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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 16.1924

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Salmony, Alfred: Die Anfänge der Großplastik in China
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https://doi.org/10.11588/diglit.41564#0414

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fdjwingenden Linie. Der Schwanz ringelt fid) um das Hinterbein und legt fid) über
den linken Vorderfuß, ohne daß ein Reft von Relief wie bei Einzelheiten des Pferde-
körpers gewaßrt bliebe. Auf 3ei<hnung (vgl. die Rippen des Pferdes) verzichtet diefe
plaftifd) vollkommenere Figur überhaupt, fo daß diefe Catfache fcßon die 3uweifung
mindeftens in den zweiten Ceil der Doppeldynaftie der Han (25—220 n. Qr.) recht-
fertigt. Wiederum find Kopf und Bruft verftärkt, kraftgefd) wellt. Die reine Vorder-
anfid)t (Äbb. 3) zeigt daher den Steinkörper vollkommen gefchloffen. Das Dreiviertel-
profil (Äbb. 4) enthüllt ganz die Drohung, die im Ausdruck des Kopfes und des fprung-
bereiten Rumpfes liegt. Schon die gewaltig vergrößerten Augen, das fletfdjende Maul
mit den für die Han-3eit fo typifchen vorfteßenden Hauern beweifen, daß tyer eine
über Dekoration hinausgehende [Hirkung gefucht ift. Diefes Kaljentier und fein Kopf
find im Schmuck der Bronze- und Congeräte der Han-3eit überaus häufig, aber dann
vereinfacht, ornamental umgedeutet, nicht bewußt verftärkt und auf größte [Hirkung
geftellt. Schon die Pofe fordert Bedeutung. Diefer Ciger ift Symbol, entnommen der
ürlehre Chinas, dem Syftem des Univerfismus, um ein [Hort de Groots zu verwenden.
Diefe ältefte Lehre der [Heltbefeelung begründet alles Gefd)ehen auf der ftändigen
Durchdringung der zwei Prinzipien, Yang ift „leuchtend, h^iß. trocken, erfüllt, fiel)
kundtuend — männlich“, Ying „dunkel, kalt, feucht, h°hf verborgen — weiblich“
(L. de Saussure: Le Systeme astronomique des Ci)inois, Ard)ives des Sciences physiques
et naturelles V 1, Geneve). Yang, das Element der Luft, verfinnbildlid)t der Drache,
Ying, die Erde, der Ciger. Die Feftlegung und der Ausbau des kosmologifd)en Syftems
in Geomantik und Aftronomie bildet die eigentliche Lebensaufgabe, das große [Herk
der Han-Dynaftie. Die Ausbreitung diefer hingehenden [Hiffenfd)aften gab dem erften
zentralifierten [Heltreid) auf chinefifchem Boden das zufammenhaltende Band. Der
Ciger findet fid) aud) im aftronomifd)en 3yklus der zwölf Ciere. Er hat feine Stellung
in der älteften Symbolik der Himmelsrichtungen und Jahreszeiten (Saussure a. a. O.,
S. 217). Deren Vierzahl erfd)eint häufig auf den Seiten der Grabpfeiler. Es entfprechen
dann Often dem Frühling und dem grünen Drachen, Süden dem Sommer und dem
roten Vogel, [Heften dem Herbft und dem weißen Ciger, Norden dem [Hinter und
der fchwarzen Schildkröte. Alle diefe Verbindungen entfpringen einem tiefen Gefühl
für das (Hefen der Ciere. In divinatorifcher Verfenkung hat man fie mit reichen Be-
ziehungen zur Gemeinfchaft und zum Einzelnen ausgeftattet. So — geladen mit dem
Bedeutfamften, was das Leben des chinefifchen Menfchen erfüllen kann — feiner [Helt-
deutung, drängen fie zur Darftellung. Vielleicht hatte diefer Ciger noch Feine drei
Cierbegleiter. [Hahrfcheinlid) umftand er mit ihnen ein Grab, denn in den Ahnenkult
mündet alle Kunft der Han-Dynaftien ein.
Undeutlich wird das Kaftentier wieder zum Dekor. Der drohend zur Abwehr aus-
fchreitende Körper des Phantafiegebildes (Abb. 5) befchüfet das Grab des Fan-Min in
Lu-d)an-hien (Provinz Sze-d)uan). Ornamental find [Hangen und Schulter geflügelt.
Der Bogen des Leibes wiederholt die Linienführung, die bis in die Reliefbänder der
Conurnen die 3eit verrät. Die gefpannte Bewegung erinnert an das Hrbild, den Ciger,
der ornamentale Kopf mit dem geöffneten Maul an den Löwen. Die leichtere Bildung
weift an das Ende der Epoche. Es ift fd)on Routine in diefer Verwertung alter Motive.
Mächtiger als vor dem Grabbezirk wirkt das Cier dem Coten nahe. Im Parifer
Kunfthandel fah man 1923 ein Bruchftück aus Con (Abb. 6), das wohl den Schmuck
der Außenfeite einer Sargkifte gebildet hat. Deren plaftifche Ausgeftaltung ift aus
fpäterer 3eit bekannt (vgl. B. Läufer „Chinefe Sarcophags“, Öftafiat. 3eitfd)rift I, Heft 3).
Offenbar waren die beiden Längsfeiten fkulptiert, fo daß nur die beiden Hauptfymbole,
Ciger und Dracße, Plafe fanden. Catfächlid) gibt es im Parifer Kunfthandel auch eine
Sargwand mit der Darftellung des Drachen. Der für die Han-3eit typifche graue Con
hat bei dem Cigerrelief noch alte Polycbromie in gelb und braun bewahrt. Der Kopf
droht wie im Stein. Das Auge ift übertrieben. Der fpringende Körper hat die Elaftizi-

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