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Heidelberger Volksblatt (4) — 1871

DOI Kapitel:
Nr. 35 - Nr. 43 (3. Mai - 31. Mai)
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Ein aule 50 Ie

Es war im Juni des Jahres 1854, als verſchiedene
Korreſpondenzen in Boſtoner und Newyorker Blättern
die erſtaunliche Begebenheit meldeten, daß ein Menſch
den Niagara-Fall“) herunterpaſſirt und mit' dem Leben
davon gekommen wäre. Man erfuhr ſpäter, daß es
George Elford, Sohn des in Kanada, nahe dem
Falle lebenden engliſchen Lords Elford, geweſen, der in
in'den Sturz hinabgezogen wurde, indem eraus aben ·
teuerlicher Luſt verſuchte, den Ballon des Luftſchiffers

Merriman aus der Strömung oberhalb des Kataraki's

zu retten. Die Nachricht wurde mit verſchiedenen ſpöt-
tiſchen Kommentaren begleitet, welche den unfreiwilli-
gen Helden, und wohl nicht ohne Grund, alſo reizten,
daäß er in „Dodge' 5 Muſeum“ ſelbſt eine Beſchreibung
ſeines Abenteuers veröffentlichte, das allerdings ſeit
Menſchengedenken wehl kaum ein zweites zur Seite hat.
In der Hauptſache iſt an der Wahrheit nicht zu zwei-
feln, wenn auch der Darſtellung in Nebenpunkten durch
die Verwirrung des Augenblicks und die Nachwirkung
der Einbildung eines Viſionäres eingeflochten worden
ſein mag.
„Man hat über meinen Verſuch — ſchreibt Elſord
— den Ballon des Luftſchiffers Herrn Merriman zu
vetten und über den unerwarteten Ausgang dieſes Un-
ternehmens, indem es mich in den Sturz des Niagara-
Falls zog, ſehr verſchiedenartige Berichte publizirt. Ich
werde dadurch zur Mittheilung der wirklichen Thatſ a·
chen veranlaßt.
Im Mai 1854 ſtieg der Herr Merriman mit ſeinem

Ballon in Clareland, in Ohio, in Gegenwart von meh-

reren Tauſend Zuſ chauern auf. Aus ſeinem Journal,
daß er mir in dieſer Beziehung zur Verfügung ſtellte,
mache ich folgenden Extrakt:
„Nachdem ich bis zu einer Höhe von 50 Fuß geſtie-
gen war, führte mich ein friſcher Weſtwind etwa 15
Meilen öſtlich. Ich erleichterte den Ballon um zehn
Pfund, was ihn raſch um eine Meile höher und in ei⸗—
nen Südweſtſtrich brachte, wo er ſich 25 Meilen die
Stunde fortbewegte. Ich kreuzte auf dieſe Weife den
Erie⸗See bis zum Kanadiſchen Ufer. Hier beabſichtigte
ich mich niederzulaſſen und ſuver eine der Luftklap-
pen, wobei die Schnur ſich ſo verwickelte, daß ich die
Klappe⸗ nicht wieder zu ſchließen vermochte, und mit ge-
fährlicher Schnelle niederſank.
ö lon wieder in den Weſt⸗ Stric, was eine ſo plötzliche

ö *) Bekanntlich befindet ſich der Niagara⸗ Fall 21 Wengliſche Mei-
ken von Buffalo im Staare Newyork und iſt der durch den Niaga-
ra⸗Fluß vermittelte Sturz des Erie⸗ See's in den Ontario⸗See. Der
Erie⸗See, der faſt eben ſo groß iſt, wie das ganze Königreich Bel-
gien, liegt 300 Fuß höher als der Ontario-⸗See. Der Niagara-

Fluß wird an einer Stelle durch Felſenufer bis auf etwa 600 Fuß

eingeengt, dann theilt er ſich um einige Felſeninſeln herum in mehrere
Arme und gewinnt eine Breite von etwa 4000 Fuß. In dieſen Ar-
men aber ſtürzt das- Waſſer über die vorſtehenden Felſen 160 Fuß
tief — alſo thurmhoch — in den Ontario hinab. Der Fall zeichnet
ſich durch Waſſerfülle, furchtbare Kraft und grandioſe Majeſtät wohl
vor allen ähnlichen Erſcheinungen der Erde aus.

