3.
ſtalten in ſeinen Träumen verfolgt, bald hatte er Eliſens
heles Lachen gehört, bald hatten die dunkeln Augen Frau
Reuter's ihn mit ihrem ſüßen, melancholiſchem Ausdruck
verführeriſch angeblickt. Geſtern, als er von dem ſchönen
Mädchen Abſchied genommen, war es ſein feſter Entſchluß
geweſen, ſchon am folgenden Tage um ihre Hand bei dem
alten General zu werben. Er wollte ſie in ſeinem Hauſe,
wenn ſie mit ihren Eltern ihn beſuchte, ſchon als ſeine
Braut begrüßen dürfen. Heute, nachdem er den geſtrigen
Abend in der Geſellſchaft Frau von Reuter's verlebt,
ſchwankte plötzlich Alles in ihm, ſeltſame Zweifel beſtürm⸗—
ten ſeine Seele, er wußte nicht mehr, ob er Eliſen liebte,
wie konnte eine Andere ihn mit ſo magiſcher Gewalt an
ſich ziehen, wie es ihm von dieſer Frau geſchehen?
er ſich doch, als er heute zu Frau von Reuter trat, feſt
vorgenommen, kalt und zurückhaltend gegen ſie zu ſein, doch
als ſie ihn mit ihren dunkeln ernſten Augen angeſchaut,
waren alle ſeine Vorſätze verſchwunden und er hatte nur
den einen Wunſch noch gefühlt, ſie in ſeiner Nähe zu be-
halten.
„Bin ich denn nicht mehr, der ich war?“ fragte er
ſich. „Iſt alle Energie, alle Feſtigkeit von mir gewichen,
daß ich wie ein ſchwankendes Rohr bald auf die eine, bald
auf die andere Seite mich hinneige? Frau von Reuter
und Fräulein von Raven?“ ö
Er lachte bitter auf.
Wenn mich einer meiner Freunde in dieſer Stunde
ſähe, wie würde er ob dieſes Kampſes lachen? Das ſchöne,
reiche, vornehme Mädchen und die arme mir faſt fremde
Frau, die ſich in abhängiger Stellung in meinem eigenen
Hauſe befindet. Wie lächertich in den Augen der Welt,
da noch zu ſchwanken! Ja wahrlich, ich verdiene ausge-
lacht zu werden; wenn ich nun aber die arme fremde Frau
liebte!“ — Er erbebte bei dieſem Gedanken. — „Wenn
ich Sie liebte“ — er blickte plötzlich entſchloſſen auf, „was
kümmert mich denn das Urtheil der Welt? Habe ich nicht
gelernt, mich über daſſelbe hinwegzuſetzen, hält man mich
nicht ſchon lange unter meinen Nachbarn für einen Träu-
mer, einen Sonderling, weil ich nicht grade ſo bin, thue
und denke, wie ſie?“ ö
Das weitere Nachſinnen des Barons wurde in dieſem
Augenblick durch den Eintritt des Dieners unterbrochen,
der ihm ein zierlich gefaltetes Billet überreichte.
VVon der gnädigen Frau von Uechtritz,“ ſagte er, „ſie
läßt um Antwort bitten.“
Der Baron durchflog raſch die wenigen Zeilen; es war
eine Einladung der Dame, bei ihr zu Mittag zu ſpeiſen,
Fräulein von Raven würde auch da ſein, ihr Gemahl
kehre zwar erſt Nachmittags von einer Geſchäftsreiſe zu-
rück, deſto mehr hoffe ſie aber auf die Geſellſchaft des Ba-
rons und bitte denſelben recht früh zu kommen, da ſie noch
gern vor der Ankunft der jungen Dame mit ihm ſprechen
wolle. ö
Der Baron ſtand einen Augenblick ſinnend da.
„Ich werde der gnädigen Frau aufwarten,“ wandte er
ſich dann raſch zu dem harrenden Diener.
