Paul Klee 1923/24
Von WILL GROHMANN / Mit einer Vierfarbentafel, zwölf
Abbildungen auf sechs Tafeln und zwei Textabbildungen1
Paul Klee ift heute weder ein mufikalifches Intermezzo, nod) eine myftifd)e Kon-
feffion, nod) eine exotifd)e Provinz. Man tut il)m Unrecht, will man ihn als
Sonderfall ifolieren und feinen Änteil an der gegenwärtigen Malerei in Europa
fdjmälern. Klees Werk ift, wie die Ärbeiten der lebten 3eit einwandfrei beweifen,
kein romantifdjer Irrtum auf der Grenze von Weisheit und Darftellung, fondern einer
der auffcl)lußreid)ften Beiträge zur Erkenntnis der Möglichkeiten in der Malerei über-
haupt. Wir haben allzulange uns mit rein fubjektiven Eindrücken zufrieden gegeben
und fie nach der Seite der eignen did)terifd)en, philofophifchen und mufikalifd)en Phan-
tafie ausgebaut. Die Franzofen glauben heute noch, es handle fid) bei Klee um eine
typifd) deutfdje, kunftferne Herzensangelegenheit, die gar nicht den Änfprud) erhebe,
den Kreis der Eingeweihten zu überfd)reiten; und doch müßten gerade fie rein aus der
Kultur der darftellerifcßen Mittel den tiefen 3ufammenhang mit allen Energien, die feit
50 Jaßren das Gefid)t der europäifd)en Kunft geformt haben, erkennen. Daß von den
vielverzweigten Erlebniffen des Malers in Deutfcßland, Frankreich, Italien und Nord-
afrika nichts ohne weiteres ablesbar ift, erhöht die Bedeutung diefes Falls und zeigt
die feltene Intenfität, mit der Klee alles von außen Kommende auffaugt, ins Blut auf-
nimmt und nicht eher herausftellt, als bis es fein perfönliches Eigentum geworden ift.
Selbft eine Begegnung mit Matiffe oder Kairuan trat erft nach einer vielfachen Ver-
wandlung in das Bewußtfein des Malers und 3eid)ners. Seinem lebten Schaffen gegen-
über wäre es vollends verfehlt, das Woher zu überprüfen, wo das Was alles ift.
Noch nie hat Klee fo vielfeitig und fo in die Liefe gehend gearbeitet wie in den
letzten Jahren, und noch nie hat er fid) fo wenig wiederholt. Gewiß hat er feine Fjand-
feßrift, den Kanon feiner Mittel foweit feftgelegt, daß er auf jedem Blatt erkennbar ift,
aber nicht eine Formel trübt die Freude an der Unerfd)öpflid)keit feiner Äusfagen,
immer fteigt Klee hinab bis zur lebten Wefenheit, die ihm die Form vorfd)reibt und
vor Wiederholung bewahrt. Die reine Äbftraktion wird auch dort, wo fie voll innerer
Bewegung ift, den Eindruck der Begrenztheit des Formenreichtums nicht vermeiden
können und diefes Minus im günftigften Falle durch andere Werte ausgleichen. Klee
ift von diefer Geftaltung weit entfernt, ein 3uviel an Gehalt erzwang bei ihm eine
3ufammendrängung, die nicht mehr verbanden wurde und als Äbftraktion am leid)teften
einzuordnen war. In den lebten zehn Jahren ift die Fülle feiner Gefid)te fo über alle
Vorftellung hinausgewachfen, daß er fid) ihrer nur erwehren konnte, indem er einen
Stil entwickelte, der vom Wirklichen nur das behält, was für den betreffenden Fall
unentbehrlich ift. Das ift manchmal viel, manchmal beinahe nichts. Es gibt Blätter,
auf denen fogar der üblichen Vernunft erkennbare Vorgänge und Catfad)en deutlich
und zufammenßängend da find, menfd)lid)e Dramen und folche bei Pflanzen und
Eieren, Architekturen und Cheaterfzenen. Und es gibt Blätter, wo die Äbftraktion fo-
weit fortgefchritten ift, daß fd)on eine ziemlich genaue Kenntnis aller Ärbeiten dazu-
gehört, um ihren Sinn zu verftehen. Äber Klee ift hilfsbereit, ganz feiten nur fehlt
eine Unterfdjrift, die felbft dem Äußenftehenden den Scßlüffel in die fjand gibt. Das
Äuge kommt aber auch bei diefen Darftellungen nicht zu kurz. Man hat zuviel von
Klees Mufikalität gefprod)en, und einige Analoga haben den Geiger Klee zum Schöpfer
feiner Farbenwunder und Bach und Mozart, denen feine mufikalifd)e Leidenfd)aft gilt,
zu feinen Paten gemacht. Id) glaube, mit gleichem Recht könnte man das Werk Leo-
nardos mathematifd) verdunkeln. Daß der künftlerifcße Impuls fid) aus vielen und oft
recht verfd)iedenartigen Komponenten zufammenfetjt, bedarf keiner Erörterung, daß
1 Die Cüiedergabe der Bilder erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags Hans Golt} in
München.
