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Heidelberger Volksblatt (4) — 1871

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Nr. 1 - Nr. 8 (4. Januar - 28. Januar)
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ſendeſt Du ſogleich durch einen Reitenden zur Poſt, und

dieſe Sporen ſchraudſt Du meinen Stiefeln an. Geh'!“
Er blieb jetzt nur kurze Zeit allein; ſeine Kinder
kamen bald, Gottholde mit verweinten Augen, Blott-
mer ſehr ernſt. Sie näherte ſich dem Bette, bog fich
hinweg über den Vater und bedeckte ihm den kahlen
Schädel mit einem Käppchen, indem ſie mit bewegter
Stimme ſagte: „Ich habe hier ein kleines Mützchen für
Sie gearbeitet, lieber Vater. Es iſt zugluftig hier im
Hauſe. Sie ſollen ſich nicht mehr erkälten, Sie ſollen
geſund Aund heiter ſein, und — glücklich ſein und glück-
lich machen.“ ö
Der Alte griff nach der Mütze, zog ſie ab und be-
ſah ſie von allen Seiten. „Ei, mein Lämmchen, das
iſt ja ein allerliebſtes Käppchen!“ rief er. „Das hab'
ich mir ſchon lange gewünſcht! Wie haſt Du aber meine

Wünſche ſo errathen konnen? — Und ſieh', welch ein

ſchöner Sammt! Wie biſt Du zu dieſem gekommen hier
auf dem Lande?“ — Er ſetzte das Käppchen wohlgefäl-
lig ſchmunzelnd wieder auf.
Gottholde antworteie nicht, aber Blottmer that es
an ihrer Statt. „Dieſer Sammet, lieber Vater, iſt als
Erbſtück von einer geliebten Todten auf meine Gottholde
übergegangen; die ſelige Mutter meiner Gottholde trug
ihn als Mantelkragen; mög' er ſanft Ihr theures
Haupt bedecken, mög' er Sie an die Nähe der Mutter
mohnen, deren Kinde Sie Vater geworden find, an die
ſegenbringende Nähe eines Engels.“ ö
Die Hand des Alten zuckte wie ein galvaniſirtes

Glied aufwärts nach ſeiner Stirn und riß das ſchau-

rige Erbſtück ſchnell herunter; Gottholde ſetzte es ihm
wieder auf und verſicherte, als er ihr ſchwur, die un-
gewohnte Hitze, die unter dem wattirten Käppchen ſich
ſammle, zerſprenge ihm den Kopf, — er werde die ihm
wohlthätige Wärme bald gewohnt werden. Nun lag er
wie ein gefeſſelter Damokles unter dem toddrohenden
Schwerte, bis die Ankunft des Arztes ihn erlöste, den
Blottmer heute nach ſeiner Heimkehr dringend berufen
hatte, um den kranken Vater zum Gegenſtand ſeiner
unausgeſetzten Sorge zu machen. — Der Arzt kam Al-
len zum Tröſter; er erlöste den Alten von der Qual,
unter dem beängſtigenden Nachlaß ſeiner ſeligen Schwie-
germutter ſchwitzen und ihrer Crſcheinung im nächſten
Nachttraume entgegenſehen zu müſſen, und beruhigte
Gottholden und Blottmer durch die Verſicherung, daß
gerade ſeine Mißlaune, welche von ſeiner gewohnten
Güte und Sanftmuth ſo auffallend abſteche, in der Ei⸗—
genthümeichkeit ſeines Zuſtandes ſich begründe, und daß
nichts als Nachgiebigkeit Seitens ſeiner nächſten Umge-
bungen nothwendig ſei, um ſeinen zerſtörten Gemüths-
Einklang baldigſt wiederherzuſtellen. ö
„Hörſt Du?“ flüſterte Gottholde ihrem Anton ver-
ſtohlen in's Ohr. „Sagt' ich Dir's nicht? Er iſt krank;
ein krankes Kind iſt er, das Schonung fordert und Füg-
ſamkeit in ſeine Launen. Weich' ihm aus, ſo lange
dieſer Zuſtand dauert, und überlaß' ihn mir nur, es
iſt ja unſer Wohlthäter, der uns emporgetragen hat
aus der Tiefe der Hoffnungsloſigkeit; ſollten wir ſeine

