Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 16.1924
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https://doi.org/10.11588/diglit.41564#1166
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Eberlein, Kurt Karl: Caspar David Friedrichs Zeichenkunst
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bedeuturigsleer erftarrt war. Icß ßabe an anderer Stelle ausgefüßrt1, welche Arbeit die
neue romantifeße Linienkunft zu leiften b>atte, und wie fic zunäcßft in der Blatt- und
Bucßgrapßik ib)re Befreiung fueßte. Mit diefer romantifeß-neudeutfeßen Kunftlinie
deren Aßnen Flaxmans klaffiziftifeße ümrißlinie, die primitive ümrißlinie der Durcß-
zeießnungen, die riordifcße Stieß- und Scßnittlinie der Volksbücßer und die vielgeliebte,
kurfive Federftricßlinie des Dürerfcßen Maximilian-Gebetbucßes wurden ßat Friedrieß
nießts zu tun. (Häßrend Runge die klaffiziftifd)e ümrißlinie für feine neuen Bedeutungs-
formen immer noeß benujjt und fein Farbwefen viel reiner entwickelt als fein Linien-
wefen, dringt Friedrieß feßr früß von der barodeen Scßullinie zu einer neuen 3eicßen-
linie vor, die er ßcß, aus zierlicßftem Verismus zu einer letzten, faft afiatifeßen Steno-
grapßie geftaltet. Aucß ßier ift er der große Einfame und ünverftandene, der oßne
Gemeinfcßaft feine monologifcße Exiftenz geftaltet. Da er verftanden fein wollte, mußte
er feine fymbolifeße Geßeimfpracße mit den Formen der organifeßen Natur vermummen,
wie er es in feinen Gemälden, Aquarellen und Sepiablättern tat. Er fpraeß fein fub-
jektives (Hefen in objektiven Landfcßaftsbildern aus, und nur in feinen (Herkzeicß-
nungen entfaltet er feine eigenartige, unvergeßlicße 3eicßenfcßrift. Seine Scßüler wiffen
dies Erbe nießt zu verwalten. Sie zeießnen entweder malerifcß tonig (naeß Daßls Art)
oder kleinlicß veriftifcß wie der früßvollendete Fjeinricß, Friedricßs Meifterfcßüler. Das
3eicßen war verloren und wurde, naeß dem Intermezzo des Nazarenertums und der
neudeutfeßen Reftauration, erft fpäter — lange naeß der Siindflut des Naturalismus —
mit der (üiedergeburt der Linienzeicßnung von nordifdßen Künftlern wiedergewonnen,
die es unfrer neuen Kunft als ein köftlicßes Erbe vermaeßt ßaben. Da aber das 3eicßen
oßne geiftige Bindung und Gemeinfcßaft nießt leben kann, — dies ift das Problem der
religiöfen Kunft — erleben wir gerade ßeute das Scßickfal der romantifeßen Kunft in
neuer Spiegelung wieder und begreifen die 3uflucßt aus dem Efperanto des Exprefßo-
nismus zu der organifeßen Naturform, die ißr gemeinfcßaftbildendes Naturzeicßen der
großen menfeßließen Gemeinfcßaft immer wieder darreießt und vom fubjektiven (Hefen
der Innenwelt in das objektive (Hefen der Außenwelt zurücklockt. Denn immer wieder
wird in kunftmüden Seiten oßne bindende Gemeinfcßaftskultur die Natur als Retterin
angerufen. Offenbar ift es wieder an der 3eit< „den Finger an den Mund gelegt“
den Nacßdenklicßen jene feltfamen (Horte Goetßes zu wiederßolen, die er dem guten
Eckermann einmal in der Fenfternifcße zuflüfterte: „Icß will Ißnen etwas entdecken,
und Sie werden es in Ißrem Leben vielfad) beftätigt finden. Alle im Rückfcßreiten
und in der Auflöfung begriffenen Epocßen find fubjektiv, dagegen aber ßaben alle
vorfeßreitenden Epocßen eine objektive Ricßtung. Hnfere ganze jetzige 3ßit ift eine
rückfcßreiten de, denn ße ift eine fubjektive. Diefes feßen Sie nießt bloß an der Poefie,
fondern aueß an der Malerei und vielem anderen. Jedes tücßtige Beftreben dagegen
wendet fieß aus dem Inneren ßeraus auf die (Heit, wie Sie an allen großen Epocßen
feßen, die wirkließ im Streben und Vorfcßreiten begriffen und alle objektiver Natur
waren.“
1 Die Märcßenilluftration der Romantik. Fauft. Eine Monatsfcßrift für Kunft, Literatur und
Mufik. Berlin 1923/24. Fjeft 8/9. S. 21/29.
