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Heidelberger Zeitung — 1863 (Januar bis Juni)

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Februar
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https://doi.org/10.11588/diglit.2820#0129

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Erfcheint, MontagS auSgenommen, taglich
^W^W» PreiS vierteljährlich 54 kr.

> Auf di'e „Heidelberger
Zeitung" kann man stch
noch für die Monatc
Frbruar und März mit 36 Kreuzern abon-
niren bei allcn Postanstalten, den Boten und
Trägern, so wie der Erpedition (Schiffgaffe
Nr. 4).

Der Einfluß -es franzöfischen
Kaiferreichs

auf die politische Weltlage hat, trotz der schein-.
baren Unbefangenheit der neuestcn Thronredc
Napoleons, wie keinem aufmerksamen Be-
obachter derselben entgangen seln wird, seit
etwa cinem Zahre unverkennbare Rückschritte
gemachk. Dicsc Erscheinung läßt sich sogar
noch etwas weiter rückwärts verfolgen, und
uimmt ihren Anfang von jeüem Zeilpunkte an/
wo Napoleon aus dringendes Anstehen Eng-
lands sich genölhigt sah, Sprien zu räumen.
Die Jntentionen deS Buonapartismus, allcnt-
halben Boden zu gewinnen, nicht nur in Zta»
lien, Spanien, längs des Mittelmeeres, im
Oriente, und sogar im transatlantischenWcstcn,
stnd bekannt. Ebenso waren die verschiedenen
überseeischen Erpeditionen in den entlegensten
Winkeln der verschicdenen Welttheile, wie in
China, Hinterindicn, Madagaskar und in
Meriko, weit mehr als bloße Llloiro-Specu-
lationen, um die Phantaste der Franzoscn zu
beschäfligen; es halten diese viclmehr alle mehr
vder weniger den bestimmtcn Endzweck, die
Präponderanz Frankreichs in allen bicsen Ge-
genden geltend zu machcn, demselben — zu-
zuuächst auf Kosten Englands — ein politi-
sches^ und commercielles Uebergewicht zu ver-
schassen, und — noch mit Rücksicht auf die
Durchstechung der Landenge von Suez — dem
dritten Kaiserreich wit der Zeit den Welthan-
del in die Hände zu spielen. Zu diesem Zweckc
suchte sich vieses daher auch überall Colonien,
Stützpunkte und Siapelplätze zu.verschaffenp
freilich ein weitaussehender Plan, wozu ein
Menschenalter, unb insbesondere das Alter des
an Zahren bercits vvrgeschrittenen Napoleon
Ili. kaum hinreicht. AUcin schon zu seinen
Lebzciten muß dieser Autocrat des WestenS
eine allmählige Abnahmc seiner Macht erlebey.
Keine seiner auswärtigen Unternehmungen, mit
AuSnahme elwa jener in Cochinchina u. Ma-
dagaskar, ist ihm vollständig gelungen. Jn
Meriko haben stch seinc Verbündeten, früher
als er es wünschtc und rrwartete, von ihm
loSgesagt, unb die Laft eines kostspieligen und
weitaussehenden Krieges liegt nun allein auf