Das Schickſal will es ſo, murmelte er, ich werde jetzt
erproben können, welche Macht Fräulein von Raven über
Hatte
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mein Herz beſitzt, wenn ich in ihrer verführeriſchen Nähe
verweile. Kurze Zeit darauf beſtieg der Baron ſein Pſerd
und ritt, ohne von Frau von Reuter Abſchied zu nehmen,
in raſchem Trabe nach Fernow. Liſetten hatte er nur da-
von benachrichtigt, daß er den Tag fortbleiben würde.
Frau von Uechtritz begrüßte den Baron mit herzlicher
Freude. Sie war allein uud das grade hatte ſie gewünſcht.
„Bitte, ſetzen Sie ſich zu mir, Herr Baron,“ rief ſie,
ihm einen Fautenl hinrückend, „es iſt ganz prächtig, daß
wir noch ein wenig vor Eliſens Ankunft plaudern können.“
Er nahm ihr gegenüber Platz und erwartete ruhig das
Weitere, ſie ſah ihm neckiſch lächelnd in's Auge.
„So ernſt, als als wäre nichts Glückliches Ihnen paſ-
ſirt?“ rief ſie heiter. „O! ͤthun Sie doch nicht ſo unwiſ-
ſend, mir dürfen Sie vertrauen, ich weiß Alles, Sie wa-
ren geſtern bei Ravens geweſen, Eliſe hat es mir geſchrie-
ben, hier leſen Sie.“
„Frau von Uechtritz hielt dem Baron ein duftendes,
roſenfarbenes Billet hin; er zögerte: „Wenn ich darf,“
ſagte er.
„Gewiß, Sie dürfen,“ erwiederte lachend die Dame,
„das Vorrecht ertheile ich Ihnen im Namen Eliſens.“.
Der Baron durchflog das flüchtig geſchriebene Billet.
Es lautete:
Liebe Louiſe!.
Da meine Eltern heute auf den ganzen Tag eine wei-
tere Ausflucht unternehmen, werde ich, wenn Du es er-
laͤubſt, den Tag bei Dir zubringen. Sehr freundlich wäre
es von Dir, wenn Du mir Gelegenheit gäbeſt, Bandelow
bei Dir zu ſehen; er war geſtern hier. Morgen ſind wir
zu ihm zum Nachmittag eingeladen, Ihr ſeid doch auch da?
Doch das Nähere mündlich. ö ö
ů ö Deine Eliſe von Raven.
„Nun?“ fragte Frau von Uechtritz, nachdem der Ba-
ron das Briefchen wieder auf den Tiſch gelegt hatte. ö
„Es wird mich ſehr glücklich machen, meine Gnädige,“
erwiederte er ruhig, „Sie mit Raven's morgen auch bei
mir zu ſehen, ja es war meine Abſicht, Sie heute darum
zu bitten. Ihre Gegenwart allein wird mein einfaches
Haus den Gäſten erträglich machen.“
„Ste Schmeichler“, rief Frau von Uechtritz, unmuthig
den Kopf ſchüttelnd. „Wozu dieſe Redensarten. Nicht
deßhalb habe ich Ihnen Eliſens Brief gezeigt; Sie wiſſen
das auch recht wohl, Herr Baron; Sie beſitzen aber wirk-
lich eine Ruhe, eine Kälte, die bewunderungswürdig iſt;
man ſollte gar nicht glauben, daß Eliſe Sie nur im Ge-
ringſten intereſſire.“.
„Ich weiß in der That nicht, gnädigſte Frau, wie ich
Ihren Zorn verdient habe,“ entgegnete der Baron lächelnd.
„Ich könnte doch nur das Eine wiederholen, was ich Ih-
nen ſchon ſo oft geſagt habe, daß ich Fräulein von Ra-
ven liebenswürdig und gütig finde..
„So laſſen Sir doch eiumal die Maske fallen, beſter
Baron,“ rief Frau von Uechtritz, ungeduldig aufſpringend.
„Unmöglich ſtimmt Ihre heutige Kälte mit Ihrem geſtri-
gen Beſuch bei Ravens, der dach — o Sie dürfen es nicht
läugnen, einen ſehr ernſten Zweck hatte. Uechtritz hat mir
von ſeiner geſtrigen Unterhaltung mit Ihnen berichtet.
