er Vollsblatt.
Nr. 85.
Mittwoch, den 3. Mai 1871.
4. Jahrg.
Erſcheint Mittwoch und Samſcag. Preis monatlich 12 kr. Einzelne Nummer à 2 kr. Man abonnirt in der Druckerei, Schiffgaſſe 4
und ber den Trägern. Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.
Das Opfer des Herzens.
Erzahlung von G. Reinbeck.
CForſetzung.)
Er ſuchte, ihn wieder zu ſich zu bringen, aber Gott!
zu welchem endloſen Jammer erwachte der Unglückliche.
Es war kein Traum, es war ſchreckliche Gewißheit. Er war
zu Grunde gerichtet, und ſein Freund, ſein redlicher
Freund, ſtand als Betrüger da, und Laide. .. Er ſank von
neuem hin, und als er wieder erwachte, hatte der
Wahnſinn ſich ſeiner bemeiſtert; ein heftiges Fieber
tobte in ſeinem Blute. Der treue Diener ſahe ſich ge-
zwungen, Leute zu ſeinem Beiſtand zu rufen und ſandte
ſchnell nach ſeinem Arzte. ö
In der erſten Verwirrung hatte der Commis des
armen Völkner völlig vergeſſen. Der Bediente flog in
unglücklichem Dienſteifer zu ihm nach dem Zollhauſe,
und konnte nur keuchend den Namen ſeines Herrn
ſtammeln; mehr vermochte er nicht hervor zu bringeu.
Beſtürzt eilte Völkner in das Haus. Er trat in das
Zimmer, als eben der heftigſte Anfall die Züge des
Unglücklichen zerrüttete, und ſein Mund die Namen
Völkner! Laide! gewaltſam heraus ſtieß; ſeinen Wohl-
thäter, der ſich für ihn in das Verderben geſtürzt hatte,
erkannte er nicht. — Ohne die ſchreckliche Urſache zu
ahnden, fragte dieſer den Commis darum, der ihm
ſtatt aller Antwort die Briefe überreichte. Ein Zittern
ergriff den Unglücklichen. .. Er wankte. . . Der Arzt
war gerade zugegen, und ein ſchneller Aderlaß rettete
ihn zwar von einem augenblicklichen Schlagfluſſe; al-
lein er mußte ſich ſogleich nach Hauſe und in das Bett
bringen laſſen.
»Das Gerücht von Friedbergs Unfall verbreitete ſich
ſchnell. Die Gläubiger, welche den Ausbruch des Fal-
liſements fürchteten, eilten, die ihnen zum Unterpfande
angewieſenen angeblich im Zollhauſe befindlichen Waa-
ren in Beſchlag zu nehmen. Wie erſchracken ſie, da
hier niemand um dieſe Waaren wiſſen wollte, und der
Zufall, welcher dem Zoll⸗Direktor bei ſeinem künftigen
Schwager zugeſtoßen war, damit in Verbindung zu
ſtehen ſchien. — Die Beſtürzung war allgemein⸗ — Je
höher das Zutrauen auf Völkners Redlichkeit geſtanden
hatte, um ſo heftiger erwachten jetzt Neid und Schaden-
ſreude, und um ſo lauter klagte man ihn an. — Der
Finger des Herrn hat dem Heuchler die Larve abgezo-
gen! rief die ſcheinheilige Bosheit; die Werke der Fin-
ſterniß kommen an den Tag! Iſt das der redliche.
Diener, auf den man wie auf einen Felſen bauen
konnte? Wer einer ſolchen Handlung ſähig iſt, der
hat es gewiß dabei nicht bewenden laſſen; wenn man
nur unterſucht, es wird ſich wohl mehr finden. — Die
gutmüthige Gebrechlichkeit ſahe mit bedenklichem Kopf-
ſchütteln, jedoch nicht ohne geheimes Behagen, den Satz
beſtätigt, daß keine Tugend aller Verſuchung widerſte-
hen köͤnne. — Völkners Freunde, die den redlichen
Mann ſeit Jahren kannten, und ſo oft in ſein Herz
geſchauet hatten, ſtanden betäubt da, und wußten das
Räthſel nicht zu löſen.