Dabei gerieth der Bal-

142

Hin ſeinem Cours fortlaufen.

dort, wo ich war, dem Niagara

g ab. 8 844010 iſien
Erenl 4 ö 23 9— Si-
Auation daduthh de, Jo Hathen chndesGute.

in ſeinem Falle aufzuhalten. Deſſennuge-
achtet ſank ich in einem Winkel von 36 Grad und hielt

es eundlich für das Gerathenſte, einen meiner Anker aus-
zuwerfen, der auch bald in den Zweigen eines hohen

und ſtarken Fichtenbaumes ſich fefl ſchlug. Der heftige
Stoß, welcher daraus für den Ballon ſchloß
wieder deſſen Klappe und ich mußte einſehen, daß es

mir unmöglich ſein würde, ihn von einem abermaligen

Aufſchwung zurückzuhalten, der ihn auf's Neue über
den See, in der Richtung nach Buffalo, ſühren oder
auch in den ſtarken Luftſtrom bringen. konnte, welcher
bis zum Falle zu ſol-
gen pflegt. Damit ließ ich mich raſch in den Baum
nieder und kaum, daß der Ballon frei war, als er, wie
ich vermuthete, ſtieg, und in ber Richtung nach dem
Niagara⸗ Fall fortzog.
Ich folgte ihm am Ufer entlang; und kam ſo nach
dem Landhauſe des Lords Elford, wo ich für die Hab-
haftwerdung des Ballons 10 Pfund ausbot..“
Soweit es beginnt nunmehr mein eige ·
nes Erlebniß. Zufällig ſollte ich nämlich von dem Aus-⸗
gebot hören, welches Merriman bei ſeiner Ankunft auf
der Beſitzung meines Vaters ſtellte. Alsbald ſagte ich
ihm, daß ich nicht ſeines Geldes wegen, aber aus Luſt
zu dem Abenteuer, den Verſuch zur Einfangung des
Ballons machen wolle. Zu dem Ende beſtieg ich mein
Segelboot und fuhr bei einer friſchen Viertels-Briſe den
See hinunter. Ungefähr zwei Meilen war ich von der
Stelle entfernt, wo der Niagara abfließt, als ich den
Ballon in letzteren niederfallen ſah. Dies gab mir die
Ueberzeugung, daß ich denſelben noch. erreichen und an
das Ufer bringen könne, und ich ließ daher mein Boot
Siebzehn Meilen mochte
ich zurückgelegt haben, als der. Ballon dicht unter mei-

nem Bug trieb und ich nach vorne ſprang, um ihn zu

ergreifen. In dem Moment aber, daß ich mich über
den Bord hinlegte, traf eine ſtarke Schwellung das Boot
und warf es um. Die Stelle, wo dies geſchah, war
faſt in der Mitte des Stromes, wenigſtens eine halbe
(engliſche) Meile von beiden Ufern und etwa zwei von
dem Fall. Das Bewußtſein meiner gefährlichen Lage
traf mich im erſten Augenbl ick mit üÜbermannender Ge-
walt. Ich ſchrie laut um Hülfe, obwohl mirsdieſelbe
nicht gewährt werden konnte, zf auch ufen r
Zuſchauermenge an dem Ufer zuſammengeklufen war
und mich inmitten der wüthendeu und gegeneingnder

treibenden Wirbel ſah, die mit unwiderſtehl icher“ Ge ·

walt mich fortriſſen.
So näherte ich mich dem Fall in entſetzlicher. Schnelle.
Mein Boot war bald nach ſeinem Umſturz an den zähl-
reichen, ſcharfen Felſen zerfchellt; ich hielt mich dafür
an dem Ballon, der ſein Gas verloren hatte, während
ſich ſeine vielen Falten mit Luft füllten, und er ſo
leicht und behende Weda als gehe er über die Ober-
fläche eines ruhigen Gewäſſers. Nahe vor dem Fall
verwickelte ein. Strick des Ballons ſich mit. meinen Bei.
 
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