Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 1.1909
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https://doi.org/10.11588/diglit.24117#0799
DOI issue:
24. Heft
DOI article:Gronau, Georg; Goldschmidt, Adolph; Wölfflin, Heinrich: Zur Echtheitsfrage der Berliner Flora: Ergebnisse einer Umfrage
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Zur Echtheitsfrage der Berliner Flora 769
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Lucas, wie Miethe vermutet, eine lebende Menschenhand darstellt, die anstatt des
abgebrochenen Wachsgliedes hinter einem Tuch vorgeschoben wurde, ist sehr wohl mög-
lich; doch damit ist für die wichtige Frage, ob alt oder neu, nicht daß Mindeste bewiesen.
Wenn die Büste, wie die englischen Zeugen behaupten, 1846 modelliert war, so
konnte sehr wohl 1860 ein Stück von ihr abgebrochen sein.
Daß die alte Photographie nicht nach der Berliner Büste, sondern nach einem
Abguß derselben hergestellt sei, ist eine leere durch nichts gestützte Hypothese, deren
leicht zu erratender Zweck ist, von der behaupteten Duplizität der Büsten wenigstens
einen Rest zu retten. Geheimrat Miethe macht auch nur einen schüchternen Versuch,
für diese Hypothese ein Hintertürchen offen zu lassen. „Sie findet . . . keine Bestäti-
gung, ist aber auch nicht . . . ganz von der Hand zu weisen.“ Gut, dann wollen wir
sie zunächst nur ein wenig von der Hand weisen und nicht weiter davon reden.
Im ganzen genommen sieht das Miethesche Gutachten zu Vieles als bewiesen
an. Daß Herr Lucas unter die Photographie seiner Büste mit flüchtigem Bleistift „the
Flora of Leonardo“ schrieb, kann doch wohl nicht als Beweis dafür gelten, daß er die
Autorschaft an der Büste Leonardo zuschrieb. Nach der englischen Tradition soll er
ja die Büste nach einem Gemälde Leonardos in Plastik übersetzt haben. Diesem Um-
stand ist auch von Geheimrat Bode gar kein Gewicht beigelegt worden, solange er an
die Duplizität der Büsten glaubte. Wenn Herr Miethe dann aus dem Vorhandensein
der Sprünge am Hals, die sich mit den heute sehr sichtbaren Rissen decken, folgert,
daß die Büste 1860 nicht neu hergestellt sei, so ist darauf zu entgegnen, daß dieses
auch niemand behauptet habe. In den 14 Jahren, die nach den Angaben der Herren
A. D. Lucas und Whitburn 1860 nach Entstehung der Büste verflossen gewesen sein
sollen, haben sich sehr wohl Sprünge der äußeren Wachsschicht bilden können, wenn
die Büste nicht sorgfältig vor Nässe und Temperaturwechsel behütet war. Ich glaube dies
um so eher, weil sich seit 1860 die damals vorhandenen Sprünge jedenfalls ganz ge-
waltig vermehrt und erweitert haben. Und schließlich will der Herr Sachverständige
es doch wohl nicht in Abrede stellen, daß man Sprünge und Schmutz auch absichtlich
herstellen kann. — Als Resultat dieses Gutachtens erkenne ich nun folgendes an:
1. Die behauptete Duplizität der Büsten ist widerlegt, 2. die Büste ist seit 1860 äußer-
lich stark beschädigt, 3. planmäßige Veränderungen sind in geringem Umfange an der
plastischen Form, in weitgehendem Maße an der Bemalung durch Abwaschen und
Neuauftrag von Farben vorgenommen, 4. für die Frage, alt oder neu, ist nichts
bewiesen.
Das zweite Gutachten des Herrn Professor Dr. Rathgen beschäftigt sich mit der
chemischen Zusammensetzung des Wachses. Er hat drei Arten ungebleichten und ge-
bleichten Wachses untersucht sowie zwei Proben von Wachsreliefs des Lucas und zwei
Proben von der Florabüste. Danach hat er ihre Säurezahlen und Verseifungszahlen
festgestellt. Dabei ergab es sich, daß in den Verseifungszahlen der drei ersten Proben
nicht unerhebliche Unterschiede bestehen (90,0—77,7—98,5), daß aber die Verseifungs-
zahlen des Wachses der beiden Lucas-Reliefs (123— 130,5) ungewöhnlich hoch sind
und auffallend ähnlich den Verseifungszahlen im Wachs der Florabüste (127,7—-127,2).