Sonntag, 8. Fcbruar

ihm. Ein hiermit unM'ttelbar in Verbindung
stehender Nachtheil ist es, daß Spanien stch
überhanpt vom fraüjöstschen Einfluffe möglichst
zu emancipiren sucht, und da auch Ztalien
durch die Art unb Weise der Behandlung der
römischen Fragc von Seiten des Tuilerien-
cabinets, stch von diesem immer stärker abge-
stoßen fühlt, so hat dir praktische Verwirkli-
chung der Führerschaft der romanischen Race
bereits gewaltigen Abbruch erlitten. Die größte
Niederlage hat aber in neuerer Zeit die fran-
zösische Politik stm Oriente dürch die Folgcu
der Umwälzung ln Grirchenland erlitten, und
zugleich ist die von ihr angebahnte Vermitt-
lung in Rordamrrikä gescheitrrt. Alle diese
Einbußen des französtschcn Einfluffes kommen
in der Regel England zu gut; insbesonderr
gilt dieses von Ztalien und Griechenland. Zur
größten Udbrrraschung dcr Mitwelt zcigten
Paimerston unv Ruffefl, denen man noch vor
wenigen Jähren (bei den damaligcn Uebcr-
griffen des Buonapartismus durch Einverlei-
buNg von Savopen, Nizza u. s. w.) eine
bis an Feigheit grenzende Mattherzigkeit; eine
ängstliche Sucht, den Frieden um jeden Preis
zu erhalten, ein bloßes Hegen und Pflegcn
bes englischen Krämergeistes zur Last legte, —
daß ste untec Umständen noch entschieben und
energisch in politischea Dingen zu operiren
verstehen, und daß ste auch im Oriente — in
Lerkennung der wahren Jntereffen Englands
— Richls weniger seien als ewig geängstigte
Zntereffenten eines morschen unb saulen Le-
stehenden. Auch den übermüthigen Dänen hat
England im gefährlichen Äugenblick aus ihrem
Wege zur Einverleibung Schleswigs cin Halt
zugerufen, ebcnfalls den dortigen offenen und
geheimen Machinationen Frankreichs (sowie
Rußlands) entgegentretend. Wie diesc uner-
wartete Umgeftaltung einer der bisherigen
Voraussctzungen der europäischen Politik nvch
weiter wird, ist noch nicht zu ermeffen; zu-
nächst hängt selbstverständlich alles davon ab,
vb unb dvie lange Napoleon lll., deffen gei-
stige Elasticität bei herannahenbem Aller und
cinem äußerst bewegten Lebcn dereits gelitten,
und einem gewiffen Drange nach Ruhe Plaß
gemacht haben soll, stch in die ihm aufgedrun-
gtne Macht der Umstänbe gutwillig zu fügen
gesonnen ist, und um sich aus seiner beengen-
den Lage zu besreien, keinen entfcheibcnden
6onz> uliternimmt, und wäre es auf die Ge-
sahr hin, im äußersten Falle selbst vs bsogus
zu spielen. — Auch Frankreichs Lage nach
Znnen ist zur Zeit nichl ohne eigenthümliche
Gefahren. Deffen Kaiser hat bisher eine glän-

InsertiorlSgebühren für die Zspaltige Petit-

zeile werden mit S-kr. berechnel. M^WWMfDO

zende und erfolgreiche auswärtige Politik alS
bre Bedingung angesehen, unter der das fran-
zöstsche Volk auf politische Freiheit verzichte.
Er wird selbst schwerlich meinen, daß diese
Bedingung nichk mehr eristirt, und daß Frank-
reich sich an die Knechtschaft hinlänglich ge-
wöhnt habe. Wcnn der französische Geist
auswärts, wie in Turin, Mavrid, Athen
u. s. w., aufhört das Wort zu führen, s»
kann er nur allzu leicht versuchk werden, stch
bafür in Paris schadlos zu halten. Hierzu
kommt, daß das dritte Kaiserreich, außer einer
bis jetzt noch ziemlich mäßigen Befricdigüng
der Ruhmsncht und einer ebenso precärkn Ge«
winnsucht durch Börsenspeculationen u. drgl.
in geistiger, wie in materieller Beziehung dek
französtschen Nation kein einziges Gut von
besonderer Bedeutung geboten hat.

Es kann sich nicht rühmen, auch nnr cine
einzige bedeutende Erscheinung in Kunst, Lite-
ratur oder Wiffenschast hervorgebracht zu ha-
ben. WaS in Frankreich in dieser Beziehung
der kaiscrlichen Zeit angehört, besttzi keinen
Namen, unb waS man sonst noch mitBeivun-
derung nennt, tritt in die Verbaunung oder
in bürgerliche Dunkelheit. Paris ist längst
nicht mehr der Sitz der cosmographischen Wis-
senschaften. Sclbst in Bezug auf Geschmack
sind bie Franzosen längst nicht mehr die Ge-
setzgeber der eleganten Welt: Sie copiren nur
noch bie Muster der Rococcozeit. So hat baS
Kaiserreich Nichts hervorgebracht, außer einem
halben Dutzend Marschallen, einein Schock
Börsenmännern und einigen erccntrischen Mo-
den: Es fchlt ihm ein jedec patrioiifche Hauch,
und der geistige Glanz deS Zeitalters Lnd-
wigs XlV., sowie auch zum Thcil des ersten
Kaiserreichs, ist nicht entfernt auf dasselbe an-
wendbar.

* Politische Umschau.

Es wird versichert, daß der Rücktritt des
Zustizministers, Grafen zur Lippc, bevorsteht.
Einen Spstemwechsel würde dieser Zwischen-
fall keineswegs anbeuten; es würde sich viel-
mehr nur um eine geeignetere Vertrctung des
Bismarck'schen ProgrammS handeln.

Die „Bresl. Ztg." mclbet aus Warschau,
daß sich im Rabom'schen Kreisc die Jnsur-
genten organisirt hälten, wohl bewaffnet und
auch mit Cavallerie versehen seien. Sie schätzt
dic Anzahl berselben auf 15,000.