Unterdeſſen hatte das Gerücht auch bald das Ohr
des beſtürzten Miniſters erreicht. Eben wollte dieſer
zu den nöthigen Maßregeln ſchreiten, als Völkners Be-
dienter im Namen ſeines Herrn ihn um die Gnade
eines kurzen Gehöres bat. Die Angelegenheit war zu
wichtig, Volkner war dem Miniſter bis jetzt zu ehrwür-
dig geweſen, als daß er einen Augenblick angeſtanden
hätte, den Wunſch des Unglücklichen zu erfüllen. Er
begab ſich ſelbſt zu ihm.
Ehe er noch hinkam, war Laide von einigen außer-
ordentlichen Geſchäften zurückgekehrt. Sie hörte von
der Unpäßlichkeit ihres geliebten Bruders, und flog an
ſein Bett. Er ſtreckte ihr ſeine matten Arme entgegen,
und ſchloß ſie — Gott, mit welchem Gefühle! an ſeine
Bruſt. Ihr hatte er geopfert, was ihm das Theuerſte
war, den unbeſcholtenen Ruf, und fie war nicht geret⸗—
tet. — Um das liebende Herz nicht ganz zu zerſchmet-
tern, hatte er ſtreng unterſagt, ihr Friedbergs Krank-
heit zu hinterbringen; aus ſeinen Händen ſollte ſie den
bittern Kelch empfangen, ſeine Liebe ſollte ihr ihn ver-
ſüßen. — Der Arzt unterſagte ihm alle Gemüthsbe-
wegung. ö ö
Meine gegenwärtige Lage erlaubt mir keine Scho-
nung, erwiederte Völkner; wenn ich alles werde vol-
lendet haben, dann will ich Ihrem Rathe folgen.
Der Miniſter trat in das Zimmer, und der Kranke
bat den Arzt und ſeine Laide, ſie allein zu laſſen.
Wie erſchrack die Unglückliche, als ſie dieſen Gaſt er-
blickte; ſie erblaßte, ihre Knie wankten; tief gerührt
über ihren Zuſtand ſprach der Miniſter ihr beruhigend
zu, und empfahl ſie dringend der Sorgfalt des Arztes.
Ihro Excellenz, ſagte Völkner innig bewegt. Sie
ſind ein Menſch im edelſten Sinne des Wortes, und
ich darf — nicht mein Schickſal, denn ich weiß, das iſt
Nr. 85.
Mittwoch, den 3. Mai 1871.
4. Jahrg.
Erſcheint Mittwoch und Samſcag. Preis monatlich 12 kr. Einzelne Nummer à 2 kr. Man abonnirt in der Druckerei, Schiffgaſſe 4
und ber den Trägern. Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.
Das Opfer des Herzens.
Erzahlung von G. Reinbeck.
CForſetzung.)
Er ſuchte, ihn wieder zu ſich zu bringen, aber Gott!
zu welchem endloſen Jammer erwachte der Unglückliche.
Es war kein Traum, es war ſchreckliche Gewißheit. Er war
zu Grunde gerichtet, und ſein Freund, ſein redlicher
Freund, ſtand als Betrüger da, und Laide. .. Er ſank von
neuem hin, und als er wieder erwachte, hatte der
Wahnſinn ſich ſeiner bemeiſtert; ein heftiges Fieber
tobte in ſeinem Blute. Der treue Diener ſahe ſich ge-
zwungen, Leute zu ſeinem Beiſtand zu rufen und ſandte
ſchnell nach ſeinem Arzte. ö
In der erſten Verwirrung hatte der Commis des
armen Völkner völlig vergeſſen. Der Bediente flog in
unglücklichem Dienſteifer zu ihm nach dem Zollhauſe,
und konnte nur keuchend den Namen ſeines Herrn
ſtammeln; mehr vermochte er nicht hervor zu bringeu.
Beſtürzt eilte Völkner in das Haus. Er trat in das
Zimmer, als eben der heftigſte Anfall die Züge des
Unglücklichen zerrüttete, und ſein Mund die Namen
Völkner! Laide! gewaltſam heraus ſtieß; ſeinen Wohl-
thäter, der ſich für ihn in das Verderben geſtürzt hatte,
erkannte er nicht. — Ohne die ſchreckliche Urſache zu
ahnden, fragte dieſer den Commis darum, der ihm
ſtatt aller Antwort die Briefe überreichte. Ein Zittern
ergriff den Unglücklichen. .. Er wankte. . . Der Arzt
war gerade zugegen, und ein ſchneller Aderlaß rettete
ihn zwar von einem augenblicklichen Schlagfluſſe; al-
lein er mußte ſich ſogleich nach Hauſe und in das Bett
bringen laſſen.
