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weite offene Aermel zurückgefallen, leicht ſtützte. Bewun-
dernd und voller Theilnahme blickte der Baron auf die
reizvolle Erſcheinung der Frau, auf deren Zügen bereits
Kummer und Leid ſich mit unverkennbaren Zügen einge-
graben hatten. Ein helle Röthe bedeckte für einen Augen-
blick Frau von Reuter's blaſſe Wangen, als ſie dem Blicke
des Barons begegnete, auch ee wandte ſich faſt verlegen
ab, einen Augenblick herrſchte eine peinliche Stille. Da
bemerkte der Baron das Buch der Lieder, das Frau von
Reuter auf den Tiſch gelegt hatte und froh, einen Gegen-
ſtand der Unterhaltung zu finden, der das peinliche Schwei-
gen brach, nahm er es auf und blätterte darin.
„Sie lieben alſo auch Heine, gnädige Frau?“
er im leichten Tone — „da haben wir ja gleiche Sym-
pathie; Heine iſt auch mein Lieblingsdichter, ich liebte ihn
noch mehr, als ich jünger war.“
„Das überraſcht mich, Herr Baron“, erwiderte ſie,
auf den leichten Ton, den der Baron angeſchlagen, ſofort
eingehend; „gewöhnlich wird Heine von den Männern we-
niger goutirt als von uns Frauen, er iſt ein Dichter der
Frauen.“ ö
„Und warum glauben Sie das? Darf ich mir dar-
über eine nähere Erklärung ausbitten?“
„Sie finden ſie in Heine ſelbſt, Herr Baron! Er ſpricht
vom glückverhärteten Geſchlecht in einem ſeiner Nordſee-
lieder, die Männer haben im Ganzen weniger zu leiden,
als wir Frauen, und deshalb zieht uns der Schmerz, die
Wehmuth, mit einem Wort die Lyrik der Poeſie am mei-
ſten an, während das ſtarke Geſchlecht mehr heitere An-
regung oder tragiſche Kraft in derſelben ſucht.“
„Im Allgemeinen mögen Sie Recht haben, gnädige
Frau, aber doch nicht immer. Bei den Städtern, den
Männern der Wiſſenſchaft, die in unaufhörlichem Streben
das Leben geiſtig ausbeuten. — da mag es ſo ſein. Dieſe
brauchen die lyriſche Poeſie nicht. Wir Landleute aber,
die wir mitten im Schaffen und Walten der Natur auf-
wachſen, bei uns iſt es anders, unſer Empfinden wird ſchon
von Jugend an durch die Natur lyriſch geſtimmt. Um das
einfache, arbeitsvolle und gleichmäßige Leben des Land-
mannes, das keinen Ehrgeiz, kein Ringen nach Ruhm und
äußerem Glanz zuläßt, ertragen zu können, müſſen wir
uns zuweilen in das Land des lyriſchen Empfindens flüch-
ten, wollen wir nicht trivial und dem matertellen Genuſſe
allein zugänglich werden. Und dann, gnädige Frau, glau-
ben Sie mir, auch dem glückgehärteten Geſchlecht, wie
Heine es zu nennen beliebt, bleiben die Dornen im Leben
nicht erſpart, die oftmals tiefer ins Herz dringen, als den
Frauen, deren im Allgemeinen leichter ſenſtbler Sinn ſchon
das Heilmittel des Schmerzes in ſich ſelbſt trägt.“
„Ich glaube es“, erwiderte Frau von Reuter, „iſt
doch kein Menſch ganz glücklich auf Erden — jeder ſucht
das Glück — und keiner findet es.“ ö
„Laſſen Sie mich mit Göthe Ihnen antworten“, er-
widerte der Baron.
nen's wohl und wiſſen's nicht zu ſchätzen.
„Es gibt ein Glück, allein wir ken-
Ich wenigſtens
glaube an das Glück, obwohl auch ich es noch nicht kenne;
aber“, ſetzte er lächelnd hinzu, ich hoffe es kennen zu lernen.“) Gewand umhüllte leicht und graziös die hohe volle Geſtalt.