Die heute in Wien eingetroffenen Nachrichten
aus Polen sinb sehr ernster Natur. Vvn
Krakau und Lemberg aus finden maffenhafte

Die eigene Vernrtheilung.

Ein seltener Eriminalfall auS den Denkwürdig-
kclten eines Advocaten.

Zohn Smtth war Etgenthümcr eines schönen
Gutes in Lancashirc. Er galt für sehr reich und
lebtc wic ein Landedelmann. Gegen das Ende
deS Herbstes 1772 kam etn Krcmder zu ihm. Smith
nahm ihn gastfreundlich auf. Nachdem der Fremdc,
deffcn Name und Stand tn der Nachbarschaft völ-
ltg unbekannt waren, einige Ersrischungcn zu flch
genommen hatte, begab er sich in das ihm ange-
wtcscne Schlafgemach und bat, man möge thn am
andern Morgen zeitig wecken.

Diescr andcre Morgcn kam für thn nicht. Als
der Bediente in das Zimmer trat, war er todt und
sein Körper berctts erkaltet. Man fand »n ihm
nicht dte lciseste Spur von Gewaltthätigkcit, und
sein Gcsicht hatte den ruhigen Ausdruck eines Schla-
fenden behalten. Die Bestürzung war allgemctn,
und eS wurde einc Untersuchung angestcllt; abcr
man konntc wedcr übcr seine Pcrson, noch scinc
Familie irgend eine Nachrtcht erhalten. Sein Name

und seine TodcSart blieben gleichfallS räthselhaft;
man machte allerhand Muthmaßungen, aber Alles,
waS man erfahren konntc, «ar, daß der Retscnde
durch das bcnachbarte Dorf gekommen war und
daß ihn in der ganzen Gegend Riemand kannte.
Dic schncllc Communication, wclch« die Zcitungen
zwischcn den verschtedcnen Theilen des Staates her-
beigeführt haben, dieses große Gcslccht dcr Oeffent-
lichkctt, wclchcs gegcnwärtig England bcdcckt, gab
es damals noch nicht. Kaum kam cine Zeitung auf
zwci Grasschaften. Heutzutagc würde die Rachricht
von cinem solchcn Ercigniffe dic dret Königreiche
mit Blitzesschnelligkcit durchfliegen. Zm Iahrc 1772
war jede Provinz für die andere AuSland.

Die königlichc Jury versammclte sich bci der Leichc,
um zu bcrathen, welchcr Todesart dcr Fremdc gc-
storbcn sei. Nichts zetgte von einer Ermordung,
Alles licß im Gcgentheil vcrmuthen, daß ihn der
Tod mtttcn im Schlafc überrascht habe, und man
mußtc, wic seltsam auch die TodcSart war, in daS
Protocoll die Wortc aufnehmcn, welche in solchcn
Fällcn gebräuchlich sind: „gestorben durch dte Hcim-
suchung GotteS." Die Zeit vergtng und kein Ltcht-
strahl fiel auf den Sarg des Fremden. Das Ge- !

rücht sprach unbestimmt von cinem Morde, konnte
aber keincn Bewcis davon gebcn. Ein undeutlt-
cher, unbestimmter, aber allgemeiner Verdacht, be-
sonderS in den untern Llaffen, schjen auf dem GutS-
befitzcr Zohn Smith zu lasten, bet dcm dcr Frcmde
cingekchrt und gestorben war. Smith war, obgleich
rcich, nicht gclicbt. Man erinncrte sich mtt «incm
gewiffen Vcrgnügen verschiedencr Umstände aus set-
ner Zugcnd, welche 'einen ungünstigcn Eindruck
zurückgelaffen hatten. Er war ausschweifend und
verschwenderisch gewesen, hatse, nachbem er viele
Schulden gemacht, England verlaffcn und war erst
nach dem Tode seines Vaters zurückgckchrt.

Ohnc Zweifel konnte man vernünftigerweise mit
dem lctzten, Smith zugcschriebenen Vcrbrechcn keine
der frühcrcn Beschuldigungen in Verbindung brin-
gen. Er war in sciner Jugend nicht bedenkltch ge-
wesen wegcn dcr Mittcl, flch Gcld zu verschaffen,^
deffcn er immer bcdurfte. Scit seincr Rückkchr
hatke er frtcdlich, «cnn nicht gcchrt gelebt, abcr
dicscr unglückliche llmstand «cckte die Erinnerungen
der Nachbarn Smiths, die ihn um so wentgcr schon-
tcn, da sein Rcichthum und setne friedltche Lage
für sie etn Gegenstand des Neides waren. Mitten
 
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