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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 16.1924

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Neue Literatur zur Keramik
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https://doi.org/10.11588/diglit.41564#0592

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Neue Literatur zur Keramik

[einer Nachfolger, deren tedjniphe und künft-
leri[d)e Meifterphaft fid) Europa unterwarf, weil
pe gleichzeitig die wirtfdhaftlichen Bedürfniffe
und das äßhetifcpe Formgefühl ihrer 3eit in un-
übertrefflicher Cileife befriedigten, ift die eng-
lifche Keramik auf dem Kontinent bisher kaum
gekannt, fie ift jedenfalls in keinem unferer Mu-
feen auch nur annähernd ihrer Bedeutung nach
gefammelt worden. Das gilt, trog der feit Jahr-
zehnten grafperenden Porzellanleidenfchaft auch
von dem, in dem vorliegenden Klerke, das nicht
die Gefchichte der englifchen Keramik, fondern
enger gefaßt der englifchen „Cöpferkunft“ dar-
ftellt, nicht mitbehandelten englifchen Porzellan,
obwohl cs nach feinem technifchen Aufbau und
feiner künftlerifchen Behandlung auch neben den
franzöpfchen, fpanifchen und italienifchen Cüeich-
porzellanen eine Erpndung für [ich, und eine Er-
pndung von ganz eigenem äfthetifchem Reiz
bedeutet.
(Im fo dankbarer müffen wir den Verfaffern
für diefes mit vollkommener Kennerfchaft,
wärmfter Begeifterung und ausgeprägtem Sinn
für das Naturnahe diefer Erde geftaltenden Kunft
gefchriebene, wie alle Veröffentlichungen des
Verlages muftergültig ausgeftattete GQerk fein,
das das Chema nach dem großen Katalog von
R. L. fjobfon (1903) und dem kleinen, kürzlich
in 2. Aufl. erfchienenen Fjandbuch des British Mu-
seums zum erften Male in zufammenfaffender,
ßießend lesbarer Form behandelt.
Alle fremden und zahlreiche eigene neue For-
phungsergebniße der Verfaffer pnd — mit Ver-
zicht auf fdßweren dokumentariphen Ballaft —
verwertet.
ttlir heben hier nur einen, für die großen 3u-
[ammenhänge der europäifchen Gefchichte der
Keramik befonders bedeutfamen Punkt hervor.
Daß die, charakteriftifcherweife von alters her
„English Delft Klare“ genannten englifchen Fay-
encen von Fjolland — der am häufigften be-
gangenen Brücke vom Feftland nach England —
beeinßußt pnd, war lange bekannt: die Namen
holländifcher Cöpfer find als die der Begründer
der älteften englifchen Manufakturen urkundlich
überliefert. Auch das war fdhon feit einiger
3eit, vor allem aus englifchen Bodenfunden, die
für London in dem älteren Guildhall-Mufeum
und dem neuen im Palais des Duke of Soutper-
land bei St. James’ mit vorbildlicher Cecpnik
aufgeftellten London-Mufeum vereinigt pnd, deut-
lich, daß vor diefem Delfter Einßuß irgendeine
frühere, direktere Verbindung zwifchen England
und der italienifchen Majolikakunft beftanden
haben müffe. Nachdem nun kürzlich die Iden-
tität des von Piccolpaffo als Begründer einer
Majolikawerkpätte in Antwerpen bezeugten
Guido di Savino mit dem in Antwerpener ür-
kunden genannten Guido Andries gelungen war,
ift jegt durch die Namensgleichheit des mit einem
Jacob Janfon um 1567 eben aus Antwerpen
568

nach Norwid) gekommenen Jafper Andries,
deren Betrieb im Jahre 1570 nach London ver-
legt wurde, eben in diefem Jafper Andries das
mifßng link zwifchen Italien und England ge-
funden worden.
Der reiche Stoff des Buches ip mit gleich-
mäßiger Berückpchtigung der hiporifchen, werk-
künftlerifchen, ftiliftifchen und fabriktechnifchen
Gepchtspunkten disponiert. In einer kurzen Ein-
leitung wird nach einem ttlorte Ben Jonfons —
Ehe art plastik was moulding in clay or potters’
earth anciently. Cpis is the parent of statuary,
sculpture, graving and picture; cutting in brass
and marble, all serve under her — zunächft auf
die künftlerifche Urbedeutung der Keramik, der
einen Quelle alles bildenden Schaffens, pinge-
wiefen. Es folgt die Behandlung der mittel-
alterlichen Gefäßkeramik, an der [ich pnngemäß
— denn hier erhalten pch in den bleiglafierten,
slip-verzierten Gefchirren am deutlichpen be-
ftimmte, fchon im 15. Jahrhundert in der eng-
lifchenCöpferkunft auftretende Schmuckverfahren
— „die englifche Cradition“ anfcpließt, die als
breiter ünterftrom die ganze Gefchichte der eng-
lifchen Keramik begleitet.
Vielleicht hätte auch in der Behandlung des
Steinzeugs das riationale-engliphe Element noch
ftärker betont werden können. Denn fo deutlich
hier in dem in England feltfamerweife erft gegen
Ende des 17. Jahrhunderts erzeugten keramifchen
Stop feftländipher Einßuß bemerkbar wird —
die künftlerifche Behandlung ift doch von allem
Kontinentalen fehr deutlich gephieden — vor
allem in den einzigartigen Arbeiten von John
Dwight in Fulham, deßen überaus feltene, nur
in London und Liverpool erhaltene, mit <Hapr-
ßheinlichkeit auf Modelle von Grinling Gibbons
zurückgeführte plaftifche Schöpfungen durch die
Aufpndung einer jüngft für das Victoria and
Albert Mufeum erworbene Neptunßgur — die mit
dem Mars des British Museums und dem Jupiter
in Liverpool zu einer Reihe antiker Götter gehört —
um ein wichtiges Stück vermehrt worden ift.
In Rackham-Reads Darftellung erpheint das
Steinzeug als einer der großen vom Feftland
herüberßutenden Einßußftröme neben den zinn-
glafierten Fayencen, die von den frühen über
Antwerpen nach Italien zurückweifenden Inku-
nabeln, über die Chinoiferien des Barock zu den
fpäteften Darpellungen meift auf das Seeleben
deutender Motive, verfolgt werden.
Das legte Drittel des Buches nimmt dann die
Schilderung der Staßordspire - Cöpfereien und
ihrer Verwandten ein, bei denen urwüchpges
Cöpferwerk im Kampf mit derben Porzellan-
imitationen liegt. Den Äbphluß endlich bildet
ein „Che Neo-Clafpcal-Age“ überphriebenes Ka-
pitel mit einer kurz zufammenfaßenden tüür-
digung der künftlerifchen und induftriellen Lei-
ftungen Jofiah Cüedgwoods (und feiner Nach-
ahmer: Neale, Palmer, Curner, Adams).
 
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