Sie ſah ihm forſchend in's Auge.
ſagte
„Ich weiß“, ſagte ſie lächelnd, „Ihnen iſt das Glück
heute ſehr nahe getreten, es leuchtete mir aus Ihren Augen
entgegen, als Sie von Ihrer Ausfahrt zurückkehrten. Habe
ich recht gerathen?“ ö
„Welch' ein ſcharfes Auge ſie beſitzen, gnädige Frau“,
erwiderte der Baron heiter. „Nun denn, ſo wiſſen Sie
es, für mich iſt jetzt der Moment gekommen, wo ich das
Glück ergreifen ſoll, und da Sie nun einmal verſtändnüß-
voll in mein Herz geblickt haben, geſtatten ſie mir, daß
ich Ihnen ganz mein Vertranen ſchenke, daß ich Ihnen
auch meine Sorgen und Zweifel mittheile.“
„Gewiß“, entgegnete ſie. „Seien Sie verſichert, daß
ich mich Ihres Vertrauens würdig zu machen ſuchen werde.
Aber“, ſetzte ſie ſchüchtern hinzu,“ es iſt ſchon ſpät —
Liſette wartet, wie ich ſehe, ſchon im Salon mit der Kerze,
um mich auf mein Zimmer zu geleiten. „Ich möchte gern
Alles recht genau wiſſen“, ſetzte ſie ſcherzend hin, „und
deshalb, Herr Baron, verſparen wir es auf morgen.“
„Warum nicht heute!“ rief der Baron dringend, „der
Abend iſt ſo ſchön, macht das Herz ſo mittheilſam, bleiben
Sie, wer weiß, ob ſolche Stunde wiederkommt.“
„Ich hoffe, morgen, Herr Baron, werden Sie mir
eben ſo vertrauen, wie heute“, erwiderte ſie lächelnd. „Die
Hauptſache weiß ich ja bereits oder glaube ich wenigſtens
zu wiſſen. — Sie lieben und wollen heirathen; iſt es
nicht ſo?“ ö
„Ihnen ſcheint ja nichts verborgen zu bleiben, „gnä-
dige Frau“, entgegnete der Baron lächelnd. — „Da wer-
den Sie gewiß auch in meinem Intereſſe ſcharf ſehen und
mir den beſten Rath geben können. Ich weiß nicht, wie
es kommt, aber ich habe das Vertrauen zu Ihnen, daß
Sie mir beim Ergreifen meines Glückes helfen können.“
„Ich wünſchte von Herzen, ich könnte es, Herr Baron“,
ſagte ſie herzlich. „Daß Sie das Glück verdienen, davon
bin ich überzeugt, und deshalb wird Gott es Ihnen auch
ſicherlich gewähren.“ ö
„Möge es ſo ſein“, erwiderte er und ergriff ihre Hand,
indem er ſie galant an ſeine Lippen drückte. Sie ſagte
ihm freundlich „gute Nacht“ und ging. Lange ſah er ihr
ſinnend nach, dann ſuchte auch er langſamen Schrittes ſein
Zimmer auf.
III.
Zu derſelben Zeit war Fräulein Eliſe von Raven in
ihrem Boudoir eifrig mit Schreiben beſchäftigt. An der
weit geöffneten Balkonthür ſtand der ſchön geſchnitzte Schreib-
tiſch von Polyſanderholz, vor dem die junge Dame ſaß;
die feingeformte Hand flog haſtig über die Seiten des
duftenden Roſapapiers, dem ſie den Strom ihrer Gedan-
ken anvertraute. Das Mondlicht, das durch die geöffnete
Thür in das Zimmer ſchien, kämpfte mit dem weißen Licht
der großen Lampe, die auf dem Schreibtiſche ſtand und
die ſchönen, regelmäßigen Züge Eliſen's hell beleuchtete.
