Friedrich der Große über die orientaliſche
ö Frage.
(Schluß.) ö
Am 14. Juni ſchrieb Friedrich an ſeinen genannten
Neffen einen Brief, in welchem nachſtehende bezeichnete
Stellen vorkommen: „Der Kaiſer Joſeph laſtet ſchwer auf
meinen ſiebzigjährigen Schultern. Er hält mich vielleicht
für zu alt, um mit dem Schwert zu fechten, und ſetzt
meine Feder in Bewegung. Auf allen Seiten macht er mir
auf das thätigſte zu ſchaffen: ich ſuche mit nicht geringer
Lebhaftigkeit ſeinen Angriffen zu begegnen.
jetzt, wer Rußland auf ſeiner Seite haben wird; wir ſind
in den Schranken, wir müſſen ſehen, wer von uns beiden
den Sieg davon trägt. — Man ſagt in Wien, der Kai-
ſer ſuche Preußen zu iſoliren, indem er demſelben Rußland
entreißt, denn Frankreich werde ſich niemals mit Preußen
vereinigen. In dieſem Falle würde für Preußen nur Eng-
land übrig bleiben; das wäre eine Verſchlechterung, aber
im Nothfalle müßte man dazu greifen. Alle dieſe Dinge,
lieber Neffe, betreffen mich nicht mehr perſönlich: meine
Zeit iſt vorüber; aber meine Pflicht iſt es doch, an die
Wohlfahrt meines Landes zu denken, und womöglich einen
ſo verderblichen Krieg, wie der von 1756 war, zu verhü-
ten. Einer Gefahr, wie die damalige, entgeht man nur
durch Wunder; man muß Alles thun, um ihr zuvorzu-
kommen, wenn man auch nur wenig Hoffnungen dazu hat.
Der Großfürſt von Rußland hält noch feſt; er iſt ſelbſt
mit ſeiner Gemahlin ein wenig darüber zerfallen. Aber
alle dieſe Menſchen ſind wie ein ſchwaches
Rohr, welches der Wind hin und her weht.“
Man ſieht, der große König war nicht vollkommen un-
terrichtet, er wußte nicht, wie weit die Verbindung zwiſchen
Rußland und Oeſterreich bereits gediehen war: aber was
er davon ahnte, erfüllte ſeine Seele mit Beſorgniß für die
Zukunft und bitterem Gefühle für die Gegenwart. Dies
drücken recht lebhaft folgende Worte aus: „Großer Gott!
Von welchen Weſen hängt das Schickſal der Menſchen ab.
Ein König von Frankreich, der von den Intereſſen ſeines
Königreichs keine Idee hat; ein König von Spanien, der
ein Narr iſt; eine Königin von Portugal, die ihr Beicht-
vater unterjocht hat; ein König von England, welcher ſtol-
pert ſeibſt am Gängelbande; ein König von Neape], den
man einſperren ſollte; eine Selbſtherrſcherin (Katharina II.),
die ſich gegen ihre Liebhaber wegwirft, aber in demſelben
Grade hochmüthig iſt gegen Europa: das ſind die Men-
ſchen, mit denen man zu thun hat und ohne deren Theil-
nahme kein politiſches Geſchäft unternommen werden kann.“
In der That, Friedrich II. kannte ſeine Leute und be-
urtheilte ſie, wenn auch ſcharf. Auch der nordamerikaniſche
Unabhängigkeitskrieg beſchäftigte ihn noch einmal. „Der
König von England,“ ſagte er in dieſer Beziehung, „will
nun Frieden mit den Kolonien und. mit Holland, aber nur
um ſich mit aller Macht auf die Franzoſen und Spanier
zu ſtürzen. Man ſchlägt mir vor, den Frieden zu ver-
mitteln, aber unter welchen Bedingungen? Sollen die
Amerikaner frei ſein oder unterworfen? Soll Holland
Frieden machen, ohne die verlorenen Beſitzungen wiederzu-
erhalten? Wird Lord Bute noch immer hinter den Kou-
liſſen Meiſter der Geſchäfte bleiben? Wenn ſo, — dann
Wir ſtreiten
