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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 16.1924

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Die Zeit und der Markt
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https://doi.org/10.11588/diglit.41564#0862

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Ausheilungen

kaufen diefer unmittelbaren Äußerungen eines
Künftlers immer wieder habe. Diesmal füllt eine
Kollektion der Berliner Freien Sezeffion,
verftärkt um ein Duzend Dresdner Maler und
einige franzöpfcße Gäfte die Räume, und es ift
ein ungetrübter Genuß, das Werden diefer Gat-
tung von Menzel bis zu den Jüngften verfolgen
zu können. Es wäre natürlich nicht fd)wer, ein
paar Namen zu nennen, die da noch hineinge-
hörten, aber was da ift, ift in feiner Äuswahl
und Vielfeitigkeit von großem Reiz. Drei Ge-
nerationen find vereinigt: die um Liebermann,
die um Fjofer, Kokofchka, Schmidt-Rottluff und
die Jüngften. Die Jury der Berliner war offenbar
nicht engherzig, einige der Namen fagen uns
heute nicht mehr viel. Unter den Dresdnern ift
forgfältig ausgewählt worden und ihre Arbeiten
find im Durchfchnitt recht beachtlich- Die Fran-
zofen find mit den beften Namen, aber mehr
oder weniger gelegentlichen Arbeiten vertreten,
fie verftärken trotzdem nicht unwefentlich die
Atmofphäre des künftierifchen Lebens.
Die Proben von Menzel und die frühen 3eich-
nungen Liebermanns gehören eng zufammen.
Man kann übrigens bei diefer Gelegenheit gut
fehen, daß es auch in Deutfchland fo etwas wie
eine Tradition gibt und daß der ttleg über Bar-
lach, Käthe Kollwig zu Dix und Grosz keines-
wegs ohne Fundament ift. Barlachs 3eichnungen
zum „Armen Vetter“ und Einzelblätter wie
„Cüeib und Krüppel“ opfern von ihrer Intenßtät
gar nichts der Form wie zuweilen feine PJolz-
[chnitte und Lithos, und auf einer etwas tieferen
Ebene gilt das auch von Käthe Kollwig. Sieht
man die beiden nebeneinander, ift man leicht
geneigt, die Qualitäten der Frau zu unterfchägen,
zumal fie die vorausbeftimmten Grenzen zu über-
fcßreiten nie den Verfud) macht. Die Arbeiten
Fjofers und Kokofcbkas wirken daneben außer-
ordentlich europäifch, befreit vom Geift jeder
Enge, als fei es an der 3eit, wieder Brücken zu
fchlagen, den Anfcgluß neu zu erwerben. Fjofers
„Boxer“ und Kokofchkas „Mädchen“ find im
zeichnerifchen Ausdruck bereits ohne jedes Sen-
timent und nicht ohne Beziehung zu dem Emp-
findungsausdruck der Veriften. 3wifchen fie
[chiebt fich von zwei Seiten ein Keil, der den
Gang und das Geficht der Dinge beeinflußt: der
Formwille der Schmidt-Rottluff, Fjeckel, Pech"
ftein, von denen Schmidt-Rottluff auch hier der
hartnäckigfte ift; und auf der anderen Seite der
Efprit der Dömeleute, Purrmann, Großmann,
Pascin, unter denen fid) Pascin immer wieder
als der entwicklungsreichfte erweift. Die Mit-
läufer find bei allen Gruppen in der Minderzahl,
ein gutes 3eicf)en für die endliche Klärung des
Urteils. Kaus, Radziwill, 5- Qeufer, v. Ulaetjen
bereichern um ihre perfönliche Note das Bild
der Individualitäten. Dix und Grosz geben den
Ausklang, der bitter ift, aber rein in Sprache
und Ausdruck.

Von den Dresdnern zeigt Otto Lange eine
Anzahl köftliche Aquarelle aus dem Elbetal in
Böhmen; fie find locker und abßchtslos und
doch voll Form und großer Einfachheit. IJeck-
rott ift aud) in kleinen Blättern ein großzügiger
Geftalter des Landlebens. Von Voll undKregfch-
mar find Landfcßaften da, von Böckftiegel Köpfe,
von HI. Jacob 3eichnungen, die eine fonderbare
Beziehung zu dem Corinth der lebten Jahre
haben. Die Akademie ift durch Sterl (Aquarelle
aus Rußland) fehl' glüddich vertreten. — Die
Franzofen wollen mehr als freundliche Anregung
genommen fein, es find aber fchöne Blätter von
J. Gris, Lhote, Leger, Cogores darunter. Auf alle
Fälle ift die gegenwärtige Ausftellung als Ganzes
ein auffchlußreicher Beitrag zur Erkenntnis des
künftlerifchen Lebens in den lebten Jahrzehnten.
Bei E. Richter ift zur 3eit eine Kollektion
von 60 Aquarellen Signacs. Die Erwartungen,
mit denen man hinseht, werden nicht reftlos
erfüllt. Die Arbeiten, die ßd) über zehn Jahre
hin erftrecken — das meifte ift aus letzter 3eit —
find fehr gleichförmig und bisweilen nüchtern,
in ihrer Art fchon beinahe wieder akademifch.
Immerhin, es ift ein Vergnügen, an Stelle der
vielen unechten mal wieder dem echten Signac
zu begegnen. Ulill Grohmann.
Düffeldorf
Ausheilungen von Nauen und Campendonk
3ur gleichen 3eit. da die „Große Düffeldorfer
Kunftausftellung“ im Kölner Meffepalaft nur
lückenhaft über rßeinifche Bildkunft unterrichtet,
veranftaltet die Galerie Flechtheim eine Ausftel-
lung der neueften Cüerke Fjeinrich Nauens,
während im„Kunftverein für die Rheinlande und
Uleftfalen“ Fjeinrich Campendonk zum erften-
mal einen Überblick über fein ganzes künftle-
rifches Schaffen gibt. Beide Künftler fehlen in
Köln, trotzdem in ihrem KJerk rheinifche Kunft
gegenwärtig ihren ftärkften Ausdruck findet.
Fjeinrich Nauens Schaffen ging von der Natur
aus und ift jegt, da es die expreffioniftifche Stil-
manier der großen Kompoßtionsftücke überwun-
den hat, zur Natur zurückgekehrt. Aber der
lange (Heg ift kein Kreislauf gewefen; die mehr
extenßve Gefte feiner frühen Bilder hat ßch zur
Gefühls- und Ausdrucksinten fität gewandelt;
ftark betonte malerifche Mittel haben äußerfter
Sparfamkeit Plag gemacht; von außen an das
Motiv herangetragener Rhythmus ift innerer
Mupkalität der Farben gewichen. An Stelle
früherer Unruhe und Problematik herrfcht nun
fchwingende Bewegung und reine Einfachheit.
Das gilt fowol)l für Nauens legte Bildniffe,
deren eines, im Bepg der ftädtifchen Kunftfamm-
lungen, Frau Elfe Sohn, Alfred Rethels einzige
Codßter darftellt, wie für die neueften Land-
fchaftsbilder, die im Frühjahr am Boden fee ent-
standen. Sie alle find in Cempera gemalt, die
vor der Öltechnik den Eindruck der Immateria-

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