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Heidelberger Zeitung — 1863 (Januar bis Juni)

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Mai
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L863.

^ Preußen «nd die Zeitlage.

Schon seit Wochen hat es sich gezcigt, daß
das preußi'schc Mlnisteriuin in der poliilschen
Frage gerade das Gegentheil deffen gethan hat,
was die Sachlage erfordert, und daß gerade
das Gcgcntheil dessen, was es bezwecktc, em-
getretcn ist. Der Anfstand ln Polen i'st durch
sei'ne Veranstaltungen ni'cht unterdrückt, son-
dern gefährli'cher geworden; anstatt den unan-
gefochtenen Besttz Posens sicher gestellt zu ha-
ben, hat es Preußen ln ei'ne so kritische S>-
tuatlon gebracht, wlc solche selt 50 Jahren
ni'cht dagewesen i'st, i'n elne Lage, durch welche
noch ganz andere Jiitereffen, als der Besttz
Posens sich bedroht sehen. Jedermann welß,
welche untergeordnete Bedeutimg der polni'sche
Aufstand während seines erste» Stadi'ums hatte.
Allgeinei'n galt derselbe für ei'ne zwar ent-
schuldbarc, jedoch hoffiiungslose Auflehnnng
der städtlschen Bevölkerung gegen di'e russische
Herrschaft.

Man belrachtete dieselbe als elne lnnere
russische Angelegenhei't, und inachte ei'nen wc-
sentlichen Ünterschled zwi'schen den russischen
und preußischen Polen. AlleS dleses äuderte
sich mit ei'nein Schlage dnrch den unbegreif-
lichen Abschluß der vielbesprochenen Conven«
tion Preußens mit Rußland. Die. halbver-
geffene polnische Angelegcnhcit nahm damit init
einem Malc die Dimensioncn eiiier politischen
Frage ersten Ranges an. Die Cabinete, die
Parlamente, die Preffe gerieth in Bcwegung,
die alten Volks - Spmpathien erwachten von
Reuem und Aller Haß gkgen Rußland, wel-
cher vor Zeiten den Occident erfüllt hatte,
lebte wiederholt auf, und richtete sich — was
das Schlinimste ist — zugleich gegen Preußen.
Wie höchst willkommen eine solche Stimmung
d-njenigen ist, wclche ein Jntereffe haben,
Preußen zu isoliren, ist leicht abzus.-hen. Es
ist namentlich eine bekannte Sache, daß Na-
poleon III. in auswärtigei, Fragen stch immer
auf die Seite stellt, auf welcher sich die Spm-
pathien der Völker besiuden. Darauf deulen
von Neuein die an Rußland erlaffeneri Noten
hin. Das auserlesene Opfer, gegen welches
im güustigen Augenblick der Stoß geführt wer-
dcn soll, wird zuvörderst isolirt, d. h. es wird
i'n dcr öffentlichen Meinung Europas so schlecht
gemacht, daß sogar seine besten Freuiide den
Muth verlicren, ihm beiziistehen. So geschah
es vor dem Krimkriege gegen Rußland, so
1859 gegen Oestcrreich in Bezug auf deffen
unhaltbare Politik ,'n Italien. Im gegcn.
wärtigen Augenblicke wiederholt sich, veran-

laßt durch den polnischen Aufstand, nun daS
nämliche Schauspiel, deffen Zeuge die Mitwelt
schon zweimal gewesen ist und welche dic bei-
dcn erstenmalc mit dem bekannten Schlachten-
doiiner endetc. Was Napoleon unmittelbar
für dic Polen thun oder nicht thun will, weiß
er vielleicht selbst noch nicht, und ist wohl
auch bci ihm völlig Nebensache. Bei dem be-
kannten Charakter der großen Nation wird es
jedoch leicht sein, dieser begrtiflich zu machen,
daß sie den Polen zu lieb Mainz und Köln
erobern müffe. Mithin ist gerade für einen
Napoleon dic Verführung zu einem Polenkriege
sehr lockend, besonders in einer Zeit, wo viel-
leicht dic englische Regierung durch eine Diver-
sion in Amerika von den europäischen Staats-
händeln abgelenkt wird. Selbst dic Mitwir-
kung der Mittcl- und Kleinstaaten wird zu
dem Ende nicht verschmäht, und es bleibe
dann nur Oesterreich übrig, deffen Neutrali-
tät sicher zu stcllen wäre. — Zwar braucht
man noch keineswegs anzunehmen, daß Na-
poleon fest und unwiderruflich bcschloffen hat,
Rußland und Preußen zu bckriegen. Abcr so
viel ist gewiß, daß derselbe AUcs thut, um
für den Fall cineS solchen EiitschluffeS mög-
lichst lcichie Arbcit vorzufindeu. Das Tcrrain
wird daher von allen Hiiidcrniffen gesäubert,
das Publikum wird in eine günstige Stimmung
versetzt, die Rollen werden vertheilt und ein-
studirt, damit — weun das Stück zur Auf-
führung kömmt, der Erfolg rasch und sicher sei.

