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Heidelberger Zeitung — 1863 (Januar bis Juni)

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Januar
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https://doi.org/10.11588/diglit.2820#0053

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Ueidtlbtrgtr Ititung.

N;; L4t.

Erscheint, MontagS auSgeaoinmen» taglich.
PreiS viekteliährlich 5L kr.

Samstag, L7. Zanuar


L863.

Bestellungen auf die „Heidelberger
Zeirung" nebst Beilage „Heidelber-
ger Faiuilienblätter" für Las mit 1.
Januar 1883 begonnene 1. Luartal
werden fortwährend angenommen.

Die Expedition.

Ueber akademifche Gerichtsbarkeit

enthält die „Freib. Ztg.'' nachstehendcn Ar-
tikel: »Jch weiß nicht, vb Verhandlungen un-
scrcr gesetzgebenden Factoren bevorftehen, in
welchen dieser Gegenstaud mit berührl werden
kann. Abcr meine Wünsche versteigen sich
anch lange nicht s» hoch, einc augenblickliche
Abhülse zu crsehnen; es ist mir schon genug,
wcnn ich die Aufmerkssmkeit des größercn
Publikums einem Mißstande zuzuwenden ver-
mag, ber enblich einmal — ob ein halbes
Jahr früher oder spätcr, darauf kommt so gar
viel nicht an — äbgeschafft wcrben muß, und
deffen Eristcnz bisher fast nur in den Uni-
versttäisstädtcn bekannt war. Nebe» dcn vie-
len schönen und unnölhigen Gesetzen, die der
Polizeistaat für noihwenbig hielt, um das
Benehmen des Bürgers in ben richtigen
Schranken zu halten, gibt es noch zwei Siänbe,
denen man den Vorzug einer besonderen Gc-
setzgebnng angedeihen ließ, der Soldatenstanb
und dic Studcnten. Jch komme viclleicht bci
anderer Gelegenheil auf die Militärgerichts-
barkeit zurück, die im Zntereffe der Disciplin
wohl beibehalten werben muß, so weit es um
rein militärische Vergehen und Verbrechen sich
handelt, im Uebrigen ader ebenso von Uebel
ist, wie das Waffeniragen außer Dienst. Heule
habe ich es mit dem akabemischcn Gerichie zu
thun. Für Nicht-Siudcnten muß ich hier ein-
schalten, wie es sich mil diesem Gerichie, mil
den Gcsetzen und mit deren VoUstreckung ver-
hält. Ein junger Mann beziehi bie Univer-
siiät; er wird immatrikuliri, d. h. erhält das
akademische Bürgerrecht. Die Form der Er-
theilung besteht darin, baß der Proreclor ihm
die Hand rcicht, die ver junge Mann sreubig
ergreifi; denn es ist gar schön von svlchem
hohen Herrn, so freundlich gcgen Füchse selbst
zu hanbeln; aber mii der Freundlichkril allein
ist cs nicht geihan, denn plötzlich heißl es:
mit dicsem Handschlag haben Sie sich verpflich-
tei, den Gesetzen unserer Universiiäl zu ge-
nügen. Damii erhält der junge Studenr einen
Pack möglichst schlechl bebruckten Papiers und
hal naiürlich Nichis wichtigeres zu Ihun als
— Lie Gesctze nicht zu stuviren. Du licber
Goti, man hat kaum Zeit sür die Pandecien,

soll man auch noch akademisches Recht theo-
retisch lernen? Manchmal sollie man es aüer-
dings; denn eS gibt solchc Gesetzbücher, die
in musterhaftcr Sprache verfaßr sinv; ich
kenne akabemische Gesetze in Jamben, die un,
ter andercn die Verse enthallen:

Wer sich so weit vergißt, fich so g»r zu betrlokea,

Wird ohne Rücksicht »us die Folgen etugespcrrt.

