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Heidelberger Volksblatt (4) — 1871

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Nr. 9 - Nr. 16 (1. Februar - 25. Februar)
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Heidelh

erger

Volkablatt.

Nr. 9.

Mittwoch, den 1. Februar 1871.

4. Jahrg.

Erſcheint Mittwoch und Samſcag. Preis monatlich 12 kr. Einzelne Nummer à 2 kr. Man abonnert in der Druckeret, Schiffgaſſe 4
und bei den Trägern Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten. ö

Der Adoptivvater.

Novelle von Emerentius Seä vola.
(Schluß.)

Vier Tage waren vorüber; die Leiche lag bei den
Leichen; Blottmer hatte ſeinem Wohlthäter Meldung
von ſeinem Empfange an dem Sterbebette des Heim-
gegangenen erſtattet, und nachdem er die Beerdigung
vorbereitet und das Geſchäft, welches die Zurückgeblie-
benen ernährte, in ſichere Hände gegeben, einen hefti-
gen Kampf mit den Schweſtern zu beſtehen gehabt;
Gottholde hatte ihnen nämlich das Räthſel ihres Glücks
gelöst, welches ſie in ihven Briefen geſchildert, dann
aber auch die Martern ihnen enthüllt, welche über ſie
gekommen war, mit der furchtbaren Liebe, die den
Stifter und Zerſtörer ihres Glücks wider ſie entflammt
hatte. Die Schweſtern beſchwuren ſie einſtimmig, dem
niedergeworfenen Feiude nicht zu vertrauen, und nicht
eher zurückzukehren zu dem zweideutigen Vater, bis das
Band getrennt ſei, das ihm andere als väterliche Rechte
auf ſeine verſchenkte Gattin gewährte; aber Blottmer,
aus deſſen Gedächtniß die Thränen, die der Greis bei
ſeinem Abſchiede geweint, alle Erinnerungen an ſeine
Beforgniſſe verwiſcht hatten — Blottmer widerſprach,
und Gottholde, hoffnungsvoller, ſeit die Hand ihres Va-
ters ſegnend auf ihrem und Anton's Haupt geruht
hatte, ſtimmte ihm bei; die Rückreiſe in das Vaterhaus
ward in Begleitung zweier Schweſtern Gottholdens von
dem Paare angetreten, und ſpät zwar, aber glücklich
beendet. — Kein Lichtſchimmer drang durch die Fugen
der Fenſterladen des Hauſes, kein Ohr ſeiner Bewoh-
ner ward erweckt durch das Schellengeläute; endlich öff-
nete eine Magd die verſchloſſene Thür. Dringend forſchte
Blottmer nach dem Vater, und erblich, als das Mäd-
chen ihm antwortete, der Herr Hofrath ſei bereits vor
drei Tageu nebſt ſeinem Bedienten abgereist, ohne et-
was über ſeine Wiederkehr zu hinterlaſſen.
„Schwerer Ahnungen voll trat das Paar in das Haus
ein. Ihm auf dem Fuße folgte der Wirthſchafts-Ver-
walter, welcher die Ausſage der Magd beſtätigte. Der
Greis hatte ſogleich, nachdem der Bote aus Liegnitz mit
der Nachricht vom Tode des alten Gneſe angekommen
war, dem Verwalter angekündigt, daß er eine Reiſe un-
ternehmen müſſe, deren Beweggrund und Ziel ſein

Sohn aus einem in ſeinem Secretär verſchloſſenen Brief
entnehmen werde. —

Gottholde flog an den Secretär; einer ihrer Schlüſſel

ſchloß ihn; ein verſiegelter Brief, überſchrieben: „An

meine lieben Kinder, Anton und Gottholde,“ lag da-
rin. Er enthielt folgende Zeilen: ö
„Meine lieben Kinder! ö
Gottholde hat Recht, dieſes Haus hat nicht Raum
für uns Drei; aber auch in Kaſan würden wir kein
Haus finden, das Raum hat für uns; darum — geh'
ich allein. — Beſſer wär' es wohl geweſen, wenn ich
hätte ſterben können, aber der liebe Gott will mich ja
noch nicht dahin nehmen, wo einſt Raum ſein wird für
uns Alle. Ich ſoll hier noch beten für Euch, für Dich,
mein lieber Sohn, den ich ſo gern beglückt hätte und
den ich doch ſo unausſprechlich gekränkt habe; und für
Dich, meine Tochter, deren Vater ich ſo gern geweſen
wäre und doch kein väterliches Herz für Dich erzwingen
konnte. Vergebt, meine Kinder, dem alten ſchwachen
Manne die trüben Stunden, die ſeine ſündliche Leiden-
ſchaft Euch bereitet hat. Dieſe Sünde wird leben in
ihm, ſo lange er lebt; laßt ſie ihn ruhig zu Grabe
tragen; folgt ihm nicht; haltet ihn nicht auf. Das iſt
ſeine letzte Bitte.“
„Ich habe eine Acte niedergelegt bei dem Gericht
in Trebnitz; ſie enthält eine Schenkung meiner liegen-
den Gründe an Euch, unter dem Beding, daß Ihr, ſo-
bald die Trennung meiner Scheinehe von Dir, liebe

Gottholde, erfolgt iſt, ein Ehepaar werdet und Euerm

erſten Kinde meinen Namen gebt.“
„Mein bewegliches Vermögen nehm' ich mit mir;
ich werd' es für Euch verwalten. Wenn es Euch —
wahrſcheinlich bald — zugeſandt wird, dann wißt Ihr,
daß ich aufgehört habe, auf Erden für Euch zu beten.
Dann, lieben Kinder, bin ich ganz — ganz
ö Euer Vater

S .

Jonas.

*
*

Und wieder vier Tage waren vorüber. Blottmer
hatte die letzte Bitte ſeines mit gebrochenem Herzen ge-
flohenen Wohlthäters nicht erfüllen, er hatte ihn nicht
fliehen laſſen können, ohne ihm zu folgen. Am fünf-
ten Morgen nach ſeiner Abreiſe brachte ein reitender
Bote Gottholden einen Brief, der Antons Aufforderung
enthielt, ſchleunigſt uach dem vier Meilen von Loiſchütz
entlegenen Städtchen Militſch zu eilen und ihn im
 
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