Der Cicerone, XVI. Jatjrg., §eft 17
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Von WILL GROHMANN / Mit einer Vierfarbentafel, zwölf
Abbildungen auf sechs Tafeln und zwei Textabbildungen1
Paul Klee ift heute weder ein mufikalifches Intermezzo, nod) eine myftifd)e Kon-
feffion, nod) eine exotifd)e Provinz. Man tut il)m Unrecht, will man ihn als
Sonderfall ifolieren und feinen Änteil an der gegenwärtigen Malerei in Europa
fdjmälern. Klees Werk ift, wie die Ärbeiten der lebten 3eit einwandfrei beweifen,
kein romantifdjer Irrtum auf der Grenze von Weisheit und Darftellung, fondern einer
der auffcl)lußreid)ften Beiträge zur Erkenntnis der Möglichkeiten in der Malerei über-
haupt. Wir haben allzulange uns mit rein fubjektiven Eindrücken zufrieden gegeben
und fie nach der Seite der eignen did)terifd)en, philofophifchen und mufikalifd)en Phan-
tafie ausgebaut. Die Franzofen glauben heute noch, es handle fid) bei Klee um eine
typifd) deutfdje, kunftferne Herzensangelegenheit, die gar nicht den Änfprud) erhebe,
den Kreis der Eingeweihten zu überfd)reiten; und doch müßten gerade fie rein aus der
Kultur der darftellerifcßen Mittel den tiefen 3ufammenhang mit allen Energien, die feit
50 Jaßren das Gefid)t der europäifd)en Kunft geformt haben, erkennen. Daß von den
vielverzweigten Erlebniffen des Malers in Deutfcßland, Frankreich, Italien und Nord-
afrika nichts ohne weiteres ablesbar ift, erhöht die Bedeutung diefes Falls und zeigt
die feltene Intenfität, mit der Klee alles von außen Kommende auffaugt, ins Blut auf-
nimmt und nicht eher herausftellt, als bis es fein perfönliches Eigentum geworden ift.
Selbft eine Begegnung mit Matiffe oder Kairuan trat erft nach einer vielfachen Ver-
wandlung in das Bewußtfein des Malers und 3eid)ners. Seinem lebten Schaffen gegen-
über wäre es vollends verfehlt, das Woher zu überprüfen, wo das Was alles ift.
Noch nie hat Klee fo vielfeitig und fo in die Liefe gehend gearbeitet wie in den
letzten Jahren, und noch nie hat er fid) fo wenig wiederholt. Gewiß hat er feine Fjand-
feßrift, den Kanon feiner Mittel foweit feftgelegt, daß er auf jedem Blatt erkennbar ift,
aber nicht eine Formel trübt die Freude an der Unerfd)öpflid)keit feiner Äusfagen,
immer fteigt Klee hinab bis zur lebten Wefenheit, die ihm die Form vorfd)reibt und
vor Wiederholung bewahrt. Die reine Äbftraktion wird auch dort, wo fie voll innerer
Bewegung ift, den Eindruck der Begrenztheit des Formenreichtums nicht vermeiden
können und diefes Minus im günftigften Falle durch andere Werte ausgleichen. Klee
ift von diefer Geftaltung weit entfernt, ein 3uviel an Gehalt erzwang bei ihm eine
3ufammendrängung, die nicht mehr verbanden wurde und als Äbftraktion am leid)teften
einzuordnen war. In den lebten zehn Jahren ift die Fülle feiner Gefid)te fo über alle
Vorftellung hinausgewachfen, daß er fid) ihrer nur erwehren konnte, indem er einen
Stil entwickelte, der vom Wirklichen nur das behält, was für den betreffenden Fall
unentbehrlich ift. Das ift manchmal viel, manchmal beinahe nichts. Es gibt Blätter,
auf denen fogar der üblichen Vernunft erkennbare Vorgänge und Catfad)en deutlich
und zufammenßängend da find, menfd)lid)e Dramen und folche bei Pflanzen und
Eieren, Architekturen und Cheaterfzenen. Und es gibt Blätter, wo die Äbftraktion fo-
weit fortgefchritten ift, daß fd)on eine ziemlich genaue Kenntnis aller Ärbeiten dazu-
gehört, um ihren Sinn zu verftehen. Äber Klee ift hilfsbereit, ganz feiten nur fehlt
eine Unterfdjrift, die felbft dem Äußenftehenden den Scßlüffel in die fjand gibt. Das
Äuge kommt aber auch bei diefen Darftellungen nicht zu kurz. Man hat zuviel von
Klees Mufikalität gefprod)en, und einige Analoga haben den Geiger Klee zum Schöpfer
feiner Farbenwunder und Bach und Mozart, denen feine mufikalifd)e Leidenfd)aft gilt,
zu feinen Paten gemacht. Id) glaube, mit gleichem Recht könnte man das Werk Leo-
nardos mathematifd) verdunkeln. Daß der künftlerifcße Impuls fid) aus vielen und oft
recht verfd)iedenartigen Komponenten zufammenfetjt, bedarf keiner Erörterung, daß
1 Die Cüiedergabe der Bilder erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags Hans Golt} in
München.
Der Cicerone, XVI. Jatjrg., §eft 17
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