Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Volksblatt (4) — 1871

DOI Kapitel:
Nr. 35 - Nr. 43 (3. Mai - 31. Mai)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.44617#0151

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Grade, kurz ein kleines Scheuſal. Nichts war ihm bei-
zubringen, und zu Nichts bezeigte er Luſt, als einen
Stock zu führen, den er auch ſelten aus der Hand legte,

und womit er Jeden ſchlug, der ihm zu nahe kam, oder

der ihm etwas Unangenehmes ſagte. Die Familie ver-
abſcheute ihn wegen dieſes unleidlichen Weſens, und die
allgemeine Verachtung, die er wohl fuhlte, beſtärkte ihn
darin. Er lernte nichts und blieb ſich ſelbſt überlaſ-
ſen, faſt ohne alle Erziehung; ſelbſt die Bedienten durf-
ten ihn necken, und die Verachtung ſeiner Eltern ging
ſo weit, daß er nitt an den Tiſch kommen durfte,
ſondern in einem Winkel des Saales allein eſſen mußte.
Gleichwohl war der Bube ſehr empfindlich gegen dieſe
Verachtung. Ein Beweis, daß man ihn unrecht behan-
delt hatte. Einſt war der Vater verreiſt und Bertrand
wollte ſich zu ſeiner Mutter und den Brüdern mit an
den Tiſch drängen. Man wies ihn zurück, aber er
rächte ſich dafür, warf den Tiſch mit Allem, was da-
rauf ſtand, um, und. zog ſich in ſeinen Winkel zurück.
Faſt in denſelben Augenblick trat eine Nonne in das
Bimmer, die eine Freundin des Hauſes war und Ber-
lrand's Mutter zu beſuchen kam. Sie grüßte die Ge-

ſellſchaft und machte auch Bertrand ein Kompliment,
der noch immer grollend in ſeinem Winkel ſaß und

glaubte, das ſie ihn nur damit aufziehen wollte. Er
hob deßhalb ſchon ſeinen Stock auf, um ihr mit ein
paar Schlägen zu danken; aber die ſcharfblickende Nonne
wußte den kleinen Trotzkopf zu beſönftigen. Sie wandte
ſich zur Familie und ſägte: „Wie es ſcheint, ſo verach-
tet Ihr Bertrand; und doch leſe ich in ſeinem Geſichte,
daß er einſt die Ehre Eures Hauſes ſein wird.“ Als
ſie dies ſagte, trameben ein Bedienter herein, um einen
gebrateuen Faſan aufzutragen. Bertrand ſprang ſo-
gleich aus ſeinem Winkel hervor, nahm dem Bedienten
die Schuſſel ab und präſentirte der Nonne den Faſan,
um, wie er fagte, es wieder gut zu machen, daß er ſo
ungezögen gegen ſie geweſen ſei. Zugleich nahm er ei-
nen Becher voll Wern vom Tiſch, den er, ihr über-
reichte. Von dleſem Augendlicke an war er wie umge-
wandelt; die Worte; der Nonne hatten wie ein Blitz-
ſtrahl gewirtt; auch die Familie ward nun bewogen,
ir Belragen gegen Bertrand zu ändern; und dies mil-

derte allmählig ſeinen wilden Charakter. Es ging frei-

lich niit ſeiner Bekehrung nur laͤngſam. In ſeinem
Knabenalier waren Waffen ſein liebſtes Geräth, und
Krieg ſein Spiel. Die Knaben des Dorfes waren ſeine
Tourniergenoſſen, und mit dieſen kämpfte er den gan-

zen laugen Tag, und gewöhnlich kam er am Abend mit

blauem Auge, zerkraztem Geſicht oder zerriſſenen Klei-

dern nach Hauſe. Sein Vater verbot zwar den Bauern,‚
ihre Kinder mit Bertrand ſpielen zu laſſen; aber ver-

gebeus. Der junge du Gueselin wußte ſie Alle zu be-
perrſchen, und kein Bube wagte zurückzubleiben, wenn

lich ſeine riiterlichen Uebungen fort, bis der Vater' dem
Unweſen dadurch ein Ende machte, daß er ihn in eine
Kammer ſperrte.