Doch diese Gesetze gehüren nur der größten
deuischen Universiräl an; außer am Ufer der
Spree gedeiht solche Dichtkunst nicht. Zst die
Form somit eine verschievene, so ist der Zn.
halt übcrall derselbe. Dieselben Vorschristen
einer halben Schulzucht, die (sollte man mci-
ncn) dem Studenten selbst ein kränkendes Zeug-
niß abgebcn müßtcn, daß ber Staat ihn »icht
sür ebenso zurechnungsfähtg hält, als anbere
junge Leute desselben Alters, die aber nicht
stubiren, d. h. also im Ailgemeinen gesprvchen,
die gcistig weniger vorgcschrilten sind. Da
sind mit inehr als väterlicher Fürsorge die
verschiebenen Streiche aufgezählt, vcren der
akademische Bürger sich ja nicht schuldig ma-
chen soll, und warnend steht neben dem Sün-
denregister des Polonius ber Carcer, das Con-
silium Abeundi, die Relegaiio». Jch gehe nicht
zu weit, wenn ich behaupte, biese Gefetze kön-
ncn nicht ihrem Wortiaule nach vollzogen
werde», sonst wäre ein erkleckiichcr Prvcent-
satz der „deuischen Zukunft", wie dic Slu-
denlen sich mit Recht gerne nennen laffen,
stets aus nothgebrungener Wanderschafl von
ciner Hochschuie zur anderen. Das akabe«
mische Gericht muß also thuu, was jedes Ge-
richl von einigermaßeq discreiionärer Gewalt
in solchem Falle thut. Es brückt ein Auge
zu, mauchmal sogar zwei, wenn vvllständige
Blindheit nöthig ist, um nicht mit Sirenge
strasen zu müffen. Man mißverstehe mich
nicht; ich will nicht dieses Verfahren vcrdam-
men, denn unter Uedeln muß man ost das
Klcinere wähien, um dem Größere» zu ent-
gehen. Zch will nur zeigen, baß boch immer
ein Uebel gewählt werben muß, so lange die
akademischen Gesetze vorhanben sind, beren ge-
naue Besolgung die Eristenz eineö hoffuungs-
vollen jungen Mannes vcrnichten kan», wah-
renv eS sich um jugendlichen Uebermuih han-
beli, der mil achl Tagen Polizeistrase weit
wirksamer gezügeit würbe. Jst aber das aka-
demische Gcsetz in vielen Fällen zu streng, so
ist eS in anderen Fällen zu milv, unb kann
gerabezu demoralisirenb wirken."

* Politische Umschau.

DaS „Mainzer Zourn." enthält u. a. fol-

gende bezcrchnende Aeußernng: Mögen diese
Herren Juden und Deuischkathöliken und was
sonst dcrgleichen mehr ist, sich nach Communal«
schnlen auch die Kehlen heiscr schreien, — die
Psarrschulen bleiben boch. (Wir werden sehea
— wie lange!)

Die naffauische Regierung hat die Petition
des Gemeinderaihs von Wiesbaben, worin um
Bcitrilt zum preußisch-sranzösischen Hanbels-
vertrag gebcten wird, unberücksichtigt zurück-
gesanbi, weil dies nicht zur Compelenz deS
Gemeinderaihs gehöre.

Rach der „Kaffcler Zeitung" hat der Kur-
fürst zum Abschluß eines Veriragcs mit Preu«
ßen in Betreff ber Fortsetzung der Halle-Norb-
häuser Eisendah» aus kurhessischem Gebiete
seiue Genehmigung ertheilt.

Der Proceß gegen die „Gartenlaube" wegen
des Arlikelö über bie Amazvne kommt in Berlin
am 19. zur Verhanblung.

E's wird mit größier Bestimmtheit von un-
terrichtcter Seile mitgeiheiti, baß bte zuerst
von ver „Kreuzzig." gedrachte und in fran-
zösischen Blätiern bereils wiederhölte Nach-
richt, Preußen sei in Untcrhanblungeu mit bem
französische» Cabinel gelreien, um von dem-
selben Abänderungen beö Hanbelöverirags im
Sinne der Forderungen der süddeutschen Ne-
gierungen zu erwirken, gänzlich unbegründet
sei. Zn kemem Falle werde baS Bcrliner Ca-
binet barauf hinarbeiien, de» Hanbelsverlrag
in bieser Richtung abzuändern.

Gerüchtwcise wirb von Spaltungenim preuß.
Ministerium, bem Rücklritl des Hrn. v. Biö-
marck unb bes Finanzministers v. Bodelschwingh
gesprochen.

Aus dem Casino in Coblenz, welches sich
sonst der Politik gänzlich sern hält, sind vor
Kurzem sämmtliche Gardeossiciere uiiler Füh-
rung des Hrn. Obersten v. Oppell auSgetre-
ten, weil ein Forlschritisinann in de» Vor-
stanb der Gesellfchast gewähll wurde.

Nach der „Volksztg." ist dem Abgeordneten
Pastor Graeser in Oberheldrungen schrislliche
Aussorderung der vorgesetzlen geistlichen Be-
hörbe zugegangen, eniweoer bas Amt vder bas
Mandat nieberzulegen.

Die Ernkunung bes Hrn. v. Kleist-Netzow
zum Obeipräsidenien von Posen soll der König
mit dcm Bemerken abgelehm haben, daß er mik
ber Kreuzzeitung nicht regieren wolle (baß
der König die Kreuzzeitung nicht einmal liest,
ist Thatsache).