könnte Niemand Vertrauen faſſen. Die abſcheu liche
Corruption, die in dem Parlamente eingeriſſen iſt und
die ganze Nation durchdringt, hat das Gefühl der
Ehre und den republikanſchen Nerv herabgewürdigt,
der ſonſt Herzhaftigkeit und Edelmuth hervorrief.“
Es iſt zu beachten, daß Friedrich der Große den „re-
publikaniſchen Nerv“, der in einem wahrhaft parlamenta-
riſch geleiteten Staatsweſen ſtecken muß, nicht gering ſchätzte,
daß er deſſen Mangel vielmehr beklagte. Aber dieſer große
Fürſt hielt ſich auch für den „erſten Diener des Staates“,
wie wir es in ſeiner „Apologie de ma conduite politi-
que“, die er in der zweiten Hälfte des Jahres 1757
ſchrieb, leſen. In dieſem werthvollen Aufſatze erklärt er
noch, ein guter Fürſt thue Recht, wenn er dem Volke, das
ihm gehorche, „die Gründe ſeiner Handlungen auseinan-
der ſetze.“ Und in dieſem Glauben rechtfertigte ſich Fried⸗—
rich II. vor ſeinem Volke wegen des begonnenen ſiebenjäh-
rigen Krieges; er that dies, weil — wie er ſelbſt ſagte,
— „ſein Gewiſſen rein ſei und er es wagen könne, gleich-
ſam laut zu denken.“
Es iſt bekannt, aber doch muß gerade in der Gegen-
wart daran erinnert werden, wie mit klarem Bewußtſein
der große König ſchon vor hundert Jahren und länger die
Trennung von Staat und Kirche für nothwendig
hielt und ewig wahr und treffend iſt ſein Ausſpruch: „In
meinen Staaten kann Jeder nach ſeiner Fagon ſelig wer-
den!“ Wohl konnte deßhalb mit Bezug auf dieſen Aus-
ſpruch Johann Gottlieb Fichte ſagen: „Das rettet
Deine Ehre bei der richtenden Nachwelt, unſterblicher
Friedrich, erhebt Dich aus der Klaſſe der zertretenden
Despoten und ſetzt Dich in die ehrenvolle Reihe der Er-—
zieher der Völker für Freiheit!“ — Wahrlich,
die Geſchichte Friedrichs des Großen iſt voller Lehren ſelbſt
für eine Zeit, wie die unſrige. Man thut Recht, die gro-
ßen Männer der Gegenwart zu verehren, aber man ſoll
darüber die großen Todten nicht vergeſſen.
Es ſind jetzt fünfundachtzig Jahre verfloſſen, wo ein
großes Leben, einzig in der Geſchichte, endete. Am 17.
Auguſt 1786, bald nach zwei Uhr Morgens, auf ſeinem
Lehnſtuhle ruhend, in, den Armen eines Kammerlakaien,
der ihn emporhielt, um ihm das Athmen zu erleichtern,
hat Friedrich II. ſeinen letzten Athemzug gethan: ſein
Schluͤmmer verwandelte ſich in den Schlaf des Todes.
„Ohne Bedauern,“ ſo heißt es in ſeinem Teſtament, „gebe
ich den Lebenshauch, der mich beſeelt, der wohlthätigen Na-
tur zurück, die mir ihn verliehen, und meinen Körper den
Elementen, aus denen er zuſammengeſeßt iſt.“
Am 18. Auguſt, ſo berichtet Ranke, waren die ſterbli-
chen Ueberreſte des als Feldherr, Staatsmann und Denker
gleich großen Königs in dem Stadtſchloſſe zu Potsdam in
Parade aufgeſtellt. Sein Degen und ſein Krückſtock lagen
neben ihm. Unter denen, die dem Verſtorbenen die letzte
Huldigung darbringen wollten, erſchien auch das erſte Gar-
debataillon, Offiziere und Gemeine. Sie brachten Lorbeer-
zweige mit ſich, mit denen ſie ſeinen Körper und das Bett
ſchmückten. Dann traten ſie zurück und ſanken in ihrt
Kniee. Ein Gebet haben ſie nicht geſprochen, aber auch
ſonſt kein Wort hervorgebracht. Die hellen Thränen roll-
ten über die Wangen der tapferen Krieger.
