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Verein für Historische Waffenkunde [Hrsg.]
Zeitschrift für historische Waffen- und Kostümkunde: Organ des Vereins für Historische Waffenkunde — 2.1900-1902

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Heft 3
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Reimer, Paul: Die historische Waffenkunde auf kulturgeschichtlicher Grundlage
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https://doi.org/10.11588/diglit.37716#0074

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6o

Zeitschrift für historische Waffenkunde.

II. Band.

die Beziehungen der Art dieser Waffen zum Volks-
charakter dürften ethnographisch recht interessant
sein. Die allgemeine Wehrpflicht, welche der grossen
Masse des Volkes die Waffe und ihren Gebrauch
näher gebracht hat, beschäftigt in Preussen bald
ein Jahrhundert lang die Geschichte. Es darf da-
her schon jetzt untersucht werden, inwieweit die
Beschäftigung mit dem Waffenwesen auf die körper-
liche und geistige Leistungsfähigkeit des Volkes Ein-
fluss gehabt hat. Aehnliche Betrachtungen werden
sich auch bei Völkern anderer Zeiten anstellen lassen.
Weiterhin tritt uns die Waffe als Handels-
artikel entgegen. Das älteste gewerbliche Erzeug-
nis war die Waffe, der Handel mit ihr hat sich
frühzeitig entwickelt, und trug die Waffe in die
fernsten Gegenden, wo sie heute den Beweis für
den Völkerverkehr ferner Zeiten liefert. Die Waffen-
funde geben uns Nachricht von den Verkehrswegen
prähistorischer Zeit, sie bilden das wertvollste Hilfs-
mittel für die geschichtliche Forschung überhaupt.
Auch der Bezug des Rohmaterials, das, wie das Zinn,
nur in wenigen Landstrichen vorgefunden wurde,
kann zur Erläuterung des Handelsverkehrs heran-
gezogen werden, der Weg desselben bis zur fertigen
Waffe wird interessante Aufschlüsse liefern.
Es ist eine bekannte Thatsache, dass nirgends
bedeutendere Anstrengungen gemacht werden, als
wenn es gilt, Mord- und Zerstörungsmittel herzu-
stellen und zu verbessern. So liefert die Waffen-
kunde Beispiele dafür, dass Techniken eigens für
die Plerstellung von Waffen eingeführt wurden, welche
dann weitesten Kreisen der Industrie zu gute kamen
und das Kulturleben in bedeutender Weise beein-
flusst haben. Es sei hier nur kurz auf den Tiegel-
Gussstahl verwiesen. In ähnlicher Weise bieten die
Wechselbeziehungen zwischen Waffe und Hand-
werkszeug, die Entwickelung des einen aus dem
anderen, viel Belehrendes.
Die Waffe als solche hat auch in der politi-
schen Geschichte oftmals eine bedeutende Rolle ge-
spielt, ja, es hat sogar apolitische Waffen» gegeben,
d. h. solche, die eigens zur Beherrschung politischer
Konstellationen hergestellt wurden. Um nicht aus-
führlicher werden zu müssen, sei nur das preussische
Infanterie-Gewehr 71/84 erwähnt, durch dessen über-
raschende Einführung (1887) ein Krieg mit Frank-
reich verhindert wurde. So ist häufig eine Waffe
von ausschlaggebender Bedeutung für den Verlauf
und Ausgang von Kriegen gewesen und hat be-
stimmenden Einfluss auf das Leben einzelner Völker,
wie auf das Kulturleben überhaupt ausgeübt. Welche
Aenderung nicht bloss der sozialen Zustände auf
einem grossen Teil der Erde ist durch die Einführung
des Schiesspulvers in die Kriegführung herbeigeführt
worden! Zu dieser politischen Bedeutung der Waffe
gehören auch die internationalen Abkommen über
den Waffengebrauch, die Konventionen, welche, wie
die Genfer Konvention, das Waffenwesen in ganz
bestimmte Bahnen gedrängt haben.

Schliesslich sei unter Uebergehung mancher wei-
terer Punkte auf die Waffe in der Litteratur hinge-
wiesen, und zwar nicht nur auf das, was als Teil
der Waffenkunde bereits geschrieben ist, sondern
auch auf die Wertschätzung, die der Waffe in Er-
zählungen, in Sage und Dichtung gezollt wird. Der
dichterischen Uebertreibung entkleidet, können diese
Nachrichten von einer gewissen Wichtigkeit für die
Waffenkunde werden.
Bei diesem weiten Gebiete auf besonders ge-
eignete Bearbeiter hinzuweisen, erscheint überflüssig.
Jeder der in die Geschichte der Völker, in ihre
Sitten und Gebräuche tiefer eingedrungen ist, kann
schätzenswerte Beiträge liefern, der Weltreiscnde,
der politische Geschichtsforscher, der Kulturhistoriker,
der Archäologe, der Philologe — alle können hier
ihr Scherflein zur Erzielung eines klaren Gesamt-
bildes über den Einfluss des Waffenwesens auf die
Kultur der Menschheit beitragen.
Der fünfte und letzte Hauptabschnitt beschäftigt
sich mit den Beziehungen der Waffe zur Kunst.
Als dem Gebrauchszweck in hervorragender Weise
angepasste Erzeugnisse sind die Waffen im allge-
meinen an und für sich schon Kunstwerke, welche
einer weitergehenden Verzierung um so weniger be-
dürfen, als diese die Brauchbarkeit der Waffe und
ihren Charakter als der Beanspruchung in höchstem
Masse ausgesetzte Gegenstände leicht beeinträchtigen
kann. Wohl bei keinem Gerät hat sich durch Be-
tonung der Konstruktionselemente der Stilcharakter
so deutlich herausgebildet, wie bei der Waffe, eine
Thatsache, der bereits im ersten Abschnitt ausrei-
chend Rechnung getragen werden muss. Wenn
Uebertreibungen in der Anbringung von Zierformen
hier und da vorkamen, welche weder dem Gebrauchs-
zweck, noch der Würde der Waffe mehr entsprachen,
so liegt doch in dieser Ausstattung immerhin ein
sehr beachtenswerter Beweis der Wertschätzung,
deren sich die Waffe zu erfreuen hatte.
Auf diesem Gebiete wären in erster Linie im
Anschluss an den ersten Hauptabschnitt die Grund-
sätze zu entwickeln, nach denen die künstlerische
Ausgestaltung der Waffe vorgenommen wurde, die
damit im engsten Zusammenhänge stehende Aus-
bildung besonderer Stil- und Zierformen müsste unter
Berücksichtigung des Stiles der betreffenden Zeit
beleuchtet werden. Dieser Zweig der Waffenkunde
greift in die Geschichte des Kunstgewerbes hinüber
und ist um so wichtiger, als gerade das Studium
der Formen bei einem aus jedem Zusammenhang
herausgerissenen Stück eine wichtige, wenn nicht
die einzige Grundlage für die Altersbestimmung bildet.
Unerlässlich ist ferner die Betrachtung der bei der
Verzierung von Waffen üblich gewesenen Techniken,
nebst ihren im Laufe der Zeit eingetretenen Ab-
änderungen und charakteristischen Merkmalen, welche
geeignet sind, Fälschungen alter, wertvoller Stücke
festzustellen. Schliesslich dürfte den Meistern auf
diesem Gebiete, den Waffcnkünstlern, besondere
 
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