Volles blondes Haar fiel in üppigen Locken auf die ent-
blößten, weißſchimmernden Schultern, ein weißes, faltiges
Es war war ein köſtliches Bild, das der Mond beleuchtete
weite offene Aermel zurückgefallen, leicht ſtützte. Bewun-
dernd und voller Theilnahme blickte der Baron auf die
reizvolle Erſcheinung der Frau, auf deren Zügen bereits
Kummer und Leid ſich mit unverkennbaren Zügen einge-
graben hatten. Ein helle Röthe bedeckte für einen Augen-
blick Frau von Reuter's blaſſe Wangen, als ſie dem Blicke
des Barons begegnete, auch ee wandte ſich faſt verlegen
ab, einen Augenblick herrſchte eine peinliche Stille. Da
bemerkte der Baron das Buch der Lieder, das Frau von
Reuter auf den Tiſch gelegt hatte und froh, einen Gegen-
ſtand der Unterhaltung zu finden, der das peinliche Schwei-
gen brach, nahm er es auf und blätterte darin.
„Sie lieben alſo auch Heine, gnädige Frau?“
er im leichten Tone — „da haben wir ja gleiche Sym-
pathie; Heine iſt auch mein Lieblingsdichter, ich liebte ihn
noch mehr, als ich jünger war.“
„Das überraſcht mich, Herr Baron“, erwiderte ſie,
auf den leichten Ton, den der Baron angeſchlagen, ſofort
eingehend; „gewöhnlich wird Heine von den Männern we-
niger goutirt als von uns Frauen, er iſt ein Dichter der
Frauen.“ ö
„Und warum glauben Sie das? Darf ich mir dar-
über eine nähere Erklärung ausbitten?“
„Sie finden ſie in Heine ſelbſt, Herr Baron! Er ſpricht
vom glückverhärteten Geſchlecht in einem ſeiner Nordſee-
lieder, die Männer haben im Ganzen weniger zu leiden,
als wir Frauen, und deshalb zieht uns der Schmerz, die
Wehmuth, mit einem Wort die Lyrik der Poeſie am mei-
ſten an, während das ſtarke Geſchlecht mehr heitere An-
regung oder tragiſche Kraft in derſelben ſucht.“
„Im Allgemeinen mögen Sie Recht haben, gnädige
Frau, aber doch nicht immer. Bei den Städtern, den
Männern der Wiſſenſchaft, die in unaufhörlichem Streben
das Leben geiſtig ausbeuten. — da mag es ſo ſein. Dieſe
brauchen die lyriſche Poeſie nicht. Wir Landleute aber,
die wir mitten im Schaffen und Walten der Natur auf-
wachſen, bei uns iſt es anders, unſer Empfinden wird ſchon
von Jugend an durch die Natur lyriſch geſtimmt. Um das
einfache, arbeitsvolle und gleichmäßige Leben des Land-
mannes, das keinen Ehrgeiz, kein Ringen nach Ruhm und
äußerem Glanz zuläßt, ertragen zu können, müſſen wir
uns zuweilen in das Land des lyriſchen Empfindens flüch-
ten, wollen wir nicht trivial und dem matertellen Genuſſe
allein zugänglich werden. Und dann, gnädige Frau, glau-
ben Sie mir, auch dem glückgehärteten Geſchlecht, wie
Heine es zu nennen beliebt, bleiben die Dornen im Leben
nicht erſpart, die oftmals tiefer ins Herz dringen, als den
Frauen, deren im Allgemeinen leichter ſenſtbler Sinn ſchon
das Heilmittel des Schmerzes in ſich ſelbſt trägt.“
„Ich glaube es“, erwiderte Frau von Reuter, „iſt
doch kein Menſch ganz glücklich auf Erden — jeder ſucht
das Glück — und keiner findet es.“ ö
„Laſſen Sie mich mit Göthe Ihnen antworten“, er-
widerte der Baron.
nen's wohl und wiſſen's nicht zu ſchätzen.
„Es gibt ein Glück, allein wir ken-
Ich wenigſtens
glaube an das Glück, obwohl auch ich es noch nicht kenne;
aber“, ſetzte er lächelnd hinzu, ich hoffe es kennen zu lernen.“) Gewand umhüllte leicht und graziös die hohe volle Geſtalt.
