fd)reibt einmal inniger, einmal brutaler, wie es der jeweilige Fall verlangt. Die „3i-
garrenmadjer“ wirken auf den erften Blick illuftrativ; die Mitteilung ift aber von einer
kraufen, barocken Linienfprad)e fo aufgefogen, daß alles Klefentliche doch in der Form
liegt. Die Verfcßnörkelung ift diesmal etwas biedermeierlid) (fo war fie bei Dix auch
zuweilen) und geht keiner Äbfcßweifung aus dem Klege. Es ift, als ob die Ab-
ftumpfung in der Ärbeit ein Korrelat im Luftfcßloß der eigenwilligen Linie fucßte. Sie
fcßließt die Menfcßen und Gegenftände zufammen, fie bohrt und interpretiert, macht
Pfycßologie, klammert fiel) plöfelid) draußen in der Natur an ßäufer und Sträucßer an
und beweift die Einheit diefes fo verlaufenden Lebens. Nur dadurch) ift es möglich),
daß ein fo felbftverftändlicßer und reicher 3ufammenhang zuftande kommt und das
Blatt menfcßlich) und zeichjnerifch) überzeugt. Voll ift Bildhauer und zwar ein recht
beachtlicher. Daneben radiert und zeichnet er; mehr noch) als fein Kollege Eugen
Doffmann, der vom grapßifcßen Arbeiten zugunften kleinplaftifcßer Verdienftmöglid)-
keiten in letzter 3^it etwas abgekommen ift. Voll ift wie Dix und Krefefcßmar Natur-
burfcße, Draufgänger, vielfeitig, arbeitswütig. 3um Nachdenken über die Kunft hat er
gar keine Seit. Kunft ift ißm fo klar wie Effen und Crinken. Der „Blinde“ ift aus
den lebten Monaten. Im Augenblick erfaßt und heruntergezeichnet, hemmungslos. Der
Anzug ohjne Beziehjung zum Körper oder vielmehr ißn erfebend, im Kontur faft
fpöttifch) gleichgültig. Das Geficht knorplicl) im Umriß und witternd. Vom Raum kaum
eine Andeutung. UIozu auch? tUas foll er damit anfangen? Ein paar Linien genügen,
nur damit die Vertikale nicht auch noch ins tUanken gerät.
Ein Maler wie Lafar Segall hatte es neben fo vitalen Gefellen nie leicht. Er ift
leife, feh)r felbftkritifd) und bei jedem Strich) voll Verantwortung. Das Leben, das den
anderen fo viele Senfationen und Anregungen bietet, irritiert ihn nicht gerade, ift aber
eine h)öch)ft problematifche Sache und nur in einer feh)r fublimierten Form für die Kunft
verwendbar. Er quält fich) in jedem Falle um die lebte Löfung. Das „Paar“ (1921) aus
feinen „Erinnerungen an CUilna“ fteht in der Mitte zwifchjen der „Sanften“ (Lithos zu
Doftojewfki) und „Bübü“ (Lithos zu Ch). L. Philippe). Diefe Radierung hat nicht mehr
die faft talmudifchje Analyfe und die geometrifchje Linienkargheit der „Sanften",
noch nicht die Cantilene und Volltonigkeit des „Bübü“. Das Blatt ift auf ein paar er-
fühlte Linien geftellt, die durch nichts unterftübt werden. Klie in der linearen Mufik
hängt alles von der Richtigkeit und Sauberkeit der Durchführung ab. Kein verti-
kaler Klang fdjafft Entfpannung oder Überredung. Vor jeder neuen Catfache beginnt
bei dem Ruffen Segall der Kampf um die Form neu, und bei diefen Überlegungen
ift er den konftruktiven Franzofen faft näher als feinem Freund und Landsmann
Chagall. Aber das unterfdßeidet ihn vom Kleften, auch die abfolute Geftaltung muß
voll Ulahrßeit und Liebe fein; denn wozu wäre fonft Kunft, fragt er mit üolftoi.
Die Jüngften gruppieren fich) um Kokofcßka. Seine ftärkften Schüler fmd heute Dans
Meyboden und Karl Friedrich Gotfd). Gotfch hat allerdings eine ftarke Eintei-
lung zu Munch hin» dem er, felber aus dem Norden ftammend, fich verwandt fühlt.
Soeben gibt er eine Mappe Fjolzfchnitte zu Fjarnfun heraus- (Verlag Erfurt!), Dresden
1923.) Der „Knabe im Mondfehein“ entftammt einem ähnlichen Gefühlsumkreis und zeigt
eine Durchführung, die mit Kokofchka wenig zu tun hat. Aus dem vielen Schwarz und
dem durd)geifternden CCIeiß entfteht oft eine Strindbergfche Stimmung, die voll Unruhe
und Verhaltenheit ift und bei der Befdßränktheit der Mittel verblüfft. JYleyboden
ift erft 22 Jahre alt, geborener Bremer und von dem Erlebnis Paula Moderfohn
erfüllt hier^er gekommen. „Die beiden Menfd)en“ (1923) hat>en im Ausdruck noch
etwas von der Derbheit diefer Frau behalten, fmd aber doch umgefchmolzen im
Geifte des Kliener 3auberkünftlers, der an der Akademie einen großen pädagogifcßen
Eifer entwickelte. Die Radierung ift trobdem aus eignem Erleben hcrausgewachfen und
voll jugendlicher Innigkeit. Kokofchka hat foldje Aufgaben in diefem Alter dämonifcher
angefaßt; es ift kein Unglück, wenn nach diefen Kämpfen ein neues Lied entfteht.
