Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers (16.1924)

Conftantin von Mitfchke-Collande. 3eitungslefer.

Leben und der Kunft gegenüber hat. Grosz ift neben ihm bereits kultiviert, voll Eigen-
tradition, eine konftante Größe. Dix ift immer noch voll Anfang und packt zu wie
es gerade kommt. Er nimmt, was er tut, nicht fo wichtig, fühlt fid) feiner Arbeit von
geftern fd)on nicht mehr verpflichtet und reißt im Augenblick aus fiel) heraus, was er
nid)t mal felbft vorausatmen konnte. Sein grapt)ifd)es üderk ift unausgeglichen, aber
es find Blätter darunter, die keiner machen könnte. Eine Radierung aus „Cod und
Auferftehung“ (Verlag Nierendorf 1922). Dix benutzt dabei keinen feiner aus-
probierten technifchen oder inhaltlichen Kunftgriffe. Von der Romantik feiner Defpe-
radowelt keine Spur, von der graufamen Anatomie der menfd)licl)en Kreatur nichts.
Ganz groß fteht diefe Frau da. Nicht Anklage, nicht Schmerz, nicht Schrei, das wäre
zu klein. Das Graufigfte, die Leere ift es, die Erftarrung. Eine erfchreckende Um-
kehrung: der Lote rechts unten löft fid) in Farbe und Erde auf, aber diefe Frau ift
wie ein Pfahl, den fid) die Erde in den Leib gerannt hat und der nun für alle feiten
drin fteckt. CUie ift diefes Ulefen im Umriß heroifiert, wie ift es echolos vor das Nichts
des weißen Papiers geftellt, wie erzwingt die Parallelftrid)fül)rung innerhalb diefes Um-
riffes das Gefühl von Unabänderlichkeit und eifiger Kälte. Ein paar Dinge find da,
ein zerbrochenes Rad z. B., aber die wagen fid) nicht hervor, bleiben angefid)ts diefes
Rätfels in vorfichtiger Andeutung. Man darf ruhig an Goyas „Desastres de la guerra“
dabei denken und wird nicht unficher in der Bewertung.
Dix in manchem verwandt find Bernhardt Kretjfchmar und Chriftoph Voll.
Nicht unmöglich, daß bei diefen Dreien die Bitterkeit und die Armut des Lebens eine
andere Art zu fd)auen entwickelt hat, und daß fo eine entfprechende Art der Geftaltung
entftand. Krefefchmar ift es fehr fd)wer geworden durchzukommen. Vor dem Krieg
war er in Spanien, dann kamen troftlofe Jahre, und erft jetjt wird ein wenig Licht.
Die „3igarrenmad)er“ zeigen feine graphifd)e Sprache von einer Seite; er hat mehrere,
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