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Heidelberger Volksblatt (4) — 1871

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Nr. 1 - Nr. 8 (4. Januar - 28. Januar)
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Reiſe nach Liegnitz. Wie wird das enden? jammerte
Gottholde leiſe und griff nach ihren Schlüſſeln; und:
So ſoll es nicht bleiben! murmelte Blottmer düſter
und nahm ſein Gewehr von der Wand. — Da trat
ihm auf der Schwelle der Hausthür ein Fremder ent-
gegen, ein Bote mit einem Briefe an Gottholden; er
brachte ihr den Brief; ſir öffnete ihn, erblich, und
rief: „Gott, mein Vater iſt tödtlich krank! -Er will
mich ſehen!“
Mit Jünglingskraft ſprang der Greis auf, und
doch ſchien es, als könne er ſich nicht aufrecht erhalten
vor Mattigkeit. „Das iſt Gottes Finger!“ rief er.
„Du ſollſt Deinen Frieden machen mit Deinem Vater;
Du ſelbſt; Du und — Dein Anton. — Geh, mein
Sohn, laß den bedeckten Schlirten anſpannen, auf der
Stelle. Ihr ſollt heut' noch in Liegnitz ſein.“
„Ich?“ frug Blottmer beſtürzt. „Ich ſoll Gotthol-
den begleiten? — Und Sie, lieber Vater?“
„Ich — werd' Euch das Haus bereit halten, wenn
Ihr wieder kommt,“ verſetzte der Alte, und fuhr, als
Blottwer gegen dieſe Anordnung einen Einwurf ma-
chen zu wollen ſchien, mit Heftigkeit auf: „Ich will's
haben! Ich will Euch glücklich machen, und nun rede
mir nicht. Geh und laß anſpannen.“
Blottmer ging. Als er wieder kam, fand er Gott-
holden bereits reiſefertig, aber er vermißte den Vater,
und erſt, als das Schlittengeläute vor der Thür klin-
gelte, kam der alte Maun, der im kalten Vorſaal hin-
ter der Thür geſeſſen hatte, zum Vorſchein. Seine

Augen waren verweint, ſeine Züge verſtört. Blottmer

wollte reden, aber er kam ihm zuvor: „Sprich nicht,
Du haſt mir nichts zu ſagen; aber ich, ich muß noch
etwas ſprechen zu Euch. Gottholde, mein Töchterchen,
verſchweige Deinem Vater uichts, gar nichts, und wenn
er tobt, ſo ſchiebe alle Schuld auf mich; ich will Alles
tragen und — büßen für Alles, denn ich bin es ja,
der Alles verbrochen hat. Aber Ihr habt mir ver-
geben, Kinder; nicht wahr, mein Töchterchen, mein
Sohn, nicht wahr, Ihr tragt keinen Groll gegen mich
im Herzen?“
Aus den Augen der Liebenden ſtürzten die Thrä⸗—
nen; ſprachlos warfen ſie ſich an die Bruſt des Grei-
ſes. Er ſchlang ſeine Arme um Beide und kämpfte
lange, ehe er zu ſtammeln vermochte: „Mein Sohn,
meine Tochter, der allmächtige Gott ſegne Euch.“ Er
küßte Beiden die Lippen, riß ſich los aus ihren Ar-

men, eilte in ſein Kabinet und verſchloß hinter ſich

die Thüre.

** S

Die Lungen Entzündung, welche Herrn Gneſe vor
drei Tagen niedergeworfen, hatte mit dem Beginn des

vierten ſeine Lebenskraft erſchöpft, und eben rang er.

ſeiner entathmeten Bruſt zum letzten Male das Weh-
gewimmer ab: „O Gottholde, mein verkauftes Kind,
wo bleibſt Du?“ — als ein helles Schellengeläute die
Stille der Nacht durchklang und an dem Krankenhauſe
vertönte. „Sie iſt's, ſie iſt's, bringt ſie mir,“ ächzte

30

„Vater, das Band iſt gelöst,“ rief ſie.

er, und ſie war's; — einige Minuten ſpäter, und ſie
lag auf den Knieen am Bette des Sterbenden.
Die Luft des Zimmers ſchwoll von ſchauerlichen
Tönen, denn zum erſten Male weinten die ſieben Töch-

ter ihrem Vater kindliche Thränen, und zum erſten

Male ſprach dies Vaterherz.
„Gottholde, meine Tochter,“ hub er an, oft unter-
brochen, wenn die Luft, die er einſog, ihm die Gefäße
zerriß, ſtatt ſie zu dehnen, „an all' meinen Kindern
hab' ich mißgehaudelt, aber vor Allen an Dir! Alle
löst mein Tod von den Ketten, in welchen ich ſie ge-
feſſelt hielt, aber Dich nicht; Du bleibſt feſtgeſchmiedet
an Dein Joch! Drine Bande bricht mein Tod nicht,
Vergib mir den Handel, den ich getrieben habe mit
Deinem Glück; vergib mir, damit ich nicht troſtlos von
hinnen gehen darf, und ich will mit meinem letzten
Seufzer beten zu Gott, daß er bald Deine Feſſeln
ſprengen und Dich beglücken möge durch den Mann
Deiner Liebe.“ ö
Da richtete Gottholde ihr geſenktes Antlitz empor,
„Der Mann
in deſſen Hand Du die meinige legteſt, forderte und
nahm ſie, um ſie ſeinem Sohne zu geben, und ſein
Sohn — Blottmer iſt hier.“ — „Wo?“ hauchte der
Sterbende. — Gottholde erhob ſich, taumelte der Thür
zu, und kehrte, Hand in Hand mit Blottmer, zu dem
Bette zurück. Der Vater legte ſeine erſtarrenden Hände

auf Beider Stirnen; — er ſprach nicht mehr.

(Schluß folgt.)

Das letzte Söldnerheer in Europa.

In der Geſchichte der Völker iſt ein Wendepuukt
eingetreten, eine Epoche iſt zum Abſchluß gelangt, eine
neue beginnt. Die großen Ereigniſſe des Krieges zwi-
ſchen Frankreich und Deutſchland ſind es nicht allein,
die dieſen Wendepunkr bezeichnen, ſondern neben ihnen,
freilich weniger bemerkt und doch nicht weniger wichtig,
hat ſich noch eine andere Thatſache vollzogen, die an
Bedeutung dem Sturze Napoleon's vollſtändig gleich
ſteht. ö ö
orehr als einmal hat Rom ganz Italien unterwor-
fen, mehr als einmal hat es die Welt beſiegt, nun
aber, ſeit noch nicht einem Menſchenalter, klopft Ita-
lien an die Thore der ewigen Stadt, und im Septem-
ber des Jahres 1870 hat es ſeinen Einzug gehalten in
die Mauern, die auf den ſieben Hügeln erbaut ſind.
Italien hat Rom bezwungen, die weltliche Herrſchaft
des Pabſtes iſt zu Ende, Rom wird wieder die Haupt-
ſtadt Italiens. ö
Mit dieſem großen geſchichtlichen Ereigniß geht ein
anderes Hand in Hand, welches für den Kulturhiſto-
riker von nicht geridgerem Intereſſe iſt. Mit dem Falle
der weltlichen Herrſchaft des Pabſtes iſt das letzte Söld-
nerheer, das Europa beſaß, hoffentlich auf ewige Zei-
ten vernichtet worden.
 
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