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Heidelberger Volksblatt (4) — 1871

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Nr. 87 - Nr. 95 (1. November - 29. November)
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eine innere Angſt wie vor einer neuen Gefahr erfaßte ſie.
— „Sie frieren, gnädige Frau,“ ſagte der Baron beſorgt,
als er das Zittern ihres Körpers bemerkte. „Treten wir
in's Zimmer zurück.“
„O, es iſt nur Müdigkeit,“ entgegnete Frau Reuter;
„erlauben Sie, Herr Baron, daß ich mich zurückziehe.“
Sie trat in das Muſikzimmer und machte eine verab-
ſchiedende Verbeugung. Der Baron ergriff ihre Hand
und hielt ſie zurück. ö
„Eine Bitte erfüllen Sie mir, ehe Sie gehen,“ bat
er mit innigem Blick. „Singen Sie mir noch einmal das
ſchöne Lied, das Sie geſtern ſangen.“
Frau von Reuter erröthete. „Geſtern? Sie haben
es gehört? Ich glaubte, Sie wären abweſend.“
„Ich war eben zurückgekommen und belauſchte Sie.
Verzeihen Sie mir, Sie ſangen das Lied ſo ſchön, o bitte,
laſſen Sie es mich noch einmal hören.“
Die ungewöhnliche Erregtheit des Barons verwirrte
und ängſtigte Frau Reuter, doch konnte ſie ſich der Er-
füllung ſeiner Bitte nicht entziehen, ohne unartig zu er-
ſcheinen. Hatte ſie doch gar keinen Grund zur Angſt;
war die Erregtheit des Barons nicht durch die vorherige
Anweſenheit, durch die Trennung von ſeiner Braut genü-
gend erklärt?
Sie ſetzte ſich mit halbem Zittern an den Flügel und
ſtimmte das ſchöne Lied an, das geſtern in der Seele des
Barons einen ſo ungewohnten Sturm der Leidenſchaft er-
regt und Gefühle wachgerufen, die bis dahin noch in tie-
fem Schlafe geruht hatten. Die geliebte Muſik nahm ihr
indeſſen bald alle Angſt, ihre Anfangs bebende Stimme
wurde feſt; ſobald ſie ſang, war ſie nur noch Künſtlerin.
Der Baron ſtand in die Fenſterniſche zurückgelehnt,
ſein Auge ruhte auf der Sängerin, die ganze Seele ſchien
ſich in dieſem Blicke zu konzentrieren; hätte ſie jetzt in das
bewegte Antlitz, in das brennende Auge des Barons ge-
ſchaut, ihre Angſt wäre vielleicht von Neuem erwacht.
Aber ſie ſah es nicht, die Seele war ganz bei dem Liede:
„Mich hat das unglückſelige Weib vergiftet mit ihren
Thränen.“
Das Lied war zu Ende, ihre Hände ſanken in den
Schooß — da plötzlich fühlte ſie, wie glühende Lippen
ſich auf dieſelben preßten. Leiſe, leidenſchaftliche Worte
drangen in ihr Ohr; eine vor Eregung zitternde Stimme
wiederholte die ſo eben von ihr geſungenen Worte: „Mich
hat das unglückſelige Weib vergiftet mit ihren Thränen.“
Entſetzt, vor Zorn bebend, ſprang ſie auf: „Herr Ba-
ron,“ rief ſie mit dunkel gerötheten Wangen und beben-
der Stimme, indem ſie dem vor ihr Knieenden heftig die
Hände entzog, „Herr Baron, ſtehen Sie auf, Sie beleidi-
gen mich!“
Ein krampfhaftes Ziitern ergriff ihren ganzen Körper.
•O Gott!“ murmelte ſie und bedeckte ihr Geſicht mit den
Händen: „Nach allen Demüthigungen des Tages auch
noch dieſe.“
Der Baron ſprang auf, er ſchlang ſeinen Arm um
die bebende Frau und ſuchte ſie zu ſtützen.
(Fortſetzung folgt.)

Mannichfaltiges.

Gaſthausſzene. Der Sänger F., dem ebenſo-
wenig bei ſeiner Lebensweiſe das Metall in der Kehle
bleiben konnte, als er das Metall in der Taſche zu be-
halten wußte, war in Breslau mit 2000 Thalern enga-
girt, nach ſechs Wochen aber ſchon ſo tief verſchuldet, daß
er hungern mußte. Da erbarmte ſich ſeiner der Wirth
der Theater-Reſtauration und gab ihm ein Mittagstiſch-
Abonnement auf beſſere Zeiten. Als eines Mittags der
Wirth nicht zu Hauſe war, erſah F. die gute Gelegenheit
und forderte vom Kellner eine Flaſche Champagner. Eine
Flaſche mußte der andern folgen. F. hielt die ganze Tiſch-
geſellſchaft frei. Da kommt der Wirth nach Hauſe und
ſieht eine ganze Batterie Champagnerflaſchen vor F. ſtehen.
Erſtarrt ruft er den vuf Wirthskoſten freigebigen Gaſt bei
Seite und ſagt ihm leiſe: „Aber Herr F., Sie wiſſen,

daß ich Ihnen den Mittagstiſch auf beſſere Zeiten kredi-

tire, allein mit dem Wein iſt es ein Anderes, der kann
nicht auf die Rechnung kommen.“ — Beleidigt fuhr F.
den Wirth an: „Habe ich Ihnen denn ſchon geſagt, daß
Sie den Wein auf die Speiſerechnung ſetzen ſollen?
Schreiben Sie ihn nur auf ein beſonderes Conto.“

Borgen. Borgen iſt das Urgeſetz der Natur. Der
Fluß borgt von den Bächen, das Meer von den Flüſſen,
Die Wolken borgen von der Luft und die Erde borgt von
der Sonne und die Nacht borgt ihr Licht von dem Monde.

Der erſte Mann iſt von der Erde und das erſte Weib

aus der Seite des erſten Mannes geborgt. So beruht die
ganze Natur auf wechſelſeitigem Credit. Warum ſollte
alſo der Menſch, das Ebenbild Gottes, nicht den Kredit
in Anſpruch nehmen? Und wenn der gewaltige Ozean
ſich nicht ſchämt, von ſchmächtigen Flüſſen zu borgen, wa-
rum ſollte ein magerer Schlucker nicht von einem Gaſt-
wirth borgen? Und wenn der lichtarme Mond niemals
das erborgte Licht der Sonne zurückbezahlt, weil er eben
kein eigenes Licht beſitzt, warum ſollte ein armer Schlucke r
ſeinem Gläubiger das Geld zurückzahlen? Das wäre ge-
gen alle Naturgeſetze; das wäre unnatürlich, widerſinnig,
gottlos! Was thut aber der Strom, wenn er zu viel von
Bächen und Flüſſen geborgt hat? — Er reißt aus. Hei-
lige Natur, du gibſt mir den Wink. Ich will es machen
wie der Strom — ich will ausreißen.

Fürſtlich. Als der gelehrte Schweizer Loritus ge-
fragt wurde, wie er lebe, antwortete er: „Fürſtlich! Ich
habe Eſſen und Trinken vollauf und viele, viele Schulden!“

Entbindungs⸗Anzeige. Meine Frau iſt heute
Nacht mit zwei geſunden Knaben glücklich niedergekommen.
Ich verbitte mir alle Beileidsbezeugungen und flehe um
um ſtille Theilnahme. H. B.
 
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