* Politische Uurschau.

Der apostolische Nuntius in München eifert
Namens dcs Papstes in einem lateinischen
Schreiben an den Erzbischof vou München
gegen das Barttragen katholischer Geistlichcn,
das in deu baperischen Diöcesen hie und da
sich wieder zeige. Er fordert die Obern auf,
bafür zu sorgen, „daß die Einheit dcr Rcgel
und die voUkommene Uebereinstimmung mit
der römischeu Kirche in Allem und deshalb
auch in Kleidung und Scheeren des Haares
bewahrt, wenn nöthig wieder hergestellt und
jeder neue Gebrauch verboten werde, welcher
nicht dem höchsten HaiiPle Kirche bekannt,
sowie von diesem selbst gcbilligt ist."

Von Berlin aus hat sich ebenfalls einc mit
hohcn Empfehlungen versehene Deputation nach
Spanien auf den Weg gemacht, um für die
verurtheilten Protestanten ein gutes Wort bei
der Königin einzulegen.

„Times" sagen, England könne Preußen
keine Vorstellungen über einen von ihm ver-

übten Bruch deS Völkerrechts machen, da
Preußen die Polcn als Rebellen und nicht als
Kriegführende betrachte.

„Times" betrachten die Operationen vor
Puebla als sehr wichtig. Hätten die Fran-
zosen dort einen leichten Sieg erfochten, so
würde ihrem Marsch nach der Hauptstadt nichts
weiter im Wege gestanden haben; Frankreichs
Aufgabe sei mithr'n noch nicht zu Ende. Puebla
erscheint im Lichte eines zweiten Saragoffa:
jedes Haus wurde desparat vertheidigt; den
Franzosen fehlte es an Munition und das
Baponnett kann nicht die Artilleri'e erseßen.
Der leichte Sieg der Amerikaner vor 16 Jah-
ren erklärt sich daraus, daß diese nur cin
Staatsintereffe verfvchten und mit einem Stück
Land abzufinden waren, während Frankreich
die Republik zur Monarchie umgestalten wolle
und alle Parteien gegen sich vereinigt habe;
auch hatten die Amerikaner beffer für TranS-
portmittel gesorgt.

Der russische „Invalide" meldet aus Vol-
hpnikn, daß eine 300 Mann starke Bande das
Städtchen Gorke überfallen, die Stadtcasse u.
Pferde mitgcnvmmen und die Schüler eincs
Collegiums verunlaßt habe, sich ihr anzuschlie-
ßen; auch bei Kiew suchten Gutsbesitzer pol-
nischcr Abkunft ihre Bauern aufzuwiegeln.

Man bchauptet zu New-Iork allgemein, daß
Frankreich wenigstens noch 50,000 Mann und
viele Millionen Fran.ke« opfern muß, um die
Hauptstadt Meriko zu bckommen. Und damit'
sei Juarez noch keineswegs gestürzt. Es hei'ßt
alsdann noch wetter ins Jnnere des Landes
zu rücken. Man hat bercchnet, daß jedc von
ber Erpedition zurückgelegte Meile Frankreich
3 Mill. Fr. kostet. Unb wie viele Menschen-
lcben? Das konnten die amerikanischen Sla-
tiftiker noch nicht in Erfahrung bringe».

Deutschland

Karlöruhe, 21. Mak. Durch Allerhöchste Ordre vom
2V. d. M. wtrd der Verrechner deS (1-) Letb - Dragoner-
RegimentS, Hetnrtch Kamm, zum StabSquarttermeistcr
ernannt.

Karlsruhe, 21. Mai. Einem hier ein-
getroffenen Privattelegramm aus Berlin,
deffen Inhalt uns gükigst mitgetheilt wurbe,
eiitiiehnikii wir die Nachricht, daß morgen, den
22. d. M., der Schluß der Kammern in
Berlin statthaben werde. Man glaubt, daß
demselben noch weitcre Acte der Regierung im
Sinne des herrschenden Spstems folgen sollen.

