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Heidelberger Volksblatt (4) — 1871

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Nr. 96 - Nr. 104 (2. Dezember - 30. Dezember)
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ſeidelberger Volksbl.

I.—. *
E
.

Nr. 98.

Samſtag, den 9. Dezember 1871.

4. Jahrg.

Erſcheint Mittwoch und Samſtag. Preis monatlich 18 kr. Einzelne Nummer à 2 kr. Man abonnirt in der Druckerei, Schiffgaſſe 4

und bei den Trägern.

Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten. ö

Ungariſches Heldenthum.
Schluß.)

Der Tſcherkeſſe trat zu ihr heran, und verſuchte
durch Zeichen ihr begreiflich zu machen, daß er überaus
großen Gefallen an ihr fände, ja er kniete nieder und
ſchaukelte das Kind hin und her, zeigte nach Oſten und
ſchien ſagen zu wollen: „Zieh mit mir nach dem Mor-
genlande, ich will Dich hegen und pflegen und auf den
Händen tragen, wie dieſen da.“ Sie lächelte ſchmerz-
lich und ſchüttelte das Haupt. Vielleicht hätte ihr der
ſchöne Mann in ſeinem funkelnden Stahlharniſch, mit
den blitzenden koſtbaren Waffen, dem hohen Wuchſe
und majeſtätiſchem Gang und Weſen wohl gefallen mö-
gen, wenn nicht das Bild eines Andern ihre Seele
ausgefüllt hätte. Sie bemerkte nicht, das ſchon ſeit
längerer Zeit ein junger Mann in walachiſcher Tracht,

der unter einem Nußbaum ruhte, ſeinen Blick nicht

mehr von ihr abwenden konnte. Er fuhr ſich über die
Augen, richtete ſich auf und faltete die Hände. So
oft die Stellung des vor den Mädchen lebhaft geſtiku-
lirenden Tſcherkeſſen es erlaubte, einen Blick auf ihr
Antlitz zu erhaſchen, ſchien ſein Erſtaunen, ſeine freu-
dige Bewegung zu wachſen. Endlich redete er die
Bäuerinnen in walachiſcher Sprache an: „Sagt an,
gute Frauen, iſt jenes Mädchen dort wohl eine Tochter
oder eine Schweſter?“ „Nein, Fremder, eines Szekler
Edelmannes Tochter iſt ſie. Müde und wunden Fußes
kam ſie eines Tages hier an und bat um ein Nacht-
quartier. Wir pflegten und verbanden fie. Weil ſie
nicht zu ihren Verwandten kommen konnte, haben wir
ſie behalten ünd für's Brod und Lager muß ſie ſoviel
Arbeit thun, als das ſchwache Mädchen kann.“ „Wie
heißt ſie?“ „Ja, den Hauptnamen wiſſen wir nicht.
Sarah iſt — Herr Jes', was habt Ihr denn?“ Das

Mädchen hatte während dieſes Geſpräches zum erſten

Male ihre Augen auf den Fremdling geworfen und
ſeine Stimme gehört; der einzige Vlick, der Laut ſei-

ner Worte hatte genügt, trotz der täuſchenden Verhül-
lung den Langentbehrten zu erkennen. Mit einem Ju-

belruf flog ſie ihm entgegen. „Gyula!“ „Sarah!“

„Als nun der Krieg zu Ende war,“ erzählte Gyula,

„weil ich weder Roß, noch Uniform, noch Waffen dem
Feinde übergeben wollte, verbarg ich letztere, ſetzte mich
auf die „Schwalbe“, und kam in walachiſcher Tracht
durch das Land. Ich hatte beſchloſſen, durch das Ha-
romſzek hinauf in die nördlichen Gegenden zu wan-
dern, zu Euch heimzukehren. Unweit Fogara's hielten
mich kaiſerliche Soldaten an. Der Offizier glaubte
mir nicht, daß das Pferd mein und daß ich das ſei,
wofür meine Tracht mich ausgah. Er nahm mich ge-
fangen und behielt die Schwalbe, auf die er ein Auge
geworfen. Nachts ward ich in dem Rathhauſe des Dor-
ſes eingeſperrt. Zwei Mann ſtanden vor meinem Zim-
mer Wache. Aber vorher waren ſchon viele Gefangene
in demſelben geweſen, und einer muß wohl in dem
Verſuche, die Eiſenſtäbe zu durchfeilen, geſtört und ab-
geholt worden ſein. Mit einiger Anſtrengung konnte
ich ſie zerbrechen, ich zwängte mich durch die Oeffnung
und — ſtand im Freien. Nun wollte ich aber die
treue Schwalbe wieder beſitzen. Wo der Offizier beim
Einmarſch Wohnung verlangt, hatte ich wohl gemerkt.
Der Stall war nahe, ich ſchlich mich hin und pfiff dem
Rößchen. Wie es mich hörte, riß es ſich los, ſprengte
über die Soldaten, die dort lagen, in's Freie, ich hin-
auf und weit, weit weg trug es mich. Hierher bin ich
nun gekommen. Weil der Nußbaum ſo Schatten bie-
tend ausſah, kam ich herüber und lagerte mich darun-
ter. Da ſah ich Dich.“
Nach einigen Stunden raſſelte ein leichtes Wägel-
chen vor das Bauernhaus. Sarah erhob ſich und ſprach
den Leuten, die ihr gewiſſenhaft einen Lohn für ihre
Dienſte anbieten wollten, in herzlichen Worten ihren
Dank aus. Lächelnd lehnte ſie das Geld ab. Der Tſcher-
keſſe ſtand ſtill und in ſich gekehrt an der Hofmauer.
Er zog aus ſeinem Vuſen ein Käſtchen und überreichte
ihr einen Juwel, vielleicht ein Beuteſtück. Ernſtlich
flehend wollte er es ihr aüfdringen, aber vergebens.
Einen Kuß drückte ſie darauf und gab es ihm zurück.
Das mochte ihm das Kleinod beſitzenswerther erſcheinen
laſſen; er neigte ſeine Stirne darauf und führte das
Mädchen mit edlem Anſtande ſelbſt zum Wagen. In

Illyefalva ſprachen ſie bei den. Verwandten Sarah's

vor; aber nur den Hofrichter fanden ſie. Die Familie
war fliebend in höhere, dem Beamten unbekannte Ge-
genden des Udvarhelyer Stuhles hinaufgezogen. Aber
eine freudige Ueberraſchung wartete Beider in einem
benachbarten Orte. Die treue Amme hatte in den Vor-
überfahrenden ihre vielgeliebte Sarah erkannt, war
hinaus und dem Wagen nochgeeilt. Es war dies das
 
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