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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 16.1924

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Grohmann, Will: Paul Klee 1923/24
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https://doi.org/10.11588/diglit.41564#0820

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aber der entfcßeidende Äntrieb um der Befonderßeit einer Veranlagung willen abge-
fcßwäcßt wird, gel)t nicht an. Hir haben ficßer die wecßfelfeitige Durchdringung der
Künfte zur Befruchtung des künftlerifchen Lebens gebraud)t, heute können wir diefe
Dinge ruhiger überfeßen und Abgrenzungen an weiter gelegenen Punkten wieder
gelten laffen.
Aus dem Jahre 1921 gibt es eine. „Fuge in Rot“ (Äbb.). Der Eitel verführt, in ihr
das malerifcße Gleichnis einer mufikalifchen Imitation oder einer Badifchen Fuge zu
feßen, in den vier FJauptformen das Cßema, die Antwort, das Cßema in der dritten
Stimme und die Antwort darauf in der vierten. Die lebendige Abwechslung der Ver-
teilungsverhältniffe, der Reichtum der Formvorgänge erinnert an den polyphonen muß-
kalifchen Stil. Rot wäre die Eonart, Jie moduliert von Dunkelviolett zu Rofa und Gelb-
rofa. Aber fcßon dabei ergeben [ich Gewaltfamkeiten, denn die Eonart könnte frühestens
in der zweiten Stimme wechfeln, nicht innerhalb des Eßemas. Soll aber in der Form
der Übergang zur Dominante liegen, fo wäre die lineare Entwicklung des Eßemas
kaum genügend angedeutet. Der Grenzfall gerade zeigt, wie wenig Klee auch dort,
wo er aus dem Mufikalifchen heraus eiu Bild fchafft, vom «Hefen der Gattung fiel}
entfernt; fo wenig wie Verlerne von der feinen in den tieftönenden Verfen der Chanfon
d’Auiomne. Eine gefetjmäßige Farbenabftufung lebt fid} in gefetjmäßig aufeinander
bezogenen Formen aus, ein einfacher Fall der Imitation, der in allen Kunftgattungen
als ein felbftverftändliches Mittel bekannt ift. Entfprecßendes hat Fjodler in feinen
wandbildmäßigen Reihungen mit 3uhilfenal)me des Körperausdrucks verfucht. Has bei
ihm in der Abwandlung der Gebärde liegt, fteckt bei Klee in der Abwandlung der be-
deutungsvollen Form und Farbe. Das Blatt ift dem Mufiker tot, dem Augenmenfchen,
der nichts von Mußk weiß, lebendig, wofern er nur die weitgehende Abftraktion als
menfchlid} belangvoll zu empfinden in der Lage ift. Das in fiel} gefchloffene Farben-
und Formenfpiel gibt eine reftlofe Erfüllung nicht nur äfthetifcher Sehnfud}t. Die Ord-
nung, an die wir im Grunde alle glauben, ift fo rein darin, daß fie fiel) auf das Ganze
unferes Gefühls überträgt, und darin liegt wohl das einzige tertium comparationis zur
Mußk. Klee ift nicht immer fo, und gewiß wäre uns ein Blatt wie die Fuge nicht fo
wichtig, ftünde es nicht in einem Umkreis von Schöpfungen, die uns beweifen, daß es
nicht das Syftem, fondern das Leben ift, das feine Herke entftehen läßt. Klee hat
keine Eßeorie und ift in jeder Arbeit neu.
3eitlicß Tteßt neben der Fuge das „Nächtliche Feft“ (Abb.). Der Heg geht alfo nicht
auf einer Strecke von A nach B, fondern in konzentrifeßen Kreifen von einem 3entrum
nach außen. Das Nächtliche Feft liegt nicht im innerften Kreis, aber es ift eine feiner
liebenswürdigften Arbeiten. Die Feftlid)keit ift wie ein Glanz von innen, fo wie die
Sonntäglicßkeit auf den Figurenbildern Fjenry Rouffeaus. Menfchen find nicht dabei,
die Fjäufer mit ihren teils dörflichen, teils bizarr exotifchen Formen geben fiel) felbft
ein Feft in Smaragdgrün und 3iaSelrot; Braun, Rofa und Olivgrün find dabei und an
einigen Stellen fd)immert Goldftaub. Im Fjimmel fpiegelt ßch das Feuerwerk, und auf
der Erde müffen Bäume und Pßanzen erfetsen, was an Sternen fehlt. Die Formen
ßnd wirklich und auch wieder nicht, in den Verhältniffen beftimmt durch die mittlere
Bildachfe, die durchlaufende Giebellinie der Gebäude. Ein Spuk ift es nicht, eher
ein Spiel, eine nächtliche Eßeatervorftellung der Natur. Infantil, fagen manche; ge-
wiß, fo wie in jedem ernftßaften Erwacßfenen ein Stück Kind bleibt. And) das
ift da, gelegentlich, nicht grundfä^lid). Und eigentlich tritt gerade diefes Moment
in der lebten 3ßit meßr und meßr zurück. Ein Blatt wie das „Handbild aus dem
Eempel der Seßnfucßt“ (Abb.) gehört zu denen, wo die Umfefeung des Heiterlebens
in einer fo ßoßen Potenz gegeben ift, daß ein Meßr an Realerklärung, als Klee felbft
durcß die Benennung gegeben hat, den Sacßverßalt trüben würde. Die Symbolfpracße
der Pfeile, der Pendel, der Hage ift offenbar metapßyßfcß entftanden. Klee ßat ßcß
über diefe Dinge im „Baußausbucß“ einmal kurz und eindeutig ausgefproeßen. Die

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