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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 16.1924

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Bombe, Walter: Die Befreiung von San Francesco in Assisi
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https://doi.org/10.11588/diglit.41564#1106

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Studien und Forfö)ungen

jugerid, die an der Stätte, wo einft die Philofophie
des Platon und des Ariftoteles gelehrt worden
war, das Alphabet und die Grammatik übte.
CtJer aber diefe durch das töaifenhaus in Befijz
genommenen 'Ceile des Klofters auffucbt in der
Hoffnung, dort eine £Deil)eftunde der Erinnerung
an den bl. Franz zu verleben, der erfährt eine Ent-
täufcbung, wie man fie |icb größer und fchmerz-
licber kaum vorftellen kann. Das große Refekto-
rium äft neu geweißt worden und präfentiert auf
einer ÜJand groß und an [prucbsvoll das Klappen
des H3IJfes Savoia. Kler heute die Fresken des
Dono dei Doni im großen Kreuzgang betrachten
will, ftebt vor Ruinen. Die Schuljugend, der man
den Kreuzgang als Spielplatz überlaffen hat, be-
nutzte die Fresken folangeals gielfcbeibe beim Ball-
fpiel, bis die Farbe in großen Stücken herunter-
fiel. Als das Gnl)eil gefcbeben war, brad)te man
zum Schutze vor weiteren 3erftörungen Draht-
netze an. Man kann ohne Übertreibung be-
haupten, daß in den Räumen des Klofters fo gut
wie nichts mehr an den heiligen Franz erinnert.
Die einzelnen Gemächer tragen die Namen von
ünterricbtsminiftern und Staatsfekrelären. ttler
in der Krypta am Grabe des heiligen Franz an-
dächtig verweilt, der hört durch dieFenfter, die
auf den Sd)ulbof führen, das Lärmen der Schul-
jugend, die an den Fenftern akrobatifcbe Kletter-
kunflftücke treibt und neugierig in die Krypta
bineinfchaut. Obgleich diefe 3uftände ebenfo
unwürdig wie unerträglich waren, haben die
Patres fie fünfzig Jahre lang ertragen müffen.
Jetzt endlich fcblägt für fie die Stunde der Be-
freiung. Der Staat hat fiel), nachdem Muffolini
für die gute und gerechte Sache gewonnen
war, zur Übernahme eines beträchtlichen Geiles
der Baukoften des neuen Cüaifenbaufes für die
200 3öglinge bereit erklärt, die das Klofter ver-
laffen werden, fobald das neue Gebäude voll-
endet ift. Die Baukoften werden annähernd vier
Millionen Lire betragen. Einen Geil der Koften
übernimmt das Klofter, die Stadt Affifi aber hat
zu dem guten Gelingen des tüerkes dadurch
beigetragen, doß fie den Bauplajz hergab. So
darf man alfo hoffen, daß zur Siebenhundert-
jahrfeier die monumentalen Klofterbauten, in
denen einft Päpfte und Fürften, Dichter und
Denker als Gäfte der Patres geweilt haben, ihrer
urfptünglichen Beftimmung zurüdegegeben fein
werden. Die Söhne des ferapbifeben Patriarchen
aber werden fiel) wieder in großer 3abl ein-
finden, zu Nutz und Frommen des Kultus, der
zu feinem alten Glanze erwachen foll und zum
Segen der Kliffenfebaft, die hier eine neue Stätte
der Forfcbung gewinnen wird, wenn erft Biblio-
thek und Archiv, die jefzt in der Stadtbücherei
untergebracht find, in ihre alten Räume zurück-
gekehrt fein werden. Dann wird auch ein alter
Plan der Patres feine Verwirklichung finden,
die Gründung eines großen Inftituts für die
Orientmiffion des Ordens.

Anläßlich der Siebenhunderljahrfeier wird ge-
plant, die Krypta im Stil der 3eit des bk Franz
wiederberzuftellen. Fj’er, unter dem Hochaltar
liegt der heilige Franz in einem Grabe, das
Frate Elia in dem lebendigen Fels hatte aus-
febaebten laffen. So bat fein Körper viele Jahr-
hunderte lang unter dem ihm geweihten Hoch-
altar geruht, ohne daß ein äußeres 3eicben die
Stelle angab. 3uerft war das Grab noch zu-
gänglich, dann aber wurde es durd) Steinplatten
und Geröll verfchloffen und verblieb in diefem
3u|tande bis zum 12. Dezember 1812, als man
es öffnete. Nach mübfeliger, durch 52 Nächte
fortgefetzter Arbeit fand man hinter einem eifer-
nen Gitter den kahlen Steinfarkophag, der die
Refte des heiligen Ordemsftifters barg. 3ur Er-
innerung an die glückliche ttliederauffindung
wurde nunmehr eine Krypta erbaut, leider im
neuklaffiziftifcben Stile der 3eit, der fiel) durch-
aus nicht der herben Strenge der fonftigen Archi-
tektur von San Francesco anzupaffen vermag.
Der Sarkophag mit dem ihn umfcbließenden
Gitter des 13. Jahrhunderts aber blieb eibalten
und ebenfo ein mäd)tiger aus Feisblöcken ge-
bildeter Pfeiler, der das Gewicht des auf ihm
ruhenden Hochaltars zu tragen hat und zugleich
an den 3uftand erinnert, in dem das Grab auf-
gefunden wurde.
Der wenig bekannte Kirchenfchah von San
Francesco enthält einzigartige Kunftwerke. Ob-
gleich er mehrmals arg geplündert worden ift,
dreimal im Mittelalter, dann bei der franzöfi-
feßen Invafion unter Napoleon 1. und zuletzt nad)
der Aufhebung des Klofters, kann (ich der „Ce-
foro privato“, was die Bedeutung feiner Haupt-
ftüdre betrifft, mit manchem bod)berübmten deut-
fchen Domfcbajz meffen. Leider ift er, folange
die feit der Aufhebung des Klofters begehenden
Raumverhältniffe noch dauern, völlig unzugäng-
lich. Ich habe ihn zu Geficht bekommen, als ich
für die große Ausheilung altumbrifcber Kunft in
Affifi arbeitete und als Mitglied des ausführen-
den Komitees bei der Auswahl der auszuftel-
lenden Stücke meine Hdfe lieh- Als kofibare
Reliquien kamen damals nad) Perugia zwei
wundervolle Seidenftoffe, die als Bahrtücher des
hl. Franz gedient haben füllen, beide nad) orien-
talifcben Vorbildern in Sizilien gefertigt. Der eine
zeigt Pflanzenornament auf rotem Grunde, der
andere nod) koftbarere auf hellgelbem Grunde
in ftumpfem Golde aufgcTtickte Papageien und
Hunde, ftreng fymmetrifd) je zwei fich gegen-
über, beide Stücke von beifpiellos guter Erhal-
tung. Von den vielen Altarvorfäjzen, die in den
alten lnventaren erwähnt werden, ßnd nach den
Plünderungen des Schatzes nur nod) wenige
vorhanden, darunter aber ein Stück, das kaum
irgendwo feinesgleichen hat, das fogenannte
Paliotto Papft S'xtus IV., daß diefer Franzis-
kanerpapft der Baßlika von San Francesco ge-
giftet hat. Es zeigt in der Mitte den päpfllichen

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