haben; denn — der Künftler dazu war da, wie uns das einfame Glanzftück jener
Epoche in Mainz, die Madonna in der Fuftftraße beweift.
Ihren jetzigen Standort an der bifchöflicßen fogenannten Doppelkurie hat pe erft feit
etwa 1868 inne. Früher ftand fie an der Äuguftinerkirche, woraus Fr. Schneider1
fchloß, daß fie vielleicht aus deren Vorgängerin Klein St. Martin ftamme, die um 1260
von den Äuguftinern erworben und umgebaut wurde. In diefe 3eit 1270 oder etwas
früher dürfte ihre Entfteßung fallen. Übrigens wäre nicht ausgefcßloffen, daß fie ur-
fprünglich irgendwie mit dem Dom zufammenhing; etwa als Fragment einer nicht zur
Ausführung gelangten Portalplaftik vom Dom nach Klein St. Martin ßinüberwanderte.
Es ift natürlich, daß ße in ftiliftifcßer Parallele zu der geograpßifcßen Lage von Mainz
die Mitte zwifcßen Reims bezw. Chartres und Bamberg hält. Sie ift ein Kind der
großen Klanderbewegung deutfcßen Steinmeßentums. Aber da ift es nun merkwürdig,
wie die fcßöne Mainzerin — mit einer einzigen Geberde der Mantelraffung! — das
überkommene Kiefen abtut und fid) in einer neuen ganz perfönlicßen Art gibt. Denn,
man mag \)\n]e\)2n, wo man will, man wird für die bei ißr ßervorftecßenden Eigen-
heiten nirgend ein Vorbild finden.
Da ift zunächft das Mantelmotiv. Das Mantelende wird durch den linken Arm, ohne
Baufchung und Klemmung, derart aufgenommen, daß der herübergezogene Mantel vorn
eine Fjängekurve bildet, die — mit fymbolifcßer Empfindung — dem fcßlank aufftre-
benden jungfräulichen Leib einen mandorlahaften Rahmen gibt.
Diefer üypus weicht von dem franzöfifchen, insbefondere jenem der Schule von Reims,
weit ab. Dort bildet der Mantel eine Schlinge für den darin ruhenden rechten Arm
und wird in horizontaler Linie nach links über den Leib gezogen, wofür die Madonna
der Kathedrale von Reims das klafßfche Sdbjulbeifpiel bietet'2. Klir wiffen, wie das
Motiv fiel) weiter entwickelt, wie eine immer ftärkere Betonung des gebogenen rechten
Armes, wie etwa bei der „Goldnen Jungfrau“ von Amiens, einen neuen Rhythmus
accentuiert, der fiel), bei der Maria der „Fjeimfucßung“ zu Reims, durch ftarke Vor-
kragung des Arms über der fd)malen Fjüfte verftärkt und in der Bamberger Madonna
Anlaß zu einer neuen Laftverteilung für die ganze Figur und zu der Unterfcßeidung
von Stand- und Spielbein gibt.
Von diefer Entwicklung zeigt fiel) die Madonna in der Fuftftraße nicht berührt, eher
von der Schule von Chartres, wo der Mantel glatt über die Arme fällt und, wie bei
bei der ßl. Modefta, von der fcßücßtern herausgreifenden Fjand fo aufgenommen wird,
daß das gegürtelte Untergewand ficßtbar bleibt. Aber der Mainzer Meifter ift über
diefen älteren Stil durchaus felbftändig hinausgefeßritten.
Dagegen fteßt er um die elegante Drehung und Frontbildung, die die Reimfer Scßule
in ißrer Gewandbeßandlung der Körper gibt, im Kampf. Durch die ftarke Kurve des
Mantels und den hierdurch feßr kurzen Überfcßlag des Mantelendes feßlt ißm bei feiner
Figur der Raum auf der einen Seite für die Kaskade von Fjängefalten, auf der andern
für das Gegenfpiel der Rößrenfalten. Er hilft pd) nid)t ungefeßiekt aus der Klemme,
indem er das ftatifeße Motiv der Rößrenfalten in zwei Gefälle zerhackt, gerät hingegen
mit der Scßwermaffe des Mantels ins Gedränge, die fiel) in der Kniegegend des rechten
Beines wulftig ftaut und wirrt.
Die Madonna trägt, wie die Reimfer, kein Kopftucß. Die heute fehlende Krone wird
ße woßl befeffen haben. Die feßönen Locken ßuten frei rings um die Schultern und
vorn über die Bruft, wiederum ein Motiv, das Frankreich nicht kennt. Die Geßcßts-
bildung ift nicht franzößfeß. Die Formen enfpreeßen rßeinifchem Cypus.
Das Kind wirkt befonders durch den altertümlichen Kopf ganz areßaifeß. Die feine
Behandlung des Stofflichen, wie das Fjemd ßcb) dünn, in etwas ziehenden Falten über
1 Fr. Schneider, Kurmainzer Kunft, 1913.
2 Äbbildung der Reimfer Madonna mit intereffanten Konfrontationen aus Meißen und Erfurt in
Goldfcßmidts „Gotifcßen Madonnenftatuen“, Jaßresgabe des d. Vereins f. Kunftwiß. 1923.