Thür hinaus, ſperrte die Magd ein, ſchlich ſich hinun⸗-

d. Als ihm hier die Magd zu eſſen
braächte, nahm er die Gelegenheit wahr, ſchlüpfte zur



Connetable von Frankreich.
— — e Chateau neuf de
er ein Aufgebot ergrhen ließ. So trieb er denn täg.

ter in den Hof, ſattelte eins von ſeines Vaters Maul-
thieren, und trabte damit nach Nennes zu ſeinem Oheim,
der ihn auch willig aufnahm. ö
In Rennes wurde damals jährlich an einem gewiſ-
ſen Tage ein öffentliches Ringen um einen Preis ge-
halten. Dieſer Tag fiel kurz nach Vertrand's Ankunft,
der damals ſchon ziemlich herangewachſen war. Ein
Bretagner, der bereits zwölf Gegner zu Boden gewor-
fen hatte, bot ihn einen Gang an. Bertrand mochte
zwar anfangs aus Furcht pot ſeinem Oheim nichts da-
von wiſſen. Als man, ihn aber hierüber beruhigte,
nahm er die Herausforderung an, und warf ſeinen
Gegner mit großer Fertigkeit zu Boden. Dieſer zog
ihn nach ſich und im Fallen verwundete ſich der Sieger
am Knie, ſo daß man ihn blutend in das Haus ſeines
Oheims brachte. Pferd und Rüſtung, welche ſeine
Tante dem ſiebzehnjährigen Jünglinge gaß, heilten
ſeine Wunde eher, als der Arzt. Kaum war Bertrand“)
hergeſtellt, ſo ging ſeine ganze Begierde darauf, ſich als
Ritter hervorzuthun, und ſein Durſt nach Ruhm ver-
edelte nun allmählig jede ſeiner Handlungen. Eines

Tages wurde zu Rennes ein Turnier gehalten. Un-

ſerm Bertrand that nichts weher, abs daß er dabei in
einem ſo elenden Aufzuge erſcheinen ſollte; denn ſein
Vater gab ihm nichts und ſeine Geſtalt war ohnedies

nicht zum Gefallen gemacht. Das brachte Bertrand
auf den Gedanken, ſich am Glück zu rächen und durch
eine ausgezrichnete Handlung den Beifall zu erzwingen,

den man ſeiner unanfehnlichen Erſcheinung verſagt ha-
ben würde. Er lieh von einem Verwandten Pferd und
Rüſtung und nahte ſich mit geſenktem Viſir den Schran-

ken.. Den erſten Gegner, der ſich ihm ſtellte, rannte
er zu Boden; dem zweiten ſtieß er das Kaskett ab;
kurz, er brach fünfzehn Lanzen und blied unerſchüttert

im Sattel. Der ſechzehnte Gegner rannte ihm das Viſir

auf, und genügte dadurch dee Neugierde der Zuſchauer,
einen ſo, außerordentlichen Ritter kennen zu lernen.
Ein freudiges Gemurmel erhob ſich, und ſeinem Vater

rannen Freudenthränen den Kunebelbart herab, als er

ſeinen Sohn erkannte, den er nun feiner würdig hielt,

und dem er jetzt ſeine Jugendſtreiche verzieh. Aus

dem Trotzkopf war ein ganzer Mann geworden: —

*) Vertrand du Guesclin wurde 1314 auf dem Schloſſe Motte
Broon bei Rennes geboren. In den Kriegen Frankreichs gegen Eng-
land erwarb er ſich großen Ruhm, befreite nach der Schlacht von
Pottiers Melun, unterwarf mehrere Plätze, ſiegte 1364 bei Cocherel
über den König von Navarra, ward 1364 bei Aurai und 1367 bei

Navaret gefangen. Er unterſtützte Heinrich von Caſtilien gegen Pe-

ter den Grauſamen, war die Verankaſſung zu des Letzteren Ermor-
dung durch den Erſteren und wurde deßhalb Connetable von Caſti-
lien; nach Frankreich zurückgekehrt ſchlug er die Engländer und wurde
h. Er ſtarb 1380 bei der Belagerung. von
Randon in Gevauden.

— ————
 
Annotationen