ſtalten in ſeinen Träumen verfolgt, bald hatte er Eliſens
heles Lachen gehört, bald hatten die dunkeln Augen Frau
Reuter's ihn mit ihrem ſüßen, melancholiſchem Ausdruck
verführeriſch angeblickt. Geſtern, als er von dem ſchönen
Mädchen Abſchied genommen, war es ſein feſter Entſchluß
geweſen, ſchon am folgenden Tage um ihre Hand bei dem
alten General zu werben. Er wollte ſie in ſeinem Hauſe,
wenn ſie mit ihren Eltern ihn beſuchte, ſchon als ſeine
Braut begrüßen dürfen. Heute, nachdem er den geſtrigen
Abend in der Geſellſchaft Frau von Reuter's verlebt,
ſchwankte plötzlich Alles in ihm, ſeltſame Zweifel beſtürm⸗—
ten ſeine Seele, er wußte nicht mehr, ob er Eliſen liebte,
wie konnte eine Andere ihn mit ſo magiſcher Gewalt an
ſich ziehen, wie es ihm von dieſer Frau geſchehen?
er ſich doch, als er heute zu Frau von Reuter trat, feſt
vorgenommen, kalt und zurückhaltend gegen ſie zu ſein, doch
als ſie ihn mit ihren dunkeln ernſten Augen angeſchaut,
waren alle ſeine Vorſätze verſchwunden und er hatte nur
den einen Wunſch noch gefühlt, ſie in ſeiner Nähe zu be-
halten.
„Bin ich denn nicht mehr, der ich war?“ fragte er
ſich. „Iſt alle Energie, alle Feſtigkeit von mir gewichen,
daß ich wie ein ſchwankendes Rohr bald auf die eine, bald
auf die andere Seite mich hinneige? Frau von Reuter
und Fräulein von Raven?“ ö
Er lachte bitter auf.
Wenn mich einer meiner Freunde in dieſer Stunde
ſähe, wie würde er ob dieſes Kampſes lachen? Das ſchöne,
reiche, vornehme Mädchen und die arme mir faſt fremde
Frau, die ſich in abhängiger Stellung in meinem eigenen
Hauſe befindet. Wie lächertich in den Augen der Welt,
da noch zu ſchwanken! Ja wahrlich, ich verdiene ausge-
lacht zu werden; wenn ich nun aber die arme fremde Frau
liebte!“ — Er erbebte bei dieſem Gedanken. — „Wenn
ich Sie liebte“ — er blickte plötzlich entſchloſſen auf, „was
kümmert mich denn das Urtheil der Welt? Habe ich nicht
gelernt, mich über daſſelbe hinwegzuſetzen, hält man mich
nicht ſchon lange unter meinen Nachbarn für einen Träu-
mer, einen Sonderling, weil ich nicht grade ſo bin, thue
und denke, wie ſie?“ ö
Das weitere Nachſinnen des Barons wurde in dieſem
Augenblick durch den Eintritt des Dieners unterbrochen,
der ihm ein zierlich gefaltetes Billet überreichte.
VVon der gnädigen Frau von Uechtritz,“ ſagte er, „ſie
läßt um Antwort bitten.“
Der Baron durchflog raſch die wenigen Zeilen; es war
eine Einladung der Dame, bei ihr zu Mittag zu ſpeiſen,
Fräulein von Raven würde auch da ſein, ihr Gemahl
kehre zwar erſt Nachmittags von einer Geſchäftsreiſe zu-
rück, deſto mehr hoffe ſie aber auf die Geſellſchaft des Ba-
rons und bitte denſelben recht früh zu kommen, da ſie noch
gern vor der Ankunft der jungen Dame mit ihm ſprechen
wolle. ö
Der Baron ſtand einen Augenblick ſinnend da.
„Ich werde der gnädigen Frau aufwarten,“ wandte er
ſich dann raſch zu dem harrenden Diener.
