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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 1.1909

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20. Heft
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Uhde-Bernays, Hermann: Die Neuordnung der Münchener alten Pinakothek
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Der Kunstmarkt
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https://doi.org/10.11588/diglit.24117#0678

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650

Der Cicerone

Heft 20

lauf um die keramischen Hauptstücke gestalten.
Den Reigen eröffnen Arbeiten des Bernard Pa-
lissy, eine Schüssel mit prächtigen Blumen aus
Älcora (369) und ein ganz seltener Älbarello
syrisch-ägyptischen Stiles (Damaskus) des XIII.
Jahrhunderts mit ockerfarbig lüstrierendem Or-
nament auf tiefblauer Glasur (ein verwandtes
Stück mit schrägen Rippen im Frankfurter Kunst-
gewerbemuseum). Gut vertreten ist auch die
türkisch-persische Fayence des XVI.—XVII. Jahr-
hunderts und die spanisch-maurische Lüsterware.

Es folgen die italienischen Majoliken, dar-
unter ein reizvolles Madonnenrelief des Andrea
della Robbia. Die bedeutendsten Fabriken:
Faenza, Urbino, Gubbio (459 und 465 von
Giorgio Ändreoli lüstriert), Deruta, Venedig sind
mit ausgezeichneten Stücken vertreten.

Die deutschen Hafnerarbeiten vom Ende des
XV. bis zum Ende des XVI. Jahrhunderts werden
das größte Interesse beanspruchen. Vor allem
die vor 1500 entstandenen Kacheln vom Sakri-
steiofen des Wiener Stephansdomes (602—608).
Vier Stück von diesem Ofen bewahrt das k. u.
k. österreichische Museum in Wien, vier das
Germanische Museum in Nürnberg, eine die
Sammlung Figdor in Wien. Von der Schönheit
dieser Arbeiten können Reproduktionen auch
nicht annähernd einen Begriff geben, denn ihr
Reiz beruht nicht allein in der Frische der Mo-
dellierung, sondern vor allem in der Schönheit
der fein gekrackten, leicht lüstrierenden farbigen
Glasur. Die Datierung des Ofens wird ermög-
licht durch die Wappen der Eckkacheln (602, 603),
aber auch durch das Datum des 1799 von den
Wiener Hafnern für St. Stephan gestifteten Drei-
faltigkeitsaltars (jetzt in der Weikersdorfer Pfarr-
kirche).

Die vier von dem um 1570 tätigen Salzburger
Meister H. R. geschaffenen Riesenkacheln (611,
611a u. b) zeigen die österreichische Hafner-
kunst auf dem Höhepunkte. Ein Exemplar aus
dieser Folge mit der Darstellung des Abend-
mahles gelangte vor kurzem als Geschenk des
Freiherrn v. Lanna in den Besitz des Berliner
Kunstgewerbemuseums.

Allerersten Ranges sind auch die etwa 20 Jahre
früher entstandenen Arbeiten des Nürnberger
Hafners Preuning und seiner Werkstatt (600,
601, 609, 610).

Noch weniger als bei den Kacheln des Ste-
phansdomes lassen einfarbige Abbildungen die
Schönheiten der um 1540—50 blühenden Schle-
sischen Hafnerarbeiten ahnen. Die Kühnheit der
nach rein dekorativen Gesichtspunkten gewählten
Farben (orange, manganbraun, gelb, violett, blau,
grün) ist überraschend, besonders bei dem Teller
mit dem Gekreuzigten (598). Der Farbenein-

druck allein ist bestimmend und setzt uns leicht
über die Mängel der Zeichnung hinweg. Von
starker Wirkung ist auch die schlesische Stern-
schüssel (591).

Es reiht sich hieran das rheinische Steinzeug
(Siegburg, Köln, Raeren, Westerwald) in statt-
licher Zahl und in vorzüglichen Exemplaren. Es
sei hier nur auf die Schnabelkanne des Hans
Hilgers (637) mit dem Rankenfries nach Theodor
de Bry hingewiesen. Auch die mit bunten
Emailfarben bemalten Kreussener Erzeugnisse
repräsentieren ihre Gattung vorzüglich. Daneben
finden sich seltene Exemplare Sächsischer Stein-
zeugkrüge, deren Form meist an Holzgefäße und
Fässer gemahnt.

Neben einer Reihe von Wedgwood-Arbeiten
erscheint dann eine große Anzahl Delfter Fay-
encen, sowie deutsche, schweizerische und fran-
zösische Fayencearbeiten des XVII. und XVIII.
Jahrhunderts.

Beinahe 500 Nummern entfallen auf das euro-
päische Porzellan, fast ausschließlich Geschirr.
Die figürliche Plastik ist schwach vertreten.

Erklärlicherweise steht die Wiener Manufak-
tur an erster Stelle, doch ist hier nur die Früh-
zeit und die klassizistische Periode vom Ende
des XVIII. Jahrhunderts systematisch gesammelt
worden. Charakteristische Stücke der Periode
Du Paquier sind die beiden Tonnenkrüge (1435,
1436), das Weihwasserbecken (1434) und der
Schokoladenbecher mit Untersatz. Die Zeit des
Klassizismus und des Empire veranschaulichen
eine große Zahl von Tassen.

Unter dem roten Böttgersteinzeug fällt der
virtuos modellierte und geschliffene Kruzifixus
(1522) und die Figur des Dottore aus der Italie-
nischen Komödie in die Äugen (1524).

Ein Unikum, das den Sammlern viel Kopf-
zerbrechen macht, ist die über 30 cm hohe Kanne
in gelblichem Böttgerporzellan. Zweifellos ist
sie aus einer Vasenform entstanden, indem man
den Hals kürzte und den Henkel anmodellierte.
Das Ausgußrohr ist mit dem Körper durch die
Silberfassung verbunden. Auf der Innenseite
des Deckels ist eine silber-vergoldete getriebene
Plakette mit dem Profilbildnis Augusts des Star-
ken angebracht.

Die Meißener Manufaktur ist nur mit weni-
gen Geschirren von der Frühzeit bis etwa 1740
vertreten.

Sehr reich und interessant ist die Gruppe der
Hausmaler, die Meißener, Wiener und chinesi-
sches Porzellan bemalten. Das kostbarste Stück
dürfte wohl die von Bottengruber bemalte, voll
bezeichnete und datierte (1730) Spülkanne mit
dem Triumphzug des Bacchus sein (1424).
 
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