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garrenmadjer“ wirken auf den erften Blick illuftrativ; die Mitteilung ift aber von einer
kraufen, barocken Linienfprad)e fo aufgefogen, daß alles Klefentliche doch in der Form
liegt. Die Verfcßnörkelung ift diesmal etwas biedermeierlid) (fo war fie bei Dix auch
zuweilen) und geht keiner Äbfcßweifung aus dem Klege. Es ift, als ob die Ab-
ftumpfung in der Ärbeit ein Korrelat im Luftfcßloß der eigenwilligen Linie fucßte. Sie
fcßließt die Menfcßen und Gegenftände zufammen, fie bohrt und interpretiert, macht
Pfycßologie, klammert fiel) plöfelid) draußen in der Natur an ßäufer und Sträucßer an
und beweift die Einheit diefes fo verlaufenden Lebens. Nur dadurch) ift es möglich),
daß ein fo felbftverftändlicßer und reicher 3ufammenhang zuftande kommt und das
Blatt menfcßlich) und zeichjnerifch) überzeugt. Voll ift Bildhauer und zwar ein recht
beachtlicher. Daneben radiert und zeichnet er; mehr noch) als fein Kollege Eugen
Doffmann, der vom grapßifcßen Arbeiten zugunften kleinplaftifcßer Verdienftmöglid)-
keiten in letzter 3^it etwas abgekommen ift. Voll ift wie Dix und Krefefcßmar Natur-
burfcße, Draufgänger, vielfeitig, arbeitswütig. 3um Nachdenken über die Kunft hat er
gar keine Seit. Kunft ift ißm fo klar wie Effen und Crinken. Der „Blinde“ ift aus
den lebten Monaten. Im Augenblick erfaßt und heruntergezeichnet, hemmungslos. Der
Anzug ohjne Beziehjung zum Körper oder vielmehr ißn erfebend, im Kontur faft
fpöttifch) gleichgültig. Das Geficht knorplicl) im Umriß und witternd. Vom Raum kaum
eine Andeutung. UIozu auch? tUas foll er damit anfangen? Ein paar Linien genügen,
nur damit die Vertikale nicht auch noch ins tUanken gerät.
Ein Maler wie Lafar Segall hatte es neben fo vitalen Gefellen nie leicht. Er ift
leife, feh)r felbftkritifd) und bei jedem Strich) voll Verantwortung. Das Leben, das den
anderen fo viele Senfationen und Anregungen bietet, irritiert ihn nicht gerade, ift aber
eine h)öch)ft problematifche Sache und nur in einer feh)r fublimierten Form für die Kunft
verwendbar. Er quält fich) in jedem Falle um die lebte Löfung. Das „Paar“ (1921) aus
feinen „Erinnerungen an CUilna“ fteht in der Mitte zwifchjen der „Sanften“ (Lithos zu
Doftojewfki) und „Bübü“ (Lithos zu Ch). L. Philippe). Diefe Radierung hat nicht mehr
die faft talmudifchje Analyfe und die geometrifchje Linienkargheit der „Sanften",
noch nicht die Cantilene und Volltonigkeit des „Bübü“. Das Blatt ift auf ein paar er-
fühlte Linien geftellt, die durch nichts unterftübt werden. Klie in der linearen Mufik
hängt alles von der Richtigkeit und Sauberkeit der Durchführung ab. Kein verti-
kaler Klang fdjafft Entfpannung oder Überredung. Vor jeder neuen Catfache beginnt
bei dem Ruffen Segall der Kampf um die Form neu, und bei diefen Überlegungen
ift er den konftruktiven Franzofen faft näher als feinem Freund und Landsmann
Chagall. Aber das unterfdßeidet ihn vom Kleften, auch die abfolute Geftaltung muß
voll Ulahrßeit und Liebe fein; denn wozu wäre fonft Kunft, fragt er mit üolftoi.
Die Jüngften gruppieren fich) um Kokofcßka. Seine ftärkften Schüler fmd heute Dans
Meyboden und Karl Friedrich Gotfd). Gotfch hat allerdings eine ftarke Eintei-
lung zu Munch hin» dem er, felber aus dem Norden ftammend, fich verwandt fühlt.
Soeben gibt er eine Mappe Fjolzfchnitte zu Fjarnfun heraus- (Verlag Erfurt!), Dresden
1923.) Der „Knabe im Mondfehein“ entftammt einem ähnlichen Gefühlsumkreis und zeigt
eine Durchführung, die mit Kokofchka wenig zu tun hat. Aus dem vielen Schwarz und
dem durd)geifternden CCIeiß entfteht oft eine Strindbergfche Stimmung, die voll Unruhe
und Verhaltenheit ift und bei der Befdßränktheit der Mittel verblüfft. JYleyboden
ift erft 22 Jahre alt, geborener Bremer und von dem Erlebnis Paula Moderfohn
erfüllt hier^er gekommen. „Die beiden Menfd)en“ (1923) hat>en im Ausdruck noch
etwas von der Derbheit diefer Frau behalten, fmd aber doch umgefchmolzen im
Geifte des Kliener 3auberkünftlers, der an der Akademie einen großen pädagogifcßen
Eifer entwickelte. Die Radierung ift trobdem aus eignem Erleben hcrausgewachfen und
voll jugendlicher Innigkeit. Kokofchka hat foldje Aufgaben in diefem Alter dämonifcher
angefaßt; es ift kein Unglück, wenn nach diefen Kämpfen ein neues Lied entfteht.
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