»Das Gerücht von Friedbergs Unfall verbreitete ſich
ſchnell. Die Gläubiger, welche den Ausbruch des Fal-
liſements fürchteten, eilten, die ihnen zum Unterpfande
angewieſenen angeblich im Zollhauſe befindlichen Waa-
ren in Beſchlag zu nehmen. Wie erſchracken ſie, da
hier niemand um dieſe Waaren wiſſen wollte, und der
Zufall, welcher dem Zoll⸗Direktor bei ſeinem künftigen
Schwager zugeſtoßen war, damit in Verbindung zu
ſtehen ſchien. — Die Beſtürzung war allgemein⸗ — Je
höher das Zutrauen auf Völkners Redlichkeit geſtanden
hatte, um ſo heftiger erwachten jetzt Neid und Schaden-
ſreude, und um ſo lauter klagte man ihn an. — Der
Finger des Herrn hat dem Heuchler die Larve abgezo-
gen! rief die ſcheinheilige Bosheit; die Werke der Fin-
ſterniß kommen an den Tag! Iſt das der redliche.
Diener, auf den man wie auf einen Felſen bauen
konnte? Wer einer ſolchen Handlung ſähig iſt, der
hat es gewiß dabei nicht bewenden laſſen; wenn man
nur unterſucht, es wird ſich wohl mehr finden. — Die
gutmüthige Gebrechlichkeit ſahe mit bedenklichem Kopf-
ſchütteln, jedoch nicht ohne geheimes Behagen, den Satz
beſtätigt, daß keine Tugend aller Verſuchung widerſte-
hen köͤnne. — Völkners Freunde, die den redlichen
Mann ſeit Jahren kannten, und ſo oft in ſein Herz
geſchauet hatten, ſtanden betäubt da, und wußten das
Räthſel nicht zu löſen.
Unterdeſſen hatte das Gerücht auch bald das Ohr
des beſtürzten Miniſters erreicht. Eben wollte dieſer
zu den nöthigen Maßregeln ſchreiten, als Völkners Be-
dienter im Namen ſeines Herrn ihn um die Gnade
eines kurzen Gehöres bat. Die Angelegenheit war zu
wichtig, Volkner war dem Miniſter bis jetzt zu ehrwür-
dig geweſen, als daß er einen Augenblick angeſtanden
hätte, den Wunſch des Unglücklichen zu erfüllen. Er
begab ſich ſelbſt zu ihm.
Ehe er noch hinkam, war Laide von einigen außer-
ordentlichen Geſchäften zurückgekehrt. Sie hörte von
der Unpäßlichkeit ihres geliebten Bruders, und flog an
ſein Bett. Er ſtreckte ihr ſeine matten Arme entgegen,
und ſchloß ſie — Gott, mit welchem Gefühle! an ſeine
Bruſt. Ihr hatte er geopfert, was ihm das Theuerſte
war, den unbeſcholtenen Ruf, und fie war nicht geret⸗—
tet. — Um das liebende Herz nicht ganz zu zerſchmet-
tern, hatte er ſtreng unterſagt, ihr Friedbergs Krank-
heit zu hinterbringen; aus ſeinen Händen ſollte ſie den
bittern Kelch empfangen, ſeine Liebe ſollte ihr ihn ver-
ſüßen. — Der Arzt unterſagte ihm alle Gemüthsbe-
wegung. ö ö
Meine gegenwärtige Lage erlaubt mir keine Scho-
nung, erwiederte Völkner; wenn ich alles werde vol-
lendet haben, dann will ich Ihrem Rathe folgen.
Der Miniſter trat in das Zimmer, und der Kranke
bat den Arzt und ſeine Laide, ſie allein zu laſſen.
Wie erſchrack die Unglückliche, als ſie dieſen Gaſt er-
blickte; ſie erblaßte, ihre Knie wankten; tief gerührt
über ihren Zuſtand ſprach der Miniſter ihr beruhigend
zu, und empfahl ſie dringend der Sorgfalt des Arztes.
Ihro Excellenz, ſagte Völkner innig bewegt. Sie
ſind ein Menſch im edelſten Sinne des Wortes, und
ich darf — nicht mein Schickſal, denn ich weiß, das iſt