckstücke
nebeneinander hält. Es sind fast immer die-
selben Gegenstände: Halskette, Hemdspange,
„Leibhaken“ (also die Gürtelschnalle), dann Ohr-
und Fingerringe; in einigen Bezirken kommen
dann noch Verzierungen eigener Art hinzu, wie
etwa die Stirnbänder in Südhannover oder die
spitzen Ornamente der Haubenenden in Fries-
land, oder die Nackenschleife.
Ebenso fest wie die Grundformen der Schmuck-
stücke bleibt die Grammatik des Ornaments. Die
alten primitiven Symbole von Minne und Liebe
dominieren, soweit nicht überhaupt nur die geo-
metrische Dekorationsweise angewandt wird,
Taubenpaare in Früchten und Blättern, der
Blumenkorb, das Herz. Im katholischen Südost-
friesland kommt das Kreuz hinzu, in den Küsten-
gegenden gern der Anker. Manchmal wird das
ganze Schmuckstück in ornamentaler Form be-
handelt, die Spange hat Herzform und heißt
dann „Bruthart“ (Brautherz). Amüsant ist auch
eine bestimmte Form der Schließe, die als
Miniaturmieder auftritt und damit den Ort ihrer
Bestimmung leicht angibt. Diese Art ist aus
der Geest bekannt, aus der Gegend von Roten-
burg und Scheeßel. Sehr viel Phantasie haben
die Bauern nicht entwickelt, zu ihrem Glück,
möchte man nach den angedeuteten Proben sagen.
Höhere Ansprüche wurden schlichtweg mit der
größeren Kostbarkeit befriedigt. • Die Größe
einer Hemdspange erhebt sich manchmal bis
zum Umfange eines mäßigen Tellers. Die
Materialfrage richtete sich auch fast durchweg
nach dem Wohlstände. Am üppigsten ist hier
Ostfriesland gewesen, das fast immer für seine
Schmuckstücke reines Dukatengold verwendet
hat. In dieser Gegend scheint sich übrigens
auch ein gewisser feiner Sinn für Ornamentie-
rung entwickelt zu haben — man findet oft eine
sehr reizvolle Zusammenstellung von Filigran
mit Flachornament, wobei z. B. auf einen Grund
von Filigran ein ausgeschnittenes Blattornament
aufgelegt wird. Nicht so reiche Gegenden be-
gnügten sich dann mit Silber, und die auf-
gelegten Steine sind einfach gefärbtes Glas. In
der Geest besonders findet man viel Silber-
gravierung.
Der Verkehr zwischen den verschiedenen
Gegenden muß sehr lebhaft gewesen sein, und
die Grenzen lassen sich natürlich nicht immer
fest ziehen. Nur die Haupttypen kann man
auseinanderhalten. So ist z. B. die eben ge-
schilderte ostfriesische Art auch ins Südolden-
burgische, in die Landschaft von Wildeshausen
gewandert, und die häufige Verwendung von
Ketlchen und Anhängern, die in Friesland hei-
misch scheint, ist auch in Westfalen gebräuch-
lich geworden. Sehr viel mögen bei solchem
Austausch und solcher Verpflanzung die sog.
„Hollandgänger“ getan haben, Feldarbeiter, die
zur Ernte nach Holland wanderten und dann
zurückkehrten; sie werden nicht nur den Import
der ursprünglich wohl holländischen Filigran-
technik bewerkstelligt, sondern auch sonst wohl
Vermittlerrolle gespielt haben. So kommt es,
daß der Charakter des Nordwestdeutschen, der
in allen diesen Erzeugnissen fühlbar wird, doch
eigentlich nicht recht faßbar und mit Worten
definierbar ist. Erst in Gegenden, wo der Volks-
stamm als solcher nicht mehr rein ist und man
auf einmal wenig ausgesprochenen Formen
gegenübersteht, wie im Südhannoverschen etwa,
merkt man an der Verwässerung der Formen-
sprache um was es sich bei dieser etwas eigen-
sinnigen, aber imposanten nordwestdeutschen
Bauernkunst handelt. — Vom museumstechni-
schen Standpunkt ist dann noch darauf hinzu-
weisen, daß in diesem kleinen Raum des Bremer
Museums ein Beispiel dafür vorliegt, wie sich
die bei den Richtungen im Museumswesen, die
ästhetische und die systematische, glücklich ver-
einigen lassen. Der wissenschaftliche Charakter
dominiert vollkommen in dieser Schmucksamm-
lung, d. h. alles ist so geordnet, wie es die
Sache in ihrer historischen Bedeutung verlangt.
Dabei aber ist der Eindruck des Magazinierten
und Äufgespießten vermieden. Anderseits aber
ist ohne Zuhilfenahme von spielerischen, pre-
ziösen oder ästhetenhaften Mittelchen ein de-
korativ sehr wohltuender und harmonischer
Eindruck zustande gekommen. Selbstverständ-
lich ist dergleichen in einem kleinen Museum
und bei einer Spezialgruppe eher möglich, als
bei großen Sammlungen und im ganzen. Aber
die Richtungslinien müssen ja immer erst im
kleinen ausprobiert werden.
Von einer wichtigen Neuerwerbung des Mu-
seums ist dann ferner zu berichten, von einem
Orgelgehäuse des aus Hamburg gebürtigen und
in späterer Zeit dann besonders am linken
Weserufer tätigen Holzschnitzers L. Münster-
mann, dessen Hauptwirksamkeit in das erste
Viertel des XVII. Jahrhunderts fällt und der viel-
leicht in seiner Jugend Anregungen von Albert