Schwächen nicht tragen, uns in ſeine Launen nicht fü-

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gen wollen, die ihm nicht einmal eigenthümlich, ſondern

nur böſe Gäſte ſeiner Seele ſind und verſchwinde! wer-
den, wenn ſeine Krankheit verſchwunden iſt?“
Blottmer ſah ihr ſtarr in das klare bittende Auge,
es war, als ſolle dieſer Blick fragen, was ſeiner Zunge

ſo ſchwer ward zu fragen. Gottholde verſtand ihn nicht;

ſie hatte das Auge, das Geſicht des Greiſes nicht be-
achtet in den Momenten, als er, wie trunken von ihrem
Kuſſe, einem im Rauſchtraume niedergeſunkenen Faun
ähnlich dagelegen auſ ſeinem Kiſſen, und wie er wenig

Stunden ſpäter an ihrem Buſentuche neſtelte mit der

verwegenen Hand, das Auge voll von der Lüſternheit
ſeiner Seele. Aber Blottmer hatte ihn ſd geſehen, und
dicſer Anblick, dieſer Erwecker einer Ahnung, die ihn
an ſeinem eigenen Verſtande zweifeln machte, wich uicht
von ſeinem Auge. „Ha, dieſes ſegensloſe Verhältniß!“
ſeufzte er. „Wie nahe liegt deſſen Mißbrauch ihm; —
doch nein! er iſi kein Teufel, er iſt nichts, als ein kin-
diſcher Greis. Gottholde, ich will ihn Dir übergeben,
aber“ — er verſtummte; er ſchämte ſich zu geſtehen,
auf welchen Nebenbuhler ſeine Eiferſucht gefallen war,
und Gottholde bemühte ſich vergebens, ihn zu errathen;
ſie hatte ihn nur über die krankhafte Vergrollung des
Vaters gegen ihn tröſten zu dürfen geglaubt und be-
reits den ganzen Nachmittag auf dieſes Geſchäft ver⸗—
wandt, aber jetzt ſah ſie, daß ſeine Verdüſterung ihr
mehr als einen ſolchen Kummer verberge; hier war in-
deß weder der Ort noch die Zeit, ihm die gebundene
Zunge zu löſen. Der Arzt brach auf und empfahl dem
Paare, die Nacht hindurch an dem Vette des Vaters
abwechslungsweiſe zu wachen. Blottmer machte den
Anfang, je doch mit dem feſten Vorſatz, Gotthotden un-
geweckt ihrer Ruhe zu überlaſſen.
Das Fieber hatte ſich ſeit dem Anbruch der Nacht
wieder verſtärkt; der Greis ſchlief wenig und wilde
Phantaſien ſchreckten ihn auf, wenn er die Nugen ſchloß;
immer war's ihm, als hab' er das ſchwarze Käppcheu
auf dem Kopfe und als dehn' es ſich allmählig zum
Bahrtuche über ihn; und wenn er dann die Augenlie-
der aufriß, dann ſah er den Sohn vor ſich ſtehen, der
ihn mit den Zügen ſeines Vaters mahnte an das, was
der Vater ihm geweſen und was er dem Sohn zu wer-
den verheißen hatte. Sein Gewiſſen regte ſich; er ge-
dachte zerknirſcht des verrätheriſchen Briefes, den er
heute in der Abſicht, dem Jünglinge all' ſeine Verhei-
ßungen zu brecheu, entſandt hatte, und eiu vorwurf-
ſchweres Gefühl beklemmte ihm die Bruſt, als die Ah-
nung in ihm aufdämmerte, daß er das ganze Leben ſei-
nes zu ihm emporgehobenen Sohnes zu einem troſtlo-
ſen mache, wenn er ihn wieder zurückſchleudere von ſei-
nem und von Gottholdens ihm zu eigen gegebenen Her-
zen. Er faßte ſeine Hand und blickte ihn perſöhnend
an. Dieſer Blick drang tief in Blottmer's Herz. und
vertilgte, gleich einem Sonnenſtrahl, der durch die ſpät
geöffneten Laden in ein Zimmer dringend, den Lampen-⸗
ſchein erdrückt, welcher es erleuchtet hatte, alle Spuren
der Erinnerungslichter, die zwei ſeiner Blicke, einem höl-
liſchen Brandfackel⸗Paar ähnlich, ihm angezündet hatten,
um ſeiner ſeligen Welt den Untergang zu drohen. Er
 
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