Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Zeitung — 1863 (Januar bis Juni)

DOI Kapitel:
April
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.2820#0301

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
M; 77.


Mittwoch, 1. AprU

IasertioaSgebühttll für die SspalttgeWetit-
;eile werdea mit 3 kr. berechnel.

L8«3.

Bestellungen auf die „Heidelberger
Zeirung" nebst Beilage „Heidelber-
ger Familienblätter" für das mit L.
April 1863 begoanene 2. Luartal
werden fortwährend angenommen.

Die Expedition.

Die Rede deS Ministers Billault

im franzvstschen Senatc ist ein Ereigniß bes
Tagcs, welches aügemeine Aufmerksamkeit er»
regt. Dieielbe bekundet nichts Geringcres, als
cinen Nüikzug von der in der letzten Zeit mit
Ostentation pronuncirten polenfreundlichen?j)o-
litik Napoleons lll. Zu Anfang seiner Rede
entwickelt Billault ganz richtig, baß Polen,
wie es heuke bcschaffen ist, weber leben nöch
stcrben könne, daß aber weder im Zahre 1813,
noch seither eine Cvmbination zu Tage ge-
fördert worden sei, welche gecignet war, Po-
len znr Ruhe zu bringen. Unter ruffischer
Herrschast sühlen die Polen sich rmlerbrückt,
und von Rnßland mit Frciheiten auSgestattet,
werde» bie Polen sie nur benüßen, um daS
noch sehlende, nämlich bic gänzliche Unab-
hängigkeit zu erlangen. Bis hierher steüt Bil-
lault bie polnischc Frage im richtigen Lichte
dar, aber er gelangt zu ganz anderen Schluß-
folgerungcn, alS die stnd, welche er anzudeu-
ren scheint.

Er überhäuft die Negierung L. Philipp'S
und EnglandS mit Vorwürfen, daß sie für
Polen nie etwas gethan, stets nur Phrasen
gehabt habcn; aber auch das, was der napo-
leonische Sprechminister vorbringt, ist in der
That nicht mehr als leere Phrase Unb hohle
Spmpathic. AuH er erklärt sich in seiner
Rede fortwährend gegen dic Actionspolitik des
Prinzen Napoleon, und sucht darzuthun, daß
es dic höchste Unklugheit wäre, wenn bas Tui-
lericncabinel in der polnischcn Sache cine an-
dere Anstcht versolge, als bie: „seine Anstch-
ten ohne Blutvergießen, vurch Combinationen
ber Freundschaft und des gemeinsamen Jnte»
reffes geltend zu machen." Heißt das aber
sür Polen mehr thun, als Englanb, oder ir-
gcnd eine andere Macht? Unb berechtigt die
Zersahrenheit der Mächte, und ihr gegcnseiti«
ges Mißtrauen, welches nicht einmal ein gc-
meinsames Vorgehcn der Westmächte mitOester-
reich zu Stande brachtc, zu dcr Annahme, baß
auf diesem Wege den Polen irgend ein greif-
darer, reeüer Gewinn zu bringcn sei? Sehr
treffend hat Billault zu Anfang seiner Rede
nachgewiesen, daß Rußlanb dic Polcn niemals
besriebigrn könne, abcr verifföge einer sellsa-

men Logik kommt er doch zu keinem anderen
Schluffe, als daß eben Polen Alles von der
Großmuth und Gnade deS die Leibeigenen be-
freienben KaiserS Alerander erwarten müffe.
Merkwürdig ist die Art und Weise, wie Bil-
lault dies motivirt: Frankreich, weint er, ist
Rußland zu Dank verpstichlet. Dcr Haltung
Rußlands sei es zuzuschreiben, wenn Frank-
reich während dcs italienischen Krieges keine
Verlegenheiten am Rheine hatkc, unb Rußland
verdanke man es auch, wenn dic Reclamatio-
nen der Mächte gegen die Einverleibung Sa-
vopenS u. gegen die Polilik der natürlichen
Grenzen wirkungslos blieben. WaS folge abcr
auS biesen Gortschakoff'schen Liebesdiensten?
Daß Frankreich Rußland Gleiches mit Glei-
chtm vergelten müffe, und bie polnische Sachc
rricht zumSchaden Rußlands ausbeuten
dürfe! Man kann fa nicht wiffcn, wozu Ruß-
lanv späler noch zu gebrauchen ist, denn, sagt
Billalllt, es ist immer nothwcndig, stch gewisse
Ausgleichsmiltek, gewiffe Gegengewichte zu er-
hallen!

