Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 1.1909
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https://doi.org/10.11588/diglit.24117#0454
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13. Heft
DOI article:Bode, Wilhelm von: Die "modernen" altkölnischen Gemälde
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Der Cicerone
Heft 13
Madrid bis Petersburg, von Mailand bis Edinburg verbreitet seien und sich an diesen
Orten meist schon seit dem XVIII., ja seit dem XVII. Jahrhundert befänden, ließ er nicht
gelten; wenn dies wirklich der Fall sei, dann hätte man eben jene Restauratoren an
allen jenen Orten verwendet! Das apodiktische Verdammungsurteil gegen die „Madonna
mit der Wickenblüte“ und die verwandten Gemälde erscheint mir um nichts besser
begründet; es wird hoffentlich nicht lange dauern, bis man es mit der Lautnerschen
Entdeckung des wahren Rembrandts als eine der schwersten Irrungen unserer durch
solche hyperkritischen und feuilletonistischen Abenteuerlichkeiten stürmisch aus einer
Verirrung in die andere hin- und hergeworfenen deutschen Kunstforschung kenn-
zeichnen wird.
Die ganze „Entdeckung" geht jedoch im Grunde nicht auf unsere Kunsthistoriker
zurück; diese haben sich ihrer nur bemächtigt und sie ausposaunt. Sie ist aus-
gegangen von den Skrupeln, die einem tüchtigen und ernsthaften Restaurator, Herrn
Fridt in Köln, bei der Herstellung des arg mißhandelten Clarenaltars des Kölner Domes
gekommen sind. Hier waren und sind zum Teil noch die alten Gemälde des XIV. Jahr-
hunderts bedeckt mit Malereien, die denen der Madonna mit der Wickenblüte und
aller verwandten Bilder ganz ähnlich sind. Da sie durchweg über die stark beschädigten
älteren Malereien hinübergemalt waren, nimmt Herr Fridt an, daß sie bei einer be-
glaubigten Restauration des Altars im Anfang des XIX. Jahrhunderts aufgemalt wurden,
und daraus ist ihm dann weiter der Verdacht gekommen, daß alle ähnlichen Bilder,
die die gleiche Färbung und Technik, die gleichen Risse usw. zeigen, also Dutzende
bisher als altkölnisch bewunderte Gemälde Nachahmungen derselben neukölnischen
Romantikerschule seien. Daß diese rücksichtslose Übermalung schon recht alt ist, gibt
Fridt zu, da sie steinhart ist; das sei aber eine Malerei auch schon, wenn sie 50
oder 100 Jahre alt sei. Angenommen, daß dies richtig sei (was ich nicht glaube)
würde man im Anfang des XIX. Jahrhunderts die alte Tafel, die man zur Herstellung
bekam, wohl so vollständig übermalt und nicht vielmehr restauriert haben, wie wir
es in allen gleichzeitigen Fällen (selbst bei so rücksichtslosen Restaurationen wie die der
Darmstädter Holbein-Madonna oder der Rosenkranz-Madonna Dürers) beobachten? Weist
die schonungslose Übermalung nicht vielmehr grade auf jene frühe Zeit hin, die eine
Schonung des Alten nicht kannte? Man denke daran, wie Raphael und Michelangelo
mit den Fresken ihrer großen Vorgänger verfuhren, um an denselben Wänden Platz
für ihre eigenen Malereien zu schaffen! Auch verraten die schlechte Bronzierung
einzelner Teile der Goldgründe und Goldornamente und die trüben Übermalungen man-
cher Teile (namentlich der jetzt fast fertig gereinigten Tafeln) jene überlieferte Restau-
ration in der ersten Hälfte des XIX. Jahrhunderts, die mit der älteren allgemeinen Über-
malung nicht das geringste zu tun hat. Die Annahme des Herrn Fridt, daß wohl
kaum nach Verlauf von nur 70 oder 80 Jahren ein damals in einem Nonnenkloster
aufbewahrter Altar schon so stark gelitten haben könne, wie es hier bei Abnahme der
oberen Malschicht sich zeige, erscheint mir unbegründet; gerade in jener Zeit schwerster
Kämpfe und Revolutionen ist eine solche starke Beschädigung und infolge dessen eine
völlige Übermalung der alten Malereien besonders wahrscheinlich.