Herr Rathgen bemerkt dazu, daß hierdurdi „über die Herkunft des Wachses eine Ent-
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Lucas, wie Miethe vermutet, eine lebende Menschenhand darstellt, die anstatt des
abgebrochenen Wachsgliedes hinter einem Tuch vorgeschoben wurde, ist sehr wohl mög-
lich; doch damit ist für die wichtige Frage, ob alt oder neu, nicht daß Mindeste bewiesen.
Wenn die Büste, wie die englischen Zeugen behaupten, 1846 modelliert war, so
konnte sehr wohl 1860 ein Stück von ihr abgebrochen sein.
Daß die alte Photographie nicht nach der Berliner Büste, sondern nach einem
Abguß derselben hergestellt sei, ist eine leere durch nichts gestützte Hypothese, deren
leicht zu erratender Zweck ist, von der behaupteten Duplizität der Büsten wenigstens
einen Rest zu retten. Geheimrat Miethe macht auch nur einen schüchternen Versuch,
für diese Hypothese ein Hintertürchen offen zu lassen. „Sie findet . . . keine Bestäti-
gung, ist aber auch nicht . . . ganz von der Hand zu weisen.“ Gut, dann wollen wir
sie zunächst nur ein wenig von der Hand weisen und nicht weiter davon reden.
Im ganzen genommen sieht das Miethesche Gutachten zu Vieles als bewiesen
an. Daß Herr Lucas unter die Photographie seiner Büste mit flüchtigem Bleistift „the
Flora of Leonardo“ schrieb, kann doch wohl nicht als Beweis dafür gelten, daß er die
Autorschaft an der Büste Leonardo zuschrieb. Nach der englischen Tradition soll er
ja die Büste nach einem Gemälde Leonardos in Plastik übersetzt haben. Diesem Um-
stand ist auch von Geheimrat Bode gar kein Gewicht beigelegt worden, solange er an
die Duplizität der Büsten glaubte. Wenn Herr Miethe dann aus dem Vorhandensein
der Sprünge am Hals, die sich mit den heute sehr sichtbaren Rissen decken, folgert,
daß die Büste 1860 nicht neu hergestellt sei, so ist darauf zu entgegnen, daß dieses
auch niemand behauptet habe. In den 14 Jahren, die nach den Angaben der Herren
A. D. Lucas und Whitburn 1860 nach Entstehung der Büste verflossen gewesen sein
sollen, haben sich sehr wohl Sprünge der äußeren Wachsschicht bilden können, wenn
die Büste nicht sorgfältig vor Nässe und Temperaturwechsel behütet war. Ich glaube dies
um so eher, weil sich seit 1860 die damals vorhandenen Sprünge jedenfalls ganz ge-
waltig vermehrt und erweitert haben. Und schließlich will der Herr Sachverständige
es doch wohl nicht in Abrede stellen, daß man Sprünge und Schmutz auch absichtlich
herstellen kann. — Als Resultat dieses Gutachtens erkenne ich nun folgendes an:
1. Die behauptete Duplizität der Büsten ist widerlegt, 2. die Büste ist seit 1860 äußer-
lich stark beschädigt, 3. planmäßige Veränderungen sind in geringem Umfange an der
plastischen Form, in weitgehendem Maße an der Bemalung durch Abwaschen und
Neuauftrag von Farben vorgenommen, 4. für die Frage, alt oder neu, ist nichts
bewiesen.
Das zweite Gutachten des Herrn Professor Dr. Rathgen beschäftigt sich mit der
chemischen Zusammensetzung des Wachses. Er hat drei Arten ungebleichten und ge-
bleichten Wachses untersucht sowie zwei Proben von Wachsreliefs des Lucas und zwei
Proben von der Florabüste. Danach hat er ihre Säurezahlen und Verseifungszahlen
festgestellt. Dabei ergab es sich, daß in den Verseifungszahlen der drei ersten Proben
nicht unerhebliche Unterschiede bestehen (90,0—77,7—98,5), daß aber die Verseifungs-
zahlen des Wachses der beiden Lucas-Reliefs (123— 130,5) ungewöhnlich hoch sind
und auffallend ähnlich den Verseifungszahlen im Wachs der Florabüste (127,7—-127,2).
Herr Rathgen bemerkt dazu, daß hierdurdi „über die Herkunft des Wachses eine Ent-
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