Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 16.1924

DOI Artikel:
Eisler, Max: Die Handzeichnungen von Salomon Kleiner
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.41564#0505

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Äber diefe Mängel der Gewandtheit verlieren fid). Und fo bleibt als erfter wefent-
licßer Vorzug der Serie ihr funktionelles Spiel, wodurch fie von Blatt zu Blatt, vom
Fjaus zur Gaffe, kurzum durch den Stadtraum felbfttätig hindurchführt. Der Betrachter
kann fich diefem 3wang zum Kleiterfeßen, Kleitergeßen nicht entziehen, denn in jedem
Geil wird ihm der fortrollende, umfaffende Organismus des barocken Klien gegenwärtig.
Er bleibt auf feinen Spaziergängen nicht allein, immer find ihm aus dem reichen
Vorrat der Staffage Begleiter mitgegeben. Sie zeigen, daß Kleiner — bis zuletzt —
ein kaum mittelmäßiger Figurenzeichner gewefen ift. Vor anfehnlicheren, näher ba-
rocken Aufgaben, verfagt er völlig, in den Klidmungsbildern zum dritten und vierten
Buch Teiner Kliener Anfid)ten erfcheinen die nackten Körper fchwammig, die Köpfe
fcßief und leer, die Gebärden lahm, die Gewänder flattrig und die Kompoßtion her-
gebracht. Der beffere Geil feiner Gaben liegt auch hier auf natürlichem Felde. Dabei
ift zu unterfdjeiden: für die vornehme Kielt, ihre meift fd)lanken, foignierten Fjerren
und Damen, ihre Karoffen und Sänften und ihre keineswegs raffigen Pferde hat er
fich etliche, nur wenig abgewandelte Gypen zurechtgelegt — feine andauernde Klaßr-
nehmung richtet fich auf das Volk. Und hier befreit er fich einigermaßen von der
Augsburg Nürnberger Formel. Allerdings, von feiner nervenlofen Cecßnik und feiner
anatomifeßen Unzulänglichkeit wird man weder im Nahen wirkliche Menfcßen, noch für
die Ferne die Kunft überzeugender Andeutung erwarten dürfen. Auch feine Leute aus
dem Volk bleiben Puppen, die fich den Repräfentanten der Oberfcßicht gedrungen bis
klobig entgegenftellen, wobei fie ihre fäuberlicß in drei „Lichter“ geteilten Scßlag-
fchatten werfen. Aber er weiß fie — die Bürger und Bauern, die Handwerker und
Caglößner, die Bürgersfrauen und die Gaffenjungen — nicht nur durch die Mannigfalt
ihrer Grachten und Gerätfchaften, ihrer Gäule und Fuhrwerke, fondern auch durch ißre
bis zum Affekt gefteigerte Aktion in lebhafte Beziehungen zu bringen. Die Szene vor
dem Schönbrunnerhaus unter den Gucßlauben, wo zwei Buben in edler Gemeinfcßaft
ihre Fjandfpritje auf zwei raufende Kleiber richten, die fich buchftäblich in den paaren
liegen, wobei eine Schürze entfliegt, ein Korb entrollt, während von der anderen Seite
ein Hündchen kläffend herbeieilt und die Straßenkehrer am Gitterbrunnen achtfam und
feelenruhig den Vorgang verfolgen, fie fteht nicht allein im Klerke unferes Künftlers.
Er beobachtet mit regem Intereffe die volkstümlichen Kundgebungen im Freien, von
dem jovialen Scharmuzieren des Feldwebels mit der Pujsmamfell bis zu den feierlicß-
ernften Paraden und Prozeffionen. Dabei fchreckt er, je fpäter je mehr, auch nicht vor
finnfälligen Derbheiten zurück, das Blatt mit dem Rennweg (um 1737) zeigt gleich zwei
Männer, die in diefem Nobelviertel — allerdings an der befchatteten Mauer — ißre
verfchiedentliche Notdurft verrichten. Er gibt einen kompletten Lebensfpiegel der ba-
rocken Kliener Straße, deffen Kunft allerdings hinter ihrer Sache beträchtlich zurück-
bleibt. Feinere Ausnahmen — die Gruppe der lungernden Raucher auf der Burgbaftei
und die andere des Malers vor der Staffelei mit dem Kavalier und KIad)tpoften auf
der Gonzagabaftei — finden fich nur in der Frühzeit (um 1725). Es fcheint demnach,
als ob der Künftler diefen Geil feiner Aufgabe fpäterhin vernaebläffigt habe. Denn
die vergleichbaren Gartenblätter mit den fteifen, demonftrativ pompöfen Statiften find
ein Verfall, der durch ißre kinomäßige Verteilung auf die verfeßiedenen Etagen nur
noch greifbarer wird.
All diefe — unter die Lupe genommen, alfo für fich — nur halb geratenen Cra-
banten gelangen erft im 3ufammenhang mit der Szene zu befferem Klert und erheb-
licherer Klirkung. Sie machen zunäcbft das Architekturbild lebendig. Diefes kommt
ißnen aber auch feinerfeits in gleicher Kleife entgegen. Schon das Kleinfeßen felbft
der monumentalen Bauwerke ift genrehaft. Nicht weniger ift die Art, wie von dem
Hauskörper die Glieder mit leifem Nachdruck abgehoben werden, wie der 3ierat auf-
gelockert und gefcßildert wird, illuftrativ, erzählend. Und auch was aus dem Bereich
der Atmofphäre nun noch hinzutritt, hat diefe Haltung: Schon das wiederkehrende
481
 
Annotationen