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Epoche in Mainz, die Madonna in der Fuftftraße beweift.
Ihren jetzigen Standort an der bifchöflicßen fogenannten Doppelkurie hat pe erft feit
etwa 1868 inne. Früher ftand fie an der Äuguftinerkirche, woraus Fr. Schneider1
fchloß, daß fie vielleicht aus deren Vorgängerin Klein St. Martin ftamme, die um 1260
von den Äuguftinern erworben und umgebaut wurde. In diefe 3eit 1270 oder etwas
früher dürfte ihre Entfteßung fallen. Übrigens wäre nicht ausgefcßloffen, daß fie ur-
fprünglich irgendwie mit dem Dom zufammenhing; etwa als Fragment einer nicht zur
Ausführung gelangten Portalplaftik vom Dom nach Klein St. Martin ßinüberwanderte.
Es ift natürlich, daß ße in ftiliftifcßer Parallele zu der geograpßifcßen Lage von Mainz
die Mitte zwifcßen Reims bezw. Chartres und Bamberg hält. Sie ift ein Kind der
großen Klanderbewegung deutfcßen Steinmeßentums. Aber da ift es nun merkwürdig,
wie die fcßöne Mainzerin — mit einer einzigen Geberde der Mantelraffung! — das
überkommene Kiefen abtut und fid) in einer neuen ganz perfönlicßen Art gibt. Denn,
man mag \)\n]e\)2n, wo man will, man wird für die bei ißr ßervorftecßenden Eigen-
heiten nirgend ein Vorbild finden.
Da ift zunächft das Mantelmotiv. Das Mantelende wird durch den linken Arm, ohne
Baufchung und Klemmung, derart aufgenommen, daß der herübergezogene Mantel vorn
eine Fjängekurve bildet, die — mit fymbolifcßer Empfindung — dem fcßlank aufftre-
benden jungfräulichen Leib einen mandorlahaften Rahmen gibt.
Diefer üypus weicht von dem franzöfifchen, insbefondere jenem der Schule von Reims,
weit ab. Dort bildet der Mantel eine Schlinge für den darin ruhenden rechten Arm
und wird in horizontaler Linie nach links über den Leib gezogen, wofür die Madonna
der Kathedrale von Reims das klafßfche Sdbjulbeifpiel bietet'2. Klir wiffen, wie das
Motiv fiel) weiter entwickelt, wie eine immer ftärkere Betonung des gebogenen rechten
Armes, wie etwa bei der „Goldnen Jungfrau“ von Amiens, einen neuen Rhythmus
accentuiert, der fiel), bei der Maria der „Fjeimfucßung“ zu Reims, durch ftarke Vor-
kragung des Arms über der fd)malen Fjüfte verftärkt und in der Bamberger Madonna
Anlaß zu einer neuen Laftverteilung für die ganze Figur und zu der Unterfcßeidung
von Stand- und Spielbein gibt.
Von diefer Entwicklung zeigt fiel) die Madonna in der Fuftftraße nicht berührt, eher
von der Schule von Chartres, wo der Mantel glatt über die Arme fällt und, wie bei
bei der ßl. Modefta, von der fcßücßtern herausgreifenden Fjand fo aufgenommen wird,
daß das gegürtelte Untergewand ficßtbar bleibt. Aber der Mainzer Meifter ift über
diefen älteren Stil durchaus felbftändig hinausgefeßritten.
Dagegen fteßt er um die elegante Drehung und Frontbildung, die die Reimfer Scßule
in ißrer Gewandbeßandlung der Körper gibt, im Kampf. Durch die ftarke Kurve des
Mantels und den hierdurch feßr kurzen Überfcßlag des Mantelendes feßlt ißm bei feiner
Figur der Raum auf der einen Seite für die Kaskade von Fjängefalten, auf der andern
für das Gegenfpiel der Rößrenfalten. Er hilft pd) nid)t ungefeßiekt aus der Klemme,
indem er das ftatifeße Motiv der Rößrenfalten in zwei Gefälle zerhackt, gerät hingegen
mit der Scßwermaffe des Mantels ins Gedränge, die fiel) in der Kniegegend des rechten
Beines wulftig ftaut und wirrt.
Die Madonna trägt, wie die Reimfer, kein Kopftucß. Die heute fehlende Krone wird
ße woßl befeffen haben. Die feßönen Locken ßuten frei rings um die Schultern und
vorn über die Bruft, wiederum ein Motiv, das Frankreich nicht kennt. Die Geßcßts-
bildung ift nicht franzößfeß. Die Formen enfpreeßen rßeinifchem Cypus.
Das Kind wirkt befonders durch den altertümlichen Kopf ganz areßaifeß. Die feine
Behandlung des Stofflichen, wie das Fjemd ßcb) dünn, in etwas ziehenden Falten über
1 Fr. Schneider, Kurmainzer Kunft, 1913.
2 Äbbildung der Reimfer Madonna mit intereffanten Konfrontationen aus Meißen und Erfurt in
Goldfcßmidts „Gotifcßen Madonnenftatuen“, Jaßresgabe des d. Vereins f. Kunftwiß. 1923.
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