Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 1.1909
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https://doi.org/10.11588/diglit.24117#0336
DOI Heft:
10. Heft
DOI Artikel:Waldmann, Emil: Die Leih-Ausstellung aus bremischen Privatbesitz in der Kunsthalle zu Bremen
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Der Cicerone
Heft 10
allerdings nie eigentlich zur Gruppe gehört hat), manches malerisch schöne, stimmungs-
volle Gemälde von Otto Modersohn und einige ausdrucksreiche Phantasien Vogelers
von überzeugender Traumwahrheit. Daß daneben auch Schablonenhaftes, ja sogar
Gefühlloses vorhanden war, darf nicht verschwiegen werden. —
Die deutsche Malerei der zweiten Hälfte des XIX. Jahrhunderts hat um die Zeit
des deutsch-französischen Krieges eine Hochblüte in München erlebt. Leibi und sein
Kreis stellen eine Entwicklungsstufe der Malerei dar, wie sie vorher nicht erlebt wurde,
von solchem Ernst und solcher Tiefe der Gesinnung auf der einen Seite, und von
solchem ateliermäßigen und hand-
werkshaften Können auf der anderen.
Das Hauptbild aus dieser Gruppe
ist nun ein Leibi aus dem Ende der
70 er Jahre (Äbb. 4), der Studien-
kopf eines bärtigen Mannes, in jener
wundervollen Sicherheit der Form,
in jener bezaubernden malerischen
Weichheit, die man an Einzelköpfen
Leibis häufiger vereinigt findet, als
an seinen großen Gruppenbildern.
Daneben stand ein Jünglingskopf
aus dem Ende der 60er Jahre, ein
unzweifelhaft echtes, wenn auch für
Leibi ungewöhnliches Bild — der
Kopf eines bartlosen Mannes, der
mit vollem Blick zur Seite schaut;
er sieht dem orgelspielenden Mönch
auf Giorgiones Konzertbild etwas
ähnlich.
Glänzender als Leibi war Trüb-
ner repräsentiert. Zwei Prachtstücke
aus seinem glücklichsten Jahre —
1873 — waren vereinigt, die großen
Wildstilleben, von denen das eine ein totes Reh und Hasen zeigt (Abb. 5), das andere
einen toten Eber mit einer Dalmatiner Rüde daneben. Das Rehstilleben fordert zu Ver-
gleichen mit der Art heraus, wie der Münchner Diez und der Franzose Courbet dergleichen
Themata behandelt haben. Diesen Werken schloß sich die Dogge, die nach der Wurst-
schüssel schnappt, vortrefflich an. Die „raufenden Jungen“ vom Jahre 1872 sind als
Malerei in ihrer Harmonie von Schwarz, Weiß, Grau und Rötlichbraun ebenso inter-
Rbb. 6. HÄNS THOMÄ, Tivoli.
□
61 : 51 cm q
(Sammlung Biermann)
ressant und fein, wie jene beiden Meisterwerke, aber die einheitliche Gestaltung des
Vorganges, die Wahrheit des dramatischen Verkehrs im Bilde ist dem damals noch
jungen Künstler nicht vollkommen gelungen. Trübners zweite Blütezeit, die in die
90er Jahre fällt, war in zwei Bildern sehr gut illustriert, einem Schloß Hemsbach im
Park und einem Torweg in Frauenchiemsee, der ein sehr feines Ensemble von weißen,
Der Cicerone
Heft 10
allerdings nie eigentlich zur Gruppe gehört hat), manches malerisch schöne, stimmungs-
volle Gemälde von Otto Modersohn und einige ausdrucksreiche Phantasien Vogelers
von überzeugender Traumwahrheit. Daß daneben auch Schablonenhaftes, ja sogar
Gefühlloses vorhanden war, darf nicht verschwiegen werden. —
Die deutsche Malerei der zweiten Hälfte des XIX. Jahrhunderts hat um die Zeit
des deutsch-französischen Krieges eine Hochblüte in München erlebt. Leibi und sein
Kreis stellen eine Entwicklungsstufe der Malerei dar, wie sie vorher nicht erlebt wurde,
von solchem Ernst und solcher Tiefe der Gesinnung auf der einen Seite, und von
solchem ateliermäßigen und hand-
werkshaften Können auf der anderen.
Das Hauptbild aus dieser Gruppe
ist nun ein Leibi aus dem Ende der
70 er Jahre (Äbb. 4), der Studien-
kopf eines bärtigen Mannes, in jener
wundervollen Sicherheit der Form,
in jener bezaubernden malerischen
Weichheit, die man an Einzelköpfen
Leibis häufiger vereinigt findet, als
an seinen großen Gruppenbildern.
Daneben stand ein Jünglingskopf
aus dem Ende der 60er Jahre, ein
unzweifelhaft echtes, wenn auch für
Leibi ungewöhnliches Bild — der
Kopf eines bartlosen Mannes, der
mit vollem Blick zur Seite schaut;
er sieht dem orgelspielenden Mönch
auf Giorgiones Konzertbild etwas
ähnlich.
Glänzender als Leibi war Trüb-
ner repräsentiert. Zwei Prachtstücke
aus seinem glücklichsten Jahre —
1873 — waren vereinigt, die großen
Wildstilleben, von denen das eine ein totes Reh und Hasen zeigt (Abb. 5), das andere
einen toten Eber mit einer Dalmatiner Rüde daneben. Das Rehstilleben fordert zu Ver-
gleichen mit der Art heraus, wie der Münchner Diez und der Franzose Courbet dergleichen
Themata behandelt haben. Diesen Werken schloß sich die Dogge, die nach der Wurst-
schüssel schnappt, vortrefflich an. Die „raufenden Jungen“ vom Jahre 1872 sind als
Malerei in ihrer Harmonie von Schwarz, Weiß, Grau und Rötlichbraun ebenso inter-
Rbb. 6. HÄNS THOMÄ, Tivoli.
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61 : 51 cm q
(Sammlung Biermann)
ressant und fein, wie jene beiden Meisterwerke, aber die einheitliche Gestaltung des
Vorganges, die Wahrheit des dramatischen Verkehrs im Bilde ist dem damals noch
jungen Künstler nicht vollkommen gelungen. Trübners zweite Blütezeit, die in die
90er Jahre fällt, war in zwei Bildern sehr gut illustriert, einem Schloß Hemsbach im
Park und einem Torweg in Frauenchiemsee, der ein sehr feines Ensemble von weißen,