DaS römische Nationalcomite hat so eben
eine Proklamativn gegen die sranzösische Occü-
pativn erlaffen.

Der verhängnißvolle WeSpenstich.

Vom Polizei-Lirector Dr. Stieber.

(Fortsetzung.)

Währcnb mciner Abweftnhcit war aber ein be-
deutcndes Ereigniß eingetrcten. Fischer hatten in
dem reißcndcn Mühlbach, wclcher in einiger Ent-
scrnung vor der Stadt floß, nnd wclchen man be-
reits am Tagc »orher vcrgeblich dnrchsucht hatte,
beim Aufhcben von Neusen die Leiche des Vermiß-
tcn gefunden. Man hatte dicselbc sofort einer ge-
naucn Untersuchung unterworsen, abcr nirgcnds
eine Bcschädigung odcr dte Spur einer Gewalt
entdcckcn können. Dte «ffentliche Stimmc hatte
sich sehr schnell entschieden, man nahm allgemeiti
an, daß der Verstorbcne durch cin Unglück, »ict-
leicht in Folgc etner heitern Weinlaunc, von eincr
der schadhaftcn Brückcn gefallcn sei, welchc übcr
dcn Bach führten.

„Ste schetnen dcm Rathshcrrn doch Unrccht gc-
than zu haben", rcdete ich den Eriminal-Director
an, als ich denselbcn «iederum auf seinem Zim-
mer traf und ihm Rapporf abstattetc. „Wer wetß,

mit «em der RathSherr zufälltg tn Berührung ge-
koiiilnen ist und wer ihm die kleinc unmerkliche
Kratzwunde zugefügt hat."

„Jch bleibe bei mein;r Ansicht", entgegnete mtr
metn Meister mit ernstcr Stimme, „ich kcnne das
Petschast dcs Ermordctcn zu genau. Zch habc be-
reitS Gelcgcnhcit gchabt, ohne Ausschcn festzustel-
len, daß der Rathsherr tn den letzten Tagen mit
Niemandem Zank »der Streit gehabt hat. Ge-
walt an cincm Rathshcrrn verübt, macht i» ciner
kletnen Stadt großc Sensation, nur dic Frau Raths-
herrin könnte sich derglctchen heimlich erlauben;
das hier vorliegcnde Petschaft rührt abcr unzweifel-
haft nicht von cincr zartcn wciblichen Hand, son-
dern von einem krästigen MLnncrnagel her. War-
ten wir erst dic vorschrtftsmäßigc Obduction dcr
Lctche ab, ehe «ir unS ein llrtheil übcr die Rcsul-
tate der Leichenschau erlauben."

Jch übcrgehe dte traurigen Sceneil, welchc sich
crcigncten, alS der Lcichnam in bas TrauerhauS
gebracht wurde. Der Bürgermcister und der rothe
Rathsherr begleitcten den Zug und dcr Bürgcr-
mcister ließ sofort dte Voraussetzung erkennen, daß
«ir noch an demselben Abend abreisrn würden, da

hicr nur von etncm Unglück unb nicht mehr von
eincm Verbrcchcn bte Rede sein könne. Vorhcr aber
solltcn wtr noch bet dem Rathsherrn, drffcn Wein.
kcller berühmt war, cinc Flaschc vortrefflichcn Rhctn-
wctnes trinken. Dieser Gedanke war sehr schön,
aber — es kam anders.

Die Familie des Verstorbcncn protesttrte laut
gcgen einc Vcrstümmelung des gcliebten LctchnamS
durch eine Obduction. Der Crimiiial-Director be-
stand jedoch auf cincr solchcn kraft seincr amtlichen
Autorität, und die Gcrichtsärzte «aren auch bald
zur Stellc. Eine feicrliche Slillc herrschte tn dcm
Festzimmer dcs Hausc's, in welchem die Obduction
auf eincr großcn hölzcrnen Tafel, «elchc bishcr zu
den Festmahlen der S-milie gedient hatte, »orge-
nommen wurdc. Dcr würdige OrtSgeistliche hatt«
die Angehörigen dcs Vcrstorbencn tröstend in eiu
Hinterzimmer entfcrnt. Dcr Bürgcrmeister, drr
rothe RathSherr und die andcren Bcamten dcS Orts
umstandcn den Letchnam, während die Gerichts-
ärztc flch anschickten, ihr wenig bencidcnswerthcS
Werk zu verrichten. Di, Hitzc drs SommerS und
der Einfluß deS Waffers hatten den Leichnam fehr
stark verändert.
 
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