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Der Neckar-Bote: Wochenblatt für amtl. u. Privat-Bekanntmachungen (8) — 1844

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https://doi.org/10.11588/diglit.42423#0162

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I8K

auszustrecken, gedachte Conrad der Einäugige cs wie
sein Führer zu macken, und die Stufe, die er gleich-
falls nicht bemerkte, kam ihm dabei fo trefflich zu
Statten, daß er mit dem schönsten Anstande neben
Lorenz hinsicl. Die beiden Schwiegersöhne beeil-
ten fick, diesem Beispiele zu folgen, streckten sich
auf den Boden, tauchten ihre Barte in den Nahm--
napf und schleuderten die Butterschnitte in den
Saal hinein. Alles dies geschah in derselben Se-
kunde.
Als der Kaiser seine guten Freunde mit den
Rahmgcsichtcrn aus den Näpfen wieder auftauchcn
sah, brach er in ein homerisches Gelächter aus, wie
er cS in seiner Jugend gewohnt war, und stieg ei-
ligst vom Throne, um seiner Heiterkeit in einem
Nebenzimmer freien Laus zu lasten.
Der Herr, welcher die vier wackern Leute eingc-
führt hatte, ließ alsbald Waschbecken bringen; die
Vier in Nahm gebadeten Gesichter reinigten sich und
der Viehzüchter mit seinen Freunden ward dann in
das Zimmer geführt, wo Karl V. noch lachte.
Beim heiligen Michael! sagte er, das Frühstück,
das ihr mir da gebracht, meine Freunde, hat sich in
ein hübsches Esten verwandelt. Euch zu erfrischen,
will ich ein anderes auftragen lasten.
In einem Augenblicke standen Pastctcken, spa-
nischer Schinken, italienische Weine und Cölncr
Leckerbissen auf dem Tische. Die vier Brüsseler
septcn sich an die Tafel.
Und Du, Karl, sagte der Einäugige mit einem
Gemisch von Vertraulichkeit und Ehrfurcht, Du
hast ja kein Gedeck Ißt Du etwa nicht mit uns?
äch habe keinen Hunger, antwortete der Kaiser.
Ach! erwicderte der Viehzüchter seufzend und
leise, cs sind nicht mehr die guten Zeiten.
Bei dieser Bemerkung, welche Karl hörte, legte
sich plötzlich ein ernster, trauriger Ausdruck auf alle
seine Züge. Er machte eine Bewegung, gleichsam
um anzudcutcn, die gute alte Zeit würde wieder-
kehren; aber er schwieg, denn er wußte wohl, die
gute Zeit kehre nicht wieder.
Bleibet bei Tische, gute Leute, sagte er, ich
laste Euch setzt allein; Geschäfte rufen mich. Du,
wackerer Conrad, schickst mir morgen eine andere
Schüssel Mit Deinem guten Nahm, eine einzige, die
Du selbst gefüllt hast. Ich werde dafür sorgen, daß
sic mir ohne Unfall zukommt. In Kurzem kehre
ich in die Bcrbcrci zurück und schicke Dir, setzte er
lächelnd hinzu, Etwas aus jener Gegend als An-
denken.
Die Gaste des Kaisers saßen lange tief ergriffen
allein im Zimmer; Conrad der Einäugige hatte emc
Thränc un Auge.
Armer Karl! sagte er, er hat immer noch das-
selbe Herz und liebt uns gewiß noch. Ack, wenn
er doch nur uns hätte!
Die vier braven Manner entfernten sich nicht
eher, als bis sie allen Flaschen, die man ausgetra-
gen, ohne Erbarmen den Hals gebrochen hatten;

der Tag verstrich unter lebhaften Gesprächen zum
Lobe Karls V.
Sechs Monate später, kurz zuvor ehe Karl von
seinem Zuge »ach Algier zurückkam, als man nur
noch sehr unbestimmte Nachrichten von dieser un-
glücklichen Unternehmung Halle, erhielt Conrad der
Einäugige einen Bries von Antwerpen katirt. Er
war von dem Kapitän van der Klock, der ihn bat,
unverzüglich zu ihm zu kommen, um ein Geschenk
des Kaisers in Empfang zu nehme».
Ein Geschenk, welches zu Schiffe aus der Ber-
bcrci gekommen ist! rief er; Karl hat mitten unter
den Türken an mich gedacht!
In seiner Freude gab er sogleich einen SchmauS,
um den Tag fröhlich zu beschließen, und reiste den
andern Tag früh mit seinem Freunde Lorenz nach
Antwerpen ab. Dank seinen beiden guten -Pferden
fuhr er um sieben Uhr des Abends in Antwerpen
ein, obgleich er erst um fünf Uhr des Morgens
Brüssel verlosten hatte. Er ließ sich sogleich in den
Gasthof bringen, wo der Kapitän abgcsticgcn war.
Es freut mich, Euch zu sehen, sagte dieser; denn
ich möchte sobald wie möglich Euch das gnädige Ge-
schenk übergeben, das Euch Seine Majestät sendet.
Zhr sollt es morgen am Bord meines Schiffes in
Empfang nehmen.
Ihr sehet, ich habe mich gcspudet. Ich hoffe, Ihr
werdet mir sagen, worin das kaiserliche Geschenk
besteht?
Es ist ein unverkennbares -Pfand des Wohlwol-
lens , das Sc. Majestät gegen Euch fühlt. Sie gibt
selten solche Geschenke. Sie hat zwar etwas Aehn-
liches in den Thiergarten zu Gent und Brüssel ge-
schickt, aber was ich Euch zu übergeben habe, hat
weit mehr aus sich. Es ist das größte Tigerpaar,
das man in Algier gefangen hat. Die Tigerin ist
ungeheuer, man sollte denken, sie sei trächtig....
Bei dem Worte Tiger war Conrad der Einäu-
gige erblaßt, und sein Herz erstarrt. So ehrenvoll
auch das Geschenk war, er crschrack darüber. Wo,
dachte er, soll ich einen Tiger und eine Tigerin un-
terbringen? ohne der Gefahr zu gedenken, von ih-
nen verschlungen zu werden; und dann die Kosten,
denn die beiden Ungctbüme mästen jedes einen Schöps
täglich fressen.
Mit Verlaub, sagte er zum Kapitän, ich will
es erst überlegen, ob ich die Tiger annehme oder
nicht.
Wie! rief der Seemann, erst überlegen! da ist
nichts zu überlegen. Ich habe mich verbindlich ge-
macht , Euch dieselben in gutem Zustande zu über-
liefern ; sie sind jetzt im besten Zustande. Ich über-
liefere sie Euch morgen und Ihr stellt mir einen re-
gelmäßigen Empfangschein aus. Ich kenne nur
meine Pflichten.
Da sich der Kapitän van der Klock zu nichts An-
dern verstehen wollte, so kehrte Conrad der Em-
äugige in seine Herberge zurück.

(Schluß folgt.)
 
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