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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 16.1924

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Roh, Franz: Ein neuer Henri Rousseau: zur kunstgeschichtlichen Stellung des Meisters
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https://doi.org/10.11588/diglit.41564#0743

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Dabei nun aber die reich geftufte Monotonie der Farbe, bei unferem Nadjtbild genau
[o, als bei manchen Vegetationsbildern, die in unabfel)baren Graden allein von Grün
gemalt zu [ein [djeinen.
Aus dem vielbefprodjenen Laien- und Äutodiktatentum Rouffeaus darf man
nicht allzuviel Verleiten, Klie viele Menfdjen find im Laufe der Gefd)id)te durch fremde
Berufe gefeffelte Dilettanten gewefen, ohne daß ihre Produkte gemeinfame ßaltung
erwiefen! Rouffeaus Primitivität ift durchaus eingebettet in die gefd)id)tlid)en Regungen
des beginnenden Expreffionismus. Rouffeau war ja nach Abwerfung feines Ämtd)ens
ganz der Kunft ßingegeben. Klir wiffen heute, daß an feiner Cür ftand: Cours de dic-
tion, musique, peinture et solfege. Er reichte der Commedie Francaise ein Cßeater-
ftück ein, er komponierte, fdjrieb Verfe und plante die Gründung einer Kunftfcßule
unter feiner Leitung. Er F>at mit den Menfdjen des fortfdjrittlicßften Lebenskreifes ver-
kehrt, Apollinaire (den erften Oieoretiker des Kubismus), Pierre Loti, Marie Laurencin
gemalt, die „Independents“ verherrlicht, im Salon d’Automne neben einer der fchönften
Plaftiken Maillols ausgeftellt und fid) von Picaffo ein Bankett geben laffen. Und die
blockkräftige Menfctjengeftalt auf unferem Bild verrät durchaus Verwandtfchaft mit den.
Formen der liegenden Kleiber Gauguins. Nur eine naive Gefchid)tsfchreibung wird
die gefamte Cropen[ehnfud)t, die fid) in Rouffeaus fpäten Urwaldbildern ausfprid)t,
herleiten wollen aus der Privaterinnerung an eine Mexikofahrt, wie fie Rouffeau früher
als Regimentsmufiker erlebte. Klir wiffen, daß die Objektwerdung foldjer Komplexe
immer von zeitgefd)id)tlichen Ein[d)lägen abßängt, in deren Gewebe auch der 3urück-
gezogenfte verflochten bleibt. So fprid)t aus den Urwaldbildern Rouffeaus der neuere
Exotismus, der gegen Ende des 19. Jahrhunderts fo gut in Verfen Klhitmans als im
Bildern und dem Südfeeleben Gauguins hervorbricht.
Nun war aber die Kunft Frankreichs zu Rouffeaus 3eit hauptfäd)lid) dgnamifd) ge-
richtet. Cezanne und van Gogh waren vor allem auf die Magie der Bewegung und
Bewegtheit eingeftellt. ßeute. wo wir zu [tatifd)erer Kleltdeutung überzugehen fcheinen,
wiffen wir, daß wir auch darin Anbahner hatten. Id) denke hierbei weniger an das
Feftgelegte bei Segantini, ßodler, Gauguin (um gleich an drei Nationen zu erinnern),
als an Seurat, deffen Klirkung erft zu kommen fd)eint. Von eindeutigerer Art hierin
ift aber Rouffeau, weil feine Gehaltenheit und Gegenftandstreue gewaltiger ift als die
eines Seurat.
Drei gefd)id)tliche Umftände waren es, die Rouffeau eine abgefonderte Stellung in
feiner 3eit gaben. Vor allem natürlich der angeborene Geift beharrender, liebender
Eindringlichkeit auch gegenüber aller Kleinform. Sodann aber eine geheime Rezeption
von provinzieller, volkstümlicher Biedermeiermalerei, wie [ie fid) in verfteckteren Klin-
keln auf dem Lande, aber auch m den Städten durch ganz Europa l)mdurd) erhalten
hatte. Ihre Beziehungen zu Rouffeau will ich an anderen Orten aufdecken. Sodann
möchte er per[ifd)e Miniaturen gefehen haben, nach mancher Einwirkung auf die
Bilder feiner geklärten Phafe zu fchließen. In Paris war Derartiges leicht zu erreichen,.
Nicht zule^t haben natürlich die Beftrebungen der Gauguin, Seurat in ihm gearbeitet.
Cezanne fpielte für die Künftler des dynamifchen Expreffionismus die Rolle eines
unbewußten Eröffners ihrer Bewegung. Rouffeau wird heute, Cezanne vorläufig immer
mehr ablöfend, Eröffner für die foeben eintretende Generation. Man kann bereits von
einer Rouffeau-Sd)ule, die id) einmal zufammenftellen werde, als geiftesgefd)id)tlicher
Erfcheinung fpred)en.
Klas die Jüngften, die den abftrakteren Expreffionismus überwinden wollen, unauf-
haltfam zu Rouffeau zieht, liegt in jener Magie der Gegenftändlichkeit. Rouffeau wußte
in einer 3eit, als Alle die geheimen Kraftfelder und -linien, die h^ter der Natur
liegen, faffen wollten, geruhig beim Objektcharakter der Kielt zu bleiben. Andererfeits
aber verfank er nie in den älteren, unkonftruktiven Realismus des 19. Jahrhunderts,
foweit diefer einem fyftemfernen Oberfläd)en-Phänomenalismus huldigte. Konnten des-

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