Ein ferntres gutes Einvernehmen mit Ruß-
land soü auch in Zukunft Fraukreich dafür
entschädigen, baß die aus Anlaß der polnischen
Ereigniffe angestreblc Allianz mit Oesterreich
und Englanb scheiterte. So bethätigt der
Nationalitäten befrcienve Bonapartismus seine
activen Spmpalhien für Pvlen, und damit
Niemaud baran zweiste, erklärt der Kaiser
selbst, daß dies der getrcueste Ausbruck seiner
Spmpathiett für ein« „Frankrcich s» theure
Sachc sei." Jn Berlin und Petersburg kann
über diese Wllault'sche Rede, wonach bie Po-
len von Frankreich sv gut wie Nichls zu er-
warten haben, nur Freuve herrschen, und man
wird die Unannehmlichkeil ber ersten polen-
freundlichen Depeschrn Frankreichs (vom 17.
und 19. Febr. d. Z.) gerne der Vergeffenheik
übergeben.

* Politische Umschau.

Wie der „Ps. Kur." vernimmt, soll VaS
Gesuch der protestantischen Lehrcr des Dccanals
Lanbau, der allgemeinen deutschen Lchrerver-
sammlung in Mannheim anwvhnen zu können,
vsn der Regierung abschlägig beschieden wor-
den sein.

Die heutige „Köln. Ztg." sücht durch cine
weitere Mittheilung von Paris ihre vorgestrige
zu neutralisircn; ste behauptet nämlich, was
stc übcr Frankreichs Absichten gemeldet, sei
vollkommen wahr gewese», die Lage habe sich
abcr seitbem veränbert; ihre Mittheilung war

mithin an dem Tage, an welchem sie diesekbe
brachte, schon nicht mehr wahr, und die „K.
Z." ist einfach mißbraucht worden, Frankreich«
guie Abstchten für Polen in die Welt hinans-
zuschreien, als es bereitS davon abgestanden
und das Fehlschlagen anderen Mächten auf-
zubürden suchte. Am Schluffc ihrer neuesten
Pariser Correspondenz heißt es: „Jch kann
Jhnen hiermil die bestimmteste Verstcherung
geben, daß Fürst Metternich an demselben Tage
noch, am 26., seiner Regierung telegraphirt
hat, daß Frankreich die Zdee der Unabhängig-
keit Polens aufgegeben zu haben scheine. Dies
allein ist ein unumftößlicher Beweis, daß diese
Jdee vorhanden war."

Die „Nation" knndigt an, daß dr'e polnksche
Frage in die diplomatische Phase eingctreten
sei: Frankreich und England hätten fich über
den zu erreichenden Zweck verständigt, uud es
sei wahrscheinlich, daß Oesterreich fich ihnen
anschließen werde.

Deutschland

-s- Heidelberg, 30. März. Es tst eiu
junger Pole zum Besuche hier angelangt, der
kürzlich noch als academischer Bürger medici-
sche Vorlesungen an hiesiger Hochschule be-
sucht hat. Derselbe hat erst vor wenigen Ta-
gcii Polen vcrlaffen, mehrere Gefechte gegen
die Ruffen milgemacht und ist entschloffen, auf
den heimalhlichen Kampfplap nächstens zurück-
zukchren. Er erzählt vo» vem Haffc und dcr
Erbitterung, die iu ganz Polen gegen die
Ruffen herrsche, unb wie man den festen Vor-
satz hege, den Kampf mit allen zu Gcbotc
stehenden Mittcln bis aufs Aeußcrste fortzu-
setzen. Auch sei allcnthalben im Landc dic
Anstcht verbreitet, daß sich die Westmächte u.
Oesterreich des schmählich unterdrückten Volkes
nachdrücklich annehmen werden. AüerdingS
hat Polen nach dem