Das Schickſal will es ſo, murmelte er, ich werde jetzt
erproben können, welche Macht Fräulein von Raven über
Hatte
2
mein Herz beſitzt, wenn ich in ihrer verführeriſchen Nähe
verweile. Kurze Zeit darauf beſtieg der Baron ſein Pſerd
und ritt, ohne von Frau von Reuter Abſchied zu nehmen,
in raſchem Trabe nach Fernow. Liſetten hatte er nur da-
von benachrichtigt, daß er den Tag fortbleiben würde.
Frau von Uechtritz begrüßte den Baron mit herzlicher
Freude. Sie war allein uud das grade hatte ſie gewünſcht.
„Bitte, ſetzen Sie ſich zu mir, Herr Baron,“ rief ſie,
ihm einen Fautenl hinrückend, „es iſt ganz prächtig, daß
wir noch ein wenig vor Eliſens Ankunft plaudern können.“
Er nahm ihr gegenüber Platz und erwartete ruhig das
Weitere, ſie ſah ihm neckiſch lächelnd in's Auge.
„So ernſt, als als wäre nichts Glückliches Ihnen paſ-
ſirt?“ rief ſie heiter. „O! ͤthun Sie doch nicht ſo unwiſ-
ſend, mir dürfen Sie vertrauen, ich weiß Alles, Sie wa-
ren geſtern bei Ravens geweſen, Eliſe hat es mir geſchrie-
ben, hier leſen Sie.“
„Frau von Uechtritz hielt dem Baron ein duftendes,
roſenfarbenes Billet hin; er zögerte: „Wenn ich darf,“
ſagte er.
„Gewiß, Sie dürfen,“ erwiederte lachend die Dame,
„das Vorrecht ertheile ich Ihnen im Namen Eliſens.“.
Der Baron durchflog das flüchtig geſchriebene Billet.
Es lautete:
Liebe Louiſe!.
Da meine Eltern heute auf den ganzen Tag eine wei-
tere Ausflucht unternehmen, werde ich, wenn Du es er-
laͤubſt, den Tag bei Dir zubringen. Sehr freundlich wäre
es von Dir, wenn Du mir Gelegenheit gäbeſt, Bandelow
bei Dir zu ſehen; er war geſtern hier. Morgen ſind wir
zu ihm zum Nachmittag eingeladen, Ihr ſeid doch auch da?
Doch das Nähere mündlich. ö ö
ů ö Deine Eliſe von Raven.
„Nun?“ fragte Frau von Uechtritz, nachdem der Ba-
ron das Briefchen wieder auf den Tiſch gelegt hatte. ö
„Es wird mich ſehr glücklich machen, meine Gnädige,“
erwiederte er ruhig, „Sie mit Raven's morgen auch bei
mir zu ſehen, ja es war meine Abſicht, Sie heute darum
zu bitten. Ihre Gegenwart allein wird mein einfaches
Haus den Gäſten erträglich machen.“
„Ste Schmeichler“, rief Frau von Uechtritz, unmuthig
den Kopf ſchüttelnd. „Wozu dieſe Redensarten. Nicht
deßhalb habe ich Ihnen Eliſens Brief gezeigt; Sie wiſſen
das auch recht wohl, Herr Baron; Sie beſitzen aber wirk-
lich eine Ruhe, eine Kälte, die bewunderungswürdig iſt;
man ſollte gar nicht glauben, daß Eliſe Sie nur im Ge-
ringſten intereſſire.“.
„Ich weiß in der That nicht, gnädigſte Frau, wie ich
Ihren Zorn verdient habe,“ entgegnete der Baron lächelnd.
„Ich könnte doch nur das Eine wiederholen, was ich Ih-
nen ſchon ſo oft geſagt habe, daß ich Fräulein von Ra-
ven liebenswürdig und gütig finde..
„So laſſen Sir doch eiumal die Maske fallen, beſter
Baron,“ rief Frau von Uechtritz, ungeduldig aufſpringend.
„Unmöglich ſtimmt Ihre heutige Kälte mit Ihrem geſtri-
gen Beſuch bei Ravens, der dach — o Sie dürfen es nicht
läugnen, einen ſehr ernſten Zweck hatte. Uechtritz hat mir
von ſeiner geſtrigen Unterhaltung mit Ihnen berichtet.