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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 16.1924

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Lill, Georg: Ein fünftes Werk des Erminold-Meisters?
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https://doi.org/10.11588/diglit.41564#0344

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Studien und Forfcßungeri

Haupthaar, das fid) mit der ftarren Gleichförmig-
keit von Statjlfpiralen um die Stirne legt, und
dem Barthaar, dem tauartigen Schnurrbart und
den in zwei großen korrefpondierenden Schnedcen-
voluten mündenden Doppelbart. Die Haare an
den Jüangen pnd weggelaffen, damit die d>a-
rakteriftifche [Uangenlinie um fo bedeutungs-
voller mitfpredjen kann.
Ganz anders der tektonifche Bau und der fee-
lifche Gewalt des Johanneskopfes. Ein zwar oben
ausladender Gepchtsumriß, der pch dann aber
ohne Anfchwellung und Konturierung nach unten
verjüngt. Eine zugefpitjt hohe, aber wenig her-
vortretende unakzentuierte Stirne. Kleine, im
Augenhöhlenbett faft verfd) windende Äugen ohne
Kraft und Perfönlichkeit. Eine ziemlich ßache
Oberlippe, die nur durch die ftark vorfpringende
Unterlippe einen beßimmteren Charakter be-
kommt, ohne an die Ausdruckskraft beim Ermi-
nold heranzukommen. Die Haare legen pch im
gleichmäßig weicheren 3ug um den Kopf, fämt-
lidje Konturen rahmend umfchließend. Ift es
denkbar, daß der auf das Perfönliche bis zum
Grimmaffenhaften eingefdjworeneMeifter des Er-
minold (man vergleiche daneben den Kopf des
Verkündigungsengels)1, pch fo das Haupt des
toten, leidenschaftlichen [Uüßeripredigers vorge-
ftellt haben füllte, daß er nicht einen ftärkeren
dramatifdjeren Cyp für Johannes den Käufer
hätte konzipieren können, als diefen milden
Mißhtypus von einem Cßriftusßaupt und einem
Johannes dem Evangeliften?
Vergleidjt man noch Einzelheiten, fo wird der
Ünterfchied noch größer, z. B. bei den Augen-
partien. Bei Erminold die ftarken, pch ftark nä-
hernden Augenbrauen (ebenfo bei Maria und dem
Engel), das faft halbkreisförmig, unnatürlich weit-
geöffnete Oberlid und das faft fenkrechte Unterlid
mit der leichten Scbrägftellung der Augenachfe,
darinnen die große deutliche Pupille, eine Augen-
anlage, die auch noch bei fpäteren [Uerken des
Regensburger Kunßkreifes, etwa bei dem Hoch-
grab des hl* Uto in Metten etwa 1320—30 fo
vorkommt. Beim Johannes dagegen die Augen-
brauen in weicher Schwingung in die wenig
vortretende Nafenlinie mündend, die Augen-
lider ebenfo in gleichmäßiger linder Biegung den
kleinen, für den Gefamteindruck kaum mitfpre-
chenden Augapfel umgebend. Diefe Art des
[entimentalifchen Verhüllens des Auges im Ge-
pchtsausdruck kommt, foweit ich fehe, im 13. Jahr-
hundert überhaupt nicht vor, fondern erft im fpä-
teren 14. Jahrhundert, man vergleiche etwa die
leicht zugänglichen Abbildungen der Madonna
aus dem Dorf Überlingen im Mufeum Rottweii
aus dem zweiten Viertel des 14. Jahrhunderts
und die törichten Jungfrauen aus der ehemaligen
Burgkirche zu Lübeck um 14002.
1 Rieljl, Donautal, C. 23.
' Del)io-Bezoid, Die Denkmäler d. deutfdjen Bildhauer-
kunft, II. Bd., C. 22, 3 u. C. 1, 1/2.

Mindeftens ebenfo grundfä&lich verfchieden ift
die Haarbehandlung bei beiden. Bei Erminold
ein kraftvolles Heben und Senken bei aller Strenge
der ftiliftifchen Gleichförmigkeit. Die Einzellocken
folgen zwar einem beftimmten 3ug, der durch
den Fjauptgrat gegeben ift, aber die Einzellinien
kreuzen und fchneideri fici) doch mit individueller,
unabhängiger Phantape. Beim Johannes ein
gleichmäßiges, temperamentlofes Heben und
Senken, eine Unterbrechung durch die U-för-
mige Cüellenlinie an den Schläfen, ebenfo am
Schnurrbart, was auch mehr Manier als Stil ift.
Diefe ausgefprochene U-Form ift auch erß im
14. Jahrhundert möglich* Die Haarlocken felbft
beftehen in handwerklicher einförmiger Manier
aus einem fatteldachförmigen Grat und drei pa-
rallelen Eillinien, ohne irgendeinmal in indivi-
duellem Selbßbewußtfein davon abzuweichen.
Darüber darf man pch auch nicht durch die
eigenartiger anmutende, ftrahlenförmige Anord-
nung der vier Locken auf dem Rand der Schüffel
hinwegtäufchen laßen, die mit den Unterhöh-
lungen bei den Locken des Erminold gar keinen
Vergleich aushalten.
[Denn man auch dem Johanneskopf nicht die
künßlerifche und ftilvolle [Uirkung abfprechen
kann, fo ift pe doch mehr auf eine gute Schu-
lung als ein perfönliches Gepalten zurückzuführen,
[üo ip die künßlerifche Fülle und Eigenkraft
gegenüber dem Erminoldkopf geblieben? Dort
jeder kleine Detailausfdjnitt an Mund, Stirne,
[Dange voll Eigenlebens, hier fatale leere Stellen
in Stirn, Klangen und Nafenprofil, im Mund mehr
Verfchrobenheit eines Eigenbrödlers als Geftal-
tungskraft eines Eigenßändigen.
Damit ift aber auch das [Defentlichße im qua-
litativen Ünterfchied der beiden Klerke gefagt.
Beim Erminold fteht vor uns das Klerk eines
ganz großen, bedeutenden Meißers, der zwar
aus dem 3eitßil feiner deutfchen Schulung, die
bis zu den großen [Derken um die Mitte des
13. Jahrhunderts ihre [Durzein hinabfenkt, her-
vorwächft, aber nun mit höcbßem künftlerifchem
Cemperament innerhalb diefer Grenzen feinem
Können freien Lauf läßt, eben eine Perfönlich-
keit voll bewußter Kraft und eigenßem Rhythmus.
Beim Johanneskopf dagegen einer von den Vielen,
die im handwerklichen Verband Änftändiges,
felbft Gutes leißen, aber nicht die Kraft haben,
das ihnen Anvertraute originell weiterzubauen.
Und ebenfo der zeitliche Ünterfchied von gro-
ßer Differenz. Bei Erminold die herbe, große
[Ducht des Monumentalftils idealißifch-pathe-
tifcher Überfteigerung des realen Lebens. Beim
Johanneskopf die fentimentale Einfühlung einer
weicheren 3eit, die mehr in gleitenden Li-
nien fpricht, nicht die Kühnheit hat, die Natur
derart zu ßiliperen, fondern pe mehr emppndfam
verklärt. Es liegen zwifdjen den zwei [Derken
mindeßens drei Generationen. Man wird die
Johannesfchüffel kaum vor das letzte Viertel des

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