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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 1.1909

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https://doi.org/10.11588/diglit.24117#0805

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ist vor einigen Wochen der Umzug in die Räume
des gewaltigen zinnengekrönten Palazzo dei
Consoli bewerkstelligt worden. Im ersten Saal
prangen die sieben ehernen Tafeln, deren In-
schriften die umfangreichste aller altitalisdien
Urkunden bilden, die berühmten: „Tavole Eu-
gubine“ und eine kleine Sammlung der ältesten
Münzen von Gubbio. Im zweiten Saal sind die
Werke der Primitiven untergebracht, darunter
ein vielteiliges Ältarwerk des 14. Jahrhunderts,
eine aus der Kirche S. Lucia stammende Ma-
donna mit dem Kinde, welche auch auf der
Ausstellung altumbrischer Malerei in Perugia 1907
figurierte, von demselben unbekannten Meister
herrührend, der das Fresko im Palazzo dei Con-
soli gemalt hat, zwei Bilder von Tommasuccio
di Martino Nelli (?): ein S. Vincenzo und eine
thronende Madonna mit dem Kinde, die früher
in der Confraternitä dei Calzolai prangte. Das
Hauptstück aber ist ein großes Triptychon, das
erst vor wenig Wochen unter den ausrangierten
Bildern durch Gnoli entdeckt wurde. Es ist ein
bisher unbeachtet gebliebenes Polyptychon go-
tischer Struktur, das im alten Katalog die Nummer
114 trug und von einem Restaurator des XVII.
Jahrhunderts ganz mit Ölfarbe überschmiert war.
Die altertümliche Form des Rahmenwerkes ließ
ahnen, daß unter den späten Übermalungen
wenigstens Reste der alten Malerei vorhanden
sein mußten. Einige vorsichtige Äufdeckungs-
versudie, die Gnoli an untergeordneten Teilen
des umfangreichen Hltarwerks vornahm, ließen
gute Trecentomalerei zutage treten, so daß
er sich veranlaßt sah, die weitere Aufdeckungs-
arbeit dem ihm vom Ministerium zur Ver-
fügung gestellten Restaurator Colarieti-Tosti
zu übertragen. Dreizehn Figuren wurden so
allmählich freigelegt. Das Mittelfeld des 2,10 m
breiten und 1,80 m hohen Ältarwerkes stellt die
auf einem mit Kosmatenarbeit reich verzierten
Throne sitzende Madonna dar, die vom Kopf
bis zu den Knieen in einen weiten blauen Mantel
gehüllt ist und mit beiden Händen das zarte,
weißgekleidete Christuskind hält, das sein Köpf-
chen an die Brust der Mutter lehnt. Zur Rechten
der Madonna sind auf besonderen Bildfeldern
Johannes der Täufer und S.Jacobus dargestellt,
darüber die heilige Katharina von Alexandrien
und ein anbetender Engel. Links sieht man die
Schutzpatrone von Gubbio, S.Ubaldo imBischofs-
ornat, mit Mitra und Pastorale und S. Mariano
in Diakonentracht, darüber S. Ägnese und einen
Engel. Im mittleren Giebelfelde ist die Kreu-
zigung mit den Figuren der Maria und der
Magdalena zu schauen.

Ein abschließendes Urteil über das interes-
sante Werk zu geben ist nicht leicht, weil die

/

alte Temperamalerei ihrer Oberfläche völlig be-
raubt ist. Die hohe Qualität der Arbeit schließt
völlig aus, daß einer der Ortskünstler ihr Ur-
heber sei. Die Aladonna im Mittelfelde ist der
Madonna Pietro Lorenzettis auf dem Bilde in
Cortona sehr ähnlich, und die Heiligengestalten
der Seitentafeln stehen denen auf dem firmierten
Ältarwerk in der Pieve zu Ärezzo stilistisch
sehr nahe.

Im dritten Saal ist ein schönes Fragment von
Pietro Lorenzetti zu sehen, der letzte Rest
eines größeren Ganzen, eine Madonna mit dem
Kinde, zu einem Tondo (!) umgestaltet, eine
Madonna mit dem Kinde und dem Johannes-
knaben von Neri di Bicci, ein Bacchanal in Matteo
Balduccis späterer florentiner Manier, zwei
Venetianisdie Tafeln, von denen eine, die Pieta
darstellend, vielleicht aus der Schule Älvise
Vivarinis herrührt, ferner ein Spätwerk Timoteo
Vitis, das Noli me tangere, eine Madonna mit
Heiligen, Triptychon in der Art des Bernardino
di Mariotto, eine Madonna in Glorie mit
S. Ägostino und S. Monaca, von einem späten
Quattrocentomeister aus Gubbio und schließlich
eine wundervolle Schnitzarbeit des Maffei.

Im vierten Saal, dem „Salone“, haben die
großen Maschinen des 16. und 17. Jahrhunderts
Aufstellung gefunden, Werke von Virgilio und
Benedetto Nucci, Damiani, Ällegrini und anderen.
Interessant ist ein Brustbild des S. Ubaldo, des
Schutzpatrons von Gubbio, das laut einer Ur-
kunde von 1612 in den Hnnali Decemvirali, die
Gnoli gefunden hat, von Federigo Barocci her-
rührt. Hier hängt auch der bekannte, längst
publizierte Gonfalone von Sinibaldo Ibi. Der
fünfte Saal beherbergt Bilder kleinerer Dimen-
sion aus verschiedenen Schulen, und der sechste
Saal die Erzeugnisse des Kunstgewerbes. Unter
den Majoliken ist nichts von Bedeutung: Das
Hauptstück, eine Mattonella, die auf der Peru-
giner Ausstellung als Werk des Mestro Giorgio
figurierte, ist nur ein mittelmäßiger „Giorgino“.
Bemerkenswert ist ein Piviale des dreizehnten
Jahrhunderts und eine kleine Sammlung alter
Drucke.

Im großen Saal des Erdgeschosses sind die
lateinischen und mittelalterlichen Inschriften,
Wappen und Skulpturfragmente untergebracht.

In der Kirche S. Maria Nuova, die als kost-
barsten Besitz die Madonna dei Belvedere von
Ottaviano Nelli beherbergt, sind kürzlich über 20
Fragmente von Fresken aufgedeckt worden: Ma-
donnen, eine Kreuzigung, ein S. Niccola da
Tolentino, ein segnender Christus. Keines der-
selben ist Ottaviano Nelli znzuschreiben. Auch
in der Kirche S. Maria deiBianchi sind Wieder-
herstellungsarbeiten in Angriff genommen worden.
 
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