Sie ſah ihm forſchend in's Auge.
ſagte
„Ich weiß“, ſagte ſie lächelnd, „Ihnen iſt das Glück
heute ſehr nahe getreten, es leuchtete mir aus Ihren Augen
entgegen, als Sie von Ihrer Ausfahrt zurückkehrten. Habe
ich recht gerathen?“ ö
„Welch' ein ſcharfes Auge ſie beſitzen, gnädige Frau“,
erwiderte der Baron heiter. „Nun denn, ſo wiſſen Sie
es, für mich iſt jetzt der Moment gekommen, wo ich das
Glück ergreifen ſoll, und da Sie nun einmal verſtändnüß-
voll in mein Herz geblickt haben, geſtatten ſie mir, daß
ich Ihnen ganz mein Vertranen ſchenke, daß ich Ihnen
auch meine Sorgen und Zweifel mittheile.“
„Gewiß“, entgegnete ſie. „Seien Sie verſichert, daß
ich mich Ihres Vertrauens würdig zu machen ſuchen werde.
Aber“, ſetzte ſie ſchüchtern hinzu,“ es iſt ſchon ſpät —
Liſette wartet, wie ich ſehe, ſchon im Salon mit der Kerze,
um mich auf mein Zimmer zu geleiten. „Ich möchte gern
Alles recht genau wiſſen“, ſetzte ſie ſcherzend hin, „und
deshalb, Herr Baron, verſparen wir es auf morgen.“
„Warum nicht heute!“ rief der Baron dringend, „der
Abend iſt ſo ſchön, macht das Herz ſo mittheilſam, bleiben
Sie, wer weiß, ob ſolche Stunde wiederkommt.“
„Ich hoffe, morgen, Herr Baron, werden Sie mir
eben ſo vertrauen, wie heute“, erwiderte ſie lächelnd. „Die
Hauptſache weiß ich ja bereits oder glaube ich wenigſtens
zu wiſſen. — Sie lieben und wollen heirathen; iſt es
nicht ſo?“ ö
„Ihnen ſcheint ja nichts verborgen zu bleiben, „gnä-
dige Frau“, entgegnete der Baron lächelnd. — „Da wer-
den Sie gewiß auch in meinem Intereſſe ſcharf ſehen und
mir den beſten Rath geben können. Ich weiß nicht, wie
es kommt, aber ich habe das Vertrauen zu Ihnen, daß
Sie mir beim Ergreifen meines Glückes helfen können.“
„Ich wünſchte von Herzen, ich könnte es, Herr Baron“,
ſagte ſie herzlich. „Daß Sie das Glück verdienen, davon
bin ich überzeugt, und deshalb wird Gott es Ihnen auch
ſicherlich gewähren.“ ö
„Möge es ſo ſein“, erwiderte er und ergriff ihre Hand,
indem er ſie galant an ſeine Lippen drückte. Sie ſagte
ihm freundlich „gute Nacht“ und ging. Lange ſah er ihr
ſinnend nach, dann ſuchte auch er langſamen Schrittes ſein
Zimmer auf.
III.
Zu derſelben Zeit war Fräulein Eliſe von Raven in
ihrem Boudoir eifrig mit Schreiben beſchäftigt. An der
weit geöffneten Balkonthür ſtand der ſchön geſchnitzte Schreib-
tiſch von Polyſanderholz, vor dem die junge Dame ſaß;
die feingeformte Hand flog haſtig über die Seiten des
duftenden Roſapapiers, dem ſie den Strom ihrer Gedan-
ken anvertraute. Das Mondlicht, das durch die geöffnete
Thür in das Zimmer ſchien, kämpfte mit dem weißen Licht
der großen Lampe, die auf dem Schreibtiſche ſtand und
die ſchönen, regelmäßigen Züge Eliſen's hell beleuchtete.
Volles blondes Haar fiel in üppigen Locken auf die ent-
blößten, weißſchimmernden Schultern, ein weißes, faltiges
Es war war ein köſtliches Bild, das der Mond beleuchtete