1134
neue romantifeße Linienkunft zu leiften b>atte, und wie fic zunäcßft in der Blatt- und
Bucßgrapßik ib)re Befreiung fueßte. Mit diefer romantifeß-neudeutfeßen Kunftlinie
deren Aßnen Flaxmans klaffiziftifeße ümrißlinie, die primitive ümrißlinie der Durcß-
zeießnungen, die riordifcße Stieß- und Scßnittlinie der Volksbücßer und die vielgeliebte,
kurfive Federftricßlinie des Dürerfcßen Maximilian-Gebetbucßes wurden ßat Friedrieß
nießts zu tun. (Häßrend Runge die klaffiziftifd)e ümrißlinie für feine neuen Bedeutungs-
formen immer noeß benujjt und fein Farbwefen viel reiner entwickelt als fein Linien-
wefen, dringt Friedrieß feßr früß von der barodeen Scßullinie zu einer neuen 3eicßen-
linie vor, die er ßcß, aus zierlicßftem Verismus zu einer letzten, faft afiatifeßen Steno-
grapßie geftaltet. Aucß ßier ift er der große Einfame und ünverftandene, der oßne
Gemeinfcßaft feine monologifcße Exiftenz geftaltet. Da er verftanden fein wollte, mußte
er feine fymbolifeße Geßeimfpracße mit den Formen der organifeßen Natur vermummen,
wie er es in feinen Gemälden, Aquarellen und Sepiablättern tat. Er fpraeß fein fub-
jektives (Hefen in objektiven Landfcßaftsbildern aus, und nur in feinen (Herkzeicß-
nungen entfaltet er feine eigenartige, unvergeßlicße 3eicßenfcßrift. Seine Scßüler wiffen
dies Erbe nießt zu verwalten. Sie zeießnen entweder malerifcß tonig (naeß Daßls Art)
oder kleinlicß veriftifcß wie der früßvollendete Fjeinricß, Friedricßs Meifterfcßüler. Das
3eicßen war verloren und wurde, naeß dem Intermezzo des Nazarenertums und der
neudeutfeßen Reftauration, erft fpäter — lange naeß der Siindflut des Naturalismus —
mit der (üiedergeburt der Linienzeicßnung von nordifdßen Künftlern wiedergewonnen,
die es unfrer neuen Kunft als ein köftlicßes Erbe vermaeßt ßaben. Da aber das 3eicßen
oßne geiftige Bindung und Gemeinfcßaft nießt leben kann, — dies ift das Problem der
religiöfen Kunft — erleben wir gerade ßeute das Scßickfal der romantifeßen Kunft in
neuer Spiegelung wieder und begreifen die 3uflucßt aus dem Efperanto des Exprefßo-
nismus zu der organifeßen Naturform, die ißr gemeinfcßaftbildendes Naturzeicßen der
großen menfeßließen Gemeinfcßaft immer wieder darreießt und vom fubjektiven (Hefen
der Innenwelt in das objektive (Hefen der Außenwelt zurücklockt. Denn immer wieder
wird in kunftmüden Seiten oßne bindende Gemeinfcßaftskultur die Natur als Retterin
angerufen. Offenbar ift es wieder an der 3eit< „den Finger an den Mund gelegt“
den Nacßdenklicßen jene feltfamen (Horte Goetßes zu wiederßolen, die er dem guten
Eckermann einmal in der Fenfternifcße zuflüfterte: „Icß will Ißnen etwas entdecken,
und Sie werden es in Ißrem Leben vielfad) beftätigt finden. Alle im Rückfcßreiten
und in der Auflöfung begriffenen Epocßen find fubjektiv, dagegen aber ßaben alle
vorfeßreitenden Epocßen eine objektive Ricßtung. Hnfere ganze jetzige 3ßit ift eine
rückfcßreiten de, denn ße ift eine fubjektive. Diefes feßen Sie nießt bloß an der Poefie,
fondern aueß an der Malerei und vielem anderen. Jedes tücßtige Beftreben dagegen
wendet fieß aus dem Inneren ßeraus auf die (Heit, wie Sie an allen großen Epocßen
feßen, die wirkließ im Streben und Vorfcßreiten begriffen und alle objektiver Natur
waren.“
1 Die Märcßenilluftration der Romantik. Fauft. Eine Monatsfcßrift für Kunft, Literatur und
Mufik. Berlin 1923/24. Fjeft 8/9. S. 21/29.
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