Frankfurt, 20. Mai. Das aufgeblähie
Comödiantenthum des Apostels Laffallc, schreibt
bie „N. Frankf. Zt", hat gestern Abenb ein

Der Ehrenplatz bei cinem Diner iN Cochinchina.

Dem Berichte cines sranzöflschen OfstzierS, wel-
cher bei dcr Erpcdition der franzöflschen Truppcn
nach Eochinchina betheiligt war und einem Mili-
tärposten angehörte, derbeidemDorfe Tang-Chung-
Riet, cine Meile vvn Saigun, in Cantonnirung
lag, entnehmen wir folgende Schilderung: „Um
jede Hüttc dcs Dorfcs erhebt sich eine rundc Hecke
von rtesenhaften Cacteen, die einen bcffercn Schutz
gewiihrt, als die solideste Mauer; rechts und links !
crhcbcn fich Banancn mit ihrcn breiten Blättcrn
und schlanke Arekapalmcn, überall herrscht gchcim-
nißvoller Schatten, übcrall sieht mrn Griin und
Blumcn.

Es ist Mittag und unter den Vcrandas an den
Hüttcn sicht man im Schattcn der duftenden Oran-
gcnbäume die Fraucn und jungen MLdchcn sich in
ihrcn Hängematten schaukeln, während sie lange
Cigaretten rauchen oder Bethcl kaucn.

Trotz der Hitze und dcr Srestaftunde hört man
in dem mitt-n tm Dorfe gclegcnen größten Hause
einen gcschäftigcn Lärm und etn Gewirr fröhlicher

Stimmen, was eincn lebhaften Gegcnsatz zu dcm
Schweigen der Umgebung bildet. Dieses Haus ge-
hört dem Tong, dem Obcrhaupt dcS DorfcS, dcm
reichcn Sa-lo-he und dcr Lärm rührt von den Vor-
bereitungen eincs Festes her.

Sa-lo-he besitzt Hunderte von Büffcln, Dutzcnde
von Franen, und behcrrscht bespotisch eine ganze
Armce von Kindern, unter dcnen man schon drci
braune junge Mädchen mit reichem Haar, fciiicm
Wuchs und seurigeN Augen unterschcidet; die äl-
tcstc hcißt Tieh, die zweite Nane, die dritte Tho.

Man war in dcn ersten Tagen des Februar und
der reiche Sa-lo-he ordnete Alles an, um das Neu-
jahrsfest würdig zu begchcn, welchcS bet dcn Ana-
mitcn zu diescr Zcit gcfeiert «ird. Das Fest sollte
mtt einem großen Mahl bci dem Nntcrgang der
Sonne brginnen und ich war so glücklich, von dcm
Tong dazu cingcladcn zu werden; natürlich nahm
ich die Einladung gern an, stellte mich zur bcstimm-
ten Stunde cin und nahm ohne Umstände den
Ehrenplatz an Sa-lo-hc's Tische ein, welcher mir
mit großer Höflichkeit angeboten wurde. Freilich
bereute ich dies gleich nachher sehr, denn worin be- ^
stand dicscr Ehrenplatz? Man stelle fich eincn

runden Tisch vor, in dcffen Mittr ich armcr Teu-
fel auf metncn beiden Fersen jämmerlich zusam-
mengekrümmt hocken mußte; zu kciner Bewcgung
nach irgend eincr Seite hin blicb mir auch nur
das kleinste Plätzchen wegcn der Unzahl Schüsseln
mtt Suppcn und RagoutS, die mich überall um-.
riiigten. Jch vcrwünschte die unglückseligk Höfltch-
keit meincs WtrtheS, denn ich war wie auf der
Folter und nach einigen Minutcn bekam ich eincn
wahrcn Krampf in dtc Bcine. Unglücklicherweise
umgaben die Gäste und die Familic des Tong den
Tisch vollständig, bekümmcrtcn sich nicht im min-
dcsten um mich und aßen mit einer Ruhe, daß ich
bald einsah, daß mcine Tortur nicht so bald rhr
Ende erreichcn würdc.

Schließlich konnte ich eS nicht mehr aushaltcn
und wollte aufsiehen, abcr zwanztg Arme ergriffen
mich alsbald nnd drückten mich wteder nteder.

„Laßt mich auf, ihr Lanatllen!" rief ich.

„Fatansi tchaou-tchaou taou-clam!" (Jß Kran-
zoft, du befindest dich gut hicr), cntgegneten fie.

Dteft gnten Lcutc glaubtcn, ich wolle auS Be-
scheidenhett den Ehrenplatz verlaffen und hielten
es fiir Pflicht der Höflichkeit mich da fcstzuhalten.
 
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