Wenn die Malereien des Clarenaltars, die über dem Gemälde des XIV. Jahr-
Der Cicerone
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Madrid bis Petersburg, von Mailand bis Edinburg verbreitet seien und sich an diesen
Orten meist schon seit dem XVIII., ja seit dem XVII. Jahrhundert befänden, ließ er nicht
gelten; wenn dies wirklich der Fall sei, dann hätte man eben jene Restauratoren an
allen jenen Orten verwendet! Das apodiktische Verdammungsurteil gegen die „Madonna
mit der Wickenblüte“ und die verwandten Gemälde erscheint mir um nichts besser
begründet; es wird hoffentlich nicht lange dauern, bis man es mit der Lautnerschen
Entdeckung des wahren Rembrandts als eine der schwersten Irrungen unserer durch
solche hyperkritischen und feuilletonistischen Abenteuerlichkeiten stürmisch aus einer
Verirrung in die andere hin- und hergeworfenen deutschen Kunstforschung kenn-
zeichnen wird.
Die ganze „Entdeckung" geht jedoch im Grunde nicht auf unsere Kunsthistoriker
zurück; diese haben sich ihrer nur bemächtigt und sie ausposaunt. Sie ist aus-
gegangen von den Skrupeln, die einem tüchtigen und ernsthaften Restaurator, Herrn
Fridt in Köln, bei der Herstellung des arg mißhandelten Clarenaltars des Kölner Domes
gekommen sind. Hier waren und sind zum Teil noch die alten Gemälde des XIV. Jahr-
hunderts bedeckt mit Malereien, die denen der Madonna mit der Wickenblüte und
aller verwandten Bilder ganz ähnlich sind. Da sie durchweg über die stark beschädigten
älteren Malereien hinübergemalt waren, nimmt Herr Fridt an, daß sie bei einer be-
glaubigten Restauration des Altars im Anfang des XIX. Jahrhunderts aufgemalt wurden,
und daraus ist ihm dann weiter der Verdacht gekommen, daß alle ähnlichen Bilder,
die die gleiche Färbung und Technik, die gleichen Risse usw. zeigen, also Dutzende
bisher als altkölnisch bewunderte Gemälde Nachahmungen derselben neukölnischen
Romantikerschule seien. Daß diese rücksichtslose Übermalung schon recht alt ist, gibt
Fridt zu, da sie steinhart ist; das sei aber eine Malerei auch schon, wenn sie 50
oder 100 Jahre alt sei. Angenommen, daß dies richtig sei (was ich nicht glaube)
würde man im Anfang des XIX. Jahrhunderts die alte Tafel, die man zur Herstellung
bekam, wohl so vollständig übermalt und nicht vielmehr restauriert haben, wie wir
es in allen gleichzeitigen Fällen (selbst bei so rücksichtslosen Restaurationen wie die der
Darmstädter Holbein-Madonna oder der Rosenkranz-Madonna Dürers) beobachten? Weist
die schonungslose Übermalung nicht vielmehr grade auf jene frühe Zeit hin, die eine
Schonung des Alten nicht kannte? Man denke daran, wie Raphael und Michelangelo
mit den Fresken ihrer großen Vorgänger verfuhren, um an denselben Wänden Platz
für ihre eigenen Malereien zu schaffen! Auch verraten die schlechte Bronzierung
einzelner Teile der Goldgründe und Goldornamente und die trüben Übermalungen man-
cher Teile (namentlich der jetzt fast fertig gereinigten Tafeln) jene überlieferte Restau-
ration in der ersten Hälfte des XIX. Jahrhunderts, die mit der älteren allgemeinen Über-
malung nicht das geringste zu tun hat. Die Annahme des Herrn Fridt, daß wohl
kaum nach Verlauf von nur 70 oder 80 Jahren ein damals in einem Nonnenkloster
aufbewahrter Altar schon so stark gelitten haben könne, wie es hier bei Abnahme der
oberen Malschicht sich zeige, erscheint mir unbegründet; gerade in jener Zeit schwerster
Kämpfe und Revolutionen ist eine solche starke Beschädigung und infolge dessen eine
völlige Übermalung der alten Malereien besonders wahrscheinlich.
Wenn die Malereien des Clarenaltars, die über dem Gemälde des XIV. Jahr-