ö Frage.
(Schluß.) ö
Am 14. Juni ſchrieb Friedrich an ſeinen genannten
Neffen einen Brief, in welchem nachſtehende bezeichnete
Stellen vorkommen: „Der Kaiſer Joſeph laſtet ſchwer auf
meinen ſiebzigjährigen Schultern. Er hält mich vielleicht
für zu alt, um mit dem Schwert zu fechten, und ſetzt
meine Feder in Bewegung. Auf allen Seiten macht er mir
auf das thätigſte zu ſchaffen: ich ſuche mit nicht geringer
Lebhaftigkeit ſeinen Angriffen zu begegnen.
jetzt, wer Rußland auf ſeiner Seite haben wird; wir ſind
in den Schranken, wir müſſen ſehen, wer von uns beiden
den Sieg davon trägt. — Man ſagt in Wien, der Kai-
ſer ſuche Preußen zu iſoliren, indem er demſelben Rußland
entreißt, denn Frankreich werde ſich niemals mit Preußen
vereinigen. In dieſem Falle würde für Preußen nur Eng-
land übrig bleiben; das wäre eine Verſchlechterung, aber
im Nothfalle müßte man dazu greifen. Alle dieſe Dinge,
lieber Neffe, betreffen mich nicht mehr perſönlich: meine
Zeit iſt vorüber; aber meine Pflicht iſt es doch, an die
Wohlfahrt meines Landes zu denken, und womöglich einen
ſo verderblichen Krieg, wie der von 1756 war, zu verhü-
ten. Einer Gefahr, wie die damalige, entgeht man nur
durch Wunder; man muß Alles thun, um ihr zuvorzu-
kommen, wenn man auch nur wenig Hoffnungen dazu hat.
Der Großfürſt von Rußland hält noch feſt; er iſt ſelbſt
mit ſeiner Gemahlin ein wenig darüber zerfallen. Aber
alle dieſe Menſchen ſind wie ein ſchwaches
Rohr, welches der Wind hin und her weht.“
Man ſieht, der große König war nicht vollkommen un-
terrichtet, er wußte nicht, wie weit die Verbindung zwiſchen
Rußland und Oeſterreich bereits gediehen war: aber was
er davon ahnte, erfüllte ſeine Seele mit Beſorgniß für die
Zukunft und bitterem Gefühle für die Gegenwart. Dies
drücken recht lebhaft folgende Worte aus: „Großer Gott!
Von welchen Weſen hängt das Schickſal der Menſchen ab.
Ein König von Frankreich, der von den Intereſſen ſeines
Königreichs keine Idee hat; ein König von Spanien, der
ein Narr iſt; eine Königin von Portugal, die ihr Beicht-
vater unterjocht hat; ein König von England, welcher ſtol-
pert ſeibſt am Gängelbande; ein König von Neape], den
man einſperren ſollte; eine Selbſtherrſcherin (Katharina II.),
die ſich gegen ihre Liebhaber wegwirft, aber in demſelben
Grade hochmüthig iſt gegen Europa: das ſind die Men-
ſchen, mit denen man zu thun hat und ohne deren Theil-
nahme kein politiſches Geſchäft unternommen werden kann.“
In der That, Friedrich II. kannte ſeine Leute und be-
urtheilte ſie, wenn auch ſcharf. Auch der nordamerikaniſche
Unabhängigkeitskrieg beſchäftigte ihn noch einmal. „Der
König von England,“ ſagte er in dieſer Beziehung, „will
nun Frieden mit den Kolonien und. mit Holland, aber nur
um ſich mit aller Macht auf die Franzoſen und Spanier
zu ſtürzen. Man ſchlägt mir vor, den Frieden zu ver-
mitteln, aber unter welchen Bedingungen? Sollen die
Amerikaner frei ſein oder unterworfen? Soll Holland
Frieden machen, ohne die verlorenen Beſitzungen wiederzu-
erhalten? Wird Lord Bute noch immer hinter den Kou-
liſſen Meiſter der Geſchäfte bleiben? Wenn ſo, — dann
Wir ſtreiten
könnte Niemand Vertrauen faſſen. Die abſcheu liche
