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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 16.1924

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Glück, Heinrich: Die Stellung Wiens in der neueren Kunst, 2. Teil
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https://doi.org/10.11588/diglit.41564#0207

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des Pantheons, die Kuppel von St. Peter, aber aud) die Faffadenminarette der osma-
rii[d)en Kuppelmofd)een und d)inefifd)e Pagodendächer find l>ier zu einem Neuen ver-
fdjmolzen. All dies hat ja Fifdßer in feinem Sticßwerk der „Fjiftorifd)en Architektur“
zufammengeftellt, und als Denkmalbau, Criumphtor, Kirche und Mofd)ee, Feftfaal oder —
€t)eaterdekoration vereinigt diefer Bau alle religiöfen und profanen Monumentalgeftalten
in eine Form, die zugleich barocke Bewegung und klaffifdtpe Strenge, Plaftik und Fläche,
Fjorizontalismus und Fjößenftreben, Maffigkeit und Auflöfung in kaum trennbarer Ver-
fchleifung enthält. Kann ein folcher Bau in die Enge der wefteuropäifchen Stilbegriffe
eingereiht werden? Kein Klunder, wenn er von einem ftilficheren Kleftländer als
„wunderliches Gemifch“ bezeichnet wird, weil jener die über den Stilen ftehende Ver-
fchleifung, das „Dekorative“, nicht als pofitive Cat erleben kann.
Noch klarer mag fid) diefe Eigenftellung in zwei anderen Beifpielen ausdrücken, für
deren Eigenart die Kunftgefd}id}te wohl fd)werlid) eine Formel gefunden \)at. Klie
wunderlich muß erft ein Gebilde wie die Kliener Peftfäule auf dem Graben er-
fcheinen (Abb. 5), von der eine ganze große Schichte in die öfterreid)ifcl)en Länder
ausgeßt! Kleder von der Architektur noch von der Plaftik aus kann pe ganz gefaßt
werden. Denn \)ier ift etwas zu Stein geworden, das für die Formbildung der füd-
deutfcßen Barockkunft von größter Bedeutung war: eine jener vergänglichen Gelegenheits-
dekorationen, die bei Feften und Crauerfeiern, vor allem aber in der gerade in Klien
fo h°d) ausgebildeten Cheaterkunft Verwendung fanden, Klerke aus Fjolz, Gips oder
Pappe, bei denen eine klaffifizierende Einreihung, ob Architektur, Plaftik oder Malerei
nicht angängig ift, die gleichfam die Idee eines Gefamtkunftwerks in vergänglicher
Form verkörperten, und die man heute gern mit dem (Hort dekorativ abtut. Ift hier nicht
gerade diefes „Dekorative“ das Eigenartige und — wie die mit realen Vorftellungen
am wenigften faßbare Mufik — eben das pofitiv Klienerifche?
ünd noch ein zweites folches Beifpiel, einer der Sarkophage der Kaifergruft in der
Kapuzinerkirche von J. N. Moll und J. G. Pichler (Abb. 6). Kleid) fonderbare Gebilde, in
denen der Sarg fid) zum Cropßäenberg auflöft, Allegorien und Embleme den Mangel
jedes tektonifchen Aufbaus verdecken und bauliche Einzelheiten malerifd) zerpflückt
werden, fo daß die dekorative Pßantafie felbft die tecßnifcße Grenze des Bleiguffes oft
überfchätjt. Mag ßd) die Kunftgefd)id)te aud) bemühen, diefe Särge etwa bis auf die
Grabmäler des Bernini zurückzuführen, und mögen fold)e Gebilde auch fonft als ver-
gängliche Katafalke aufgeftellt worden fein, es blieb doch dem Kliener Boden Vor-
behalten, das Vergänglich-Dekorative in monumentale, beftändige Form zu bannen.
Schließlich die lebte ard)itektonifche Blüte Kliens vor dem Kleltkriege. Es ift merk-
würdig, daß gerade zu einer 3eit, in der zumal der zivilifationsftolze Deutfdße fid) ge-
wöhnt hatte, auf den Öfterreicher und den Kliener wie auf ein öftlichftes und zurück-
gebliebenes Anhängfel feiner Kultur herabzufel)en, mit Otto Klagner die moderne Bau-
bewegung von Klien aus ißren Kleg naßm. Aber es handelt fid) nicht um diefe Priori-
tät — die an anderem Orte im Kleften woßl meßr Beachtung und andere Auswirkung
gefunden hätte — fondern um die Eat felbft. Sie liegt wie in den früheren Perioden
darin, daß weftlicßer Geift in Klien fruchtbar wurde und zu Neuem führte. Es war der Geift,
der etwa mit den Klorten: Amerikanismus, Großftadttum, 3w£ckl)aftigkeit und Klerkmäßig-
keit umfcßrieben wird; und nur nod) merkwürdiger mag dem Kleftländer die Priorität Kliens
gerade darin erfcßeinen. Aber wie Gotik und Barock hier an der Grenze Ofteuropas
auf brandeten, fo aud) diefer neue Geift, der dem Kliener als halbem Oftländer um fo
fühlbarer wurde. Otto Klagner hat fid) feiner baukünftlerifd) bemächtigt. Freilich — wie
fo viele ted)nifcße Erfindungen von Öfterreidtjern erft im Kleften ausgewertet wurden,
weil der kleinbürgerliche und Oftgeift deren Eragweite nicht erkannte, fo kamen aud)
viele der großzügigen Entwürfe Otto Klagners wie der Gefamtentwurf für den 21. Kliener
Gemeindebezirk, für das Kliener Stadtmufeum und das Kriegsminifterium nid)t zur Aus-
führung, aber das Erhaltene läßt nicht nur in den monumentalen 3weckbauten (Lupus-

Der Cicerone, XVI. Jai)rg., I)eft H

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