Corruption, die in dem Parlamente eingeriſſen iſt und
die ganze Nation durchdringt, hat das Gefühl der
Ehre und den republikanſchen Nerv herabgewürdigt,
der ſonſt Herzhaftigkeit und Edelmuth hervorrief.“
Es iſt zu beachten, daß Friedrich der Große den „re-
publikaniſchen Nerv“, der in einem wahrhaft parlamenta-
riſch geleiteten Staatsweſen ſtecken muß, nicht gering ſchätzte,
daß er deſſen Mangel vielmehr beklagte. Aber dieſer große
Fürſt hielt ſich auch für den „erſten Diener des Staates“,
wie wir es in ſeiner „Apologie de ma conduite politi-
que“, die er in der zweiten Hälfte des Jahres 1757
ſchrieb, leſen. In dieſem werthvollen Aufſatze erklärt er
noch, ein guter Fürſt thue Recht, wenn er dem Volke, das
ihm gehorche, „die Gründe ſeiner Handlungen auseinan-
der ſetze.“ Und in dieſem Glauben rechtfertigte ſich Fried⸗—
rich II. vor ſeinem Volke wegen des begonnenen ſiebenjäh-
rigen Krieges; er that dies, weil — wie er ſelbſt ſagte,
— „ſein Gewiſſen rein ſei und er es wagen könne, gleich-
ſam laut zu denken.“
Es iſt bekannt, aber doch muß gerade in der Gegen-
wart daran erinnert werden, wie mit klarem Bewußtſein
der große König ſchon vor hundert Jahren und länger die
Trennung von Staat und Kirche für nothwendig
hielt und ewig wahr und treffend iſt ſein Ausſpruch: „In
meinen Staaten kann Jeder nach ſeiner Fagon ſelig wer-
den!“ Wohl konnte deßhalb mit Bezug auf dieſen Aus-
ſpruch Johann Gottlieb Fichte ſagen: „Das rettet
Deine Ehre bei der richtenden Nachwelt, unſterblicher
Friedrich, erhebt Dich aus der Klaſſe der zertretenden
Despoten und ſetzt Dich in die ehrenvolle Reihe der Er-—
zieher der Völker für Freiheit!“ — Wahrlich,
die Geſchichte Friedrichs des Großen iſt voller Lehren ſelbſt
für eine Zeit, wie die unſrige. Man thut Recht, die gro-
ßen Männer der Gegenwart zu verehren, aber man ſoll
darüber die großen Todten nicht vergeſſen.
Es ſind jetzt fünfundachtzig Jahre verfloſſen, wo ein
großes Leben, einzig in der Geſchichte, endete. Am 17.
Auguſt 1786, bald nach zwei Uhr Morgens, auf ſeinem
Lehnſtuhle ruhend, in, den Armen eines Kammerlakaien,
der ihn emporhielt, um ihm das Athmen zu erleichtern,
hat Friedrich II. ſeinen letzten Athemzug gethan: ſein
Schluͤmmer verwandelte ſich in den Schlaf des Todes.
„Ohne Bedauern,“ ſo heißt es in ſeinem Teſtament, „gebe
ich den Lebenshauch, der mich beſeelt, der wohlthätigen Na-
tur zurück, die mir ihn verliehen, und meinen Körper den
Elementen, aus denen er zuſammengeſeßt iſt.“
Am 18. Auguſt, ſo berichtet Ranke, waren die ſterbli-
chen Ueberreſte des als Feldherr, Staatsmann und Denker
gleich großen Königs in dem Stadtſchloſſe zu Potsdam in
Parade aufgeſtellt. Sein Degen und ſein Krückſtock lagen
neben ihm. Unter denen, die dem Verſtorbenen die letzte
Huldigung darbringen wollten, erſchien auch das erſte Gar-
debataillon, Offiziere und Gemeine. Sie brachten Lorbeer-
zweige mit ſich, mit denen ſie ſeinen Körper und das Bett
ſchmückten. Dann traten ſie zurück und ſanken in ihrt
Kniee. Ein Gebet haben ſie nicht geſprochen, aber auch
ſonſt kein Wort hervorgebracht. Die hellen Thränen roll-
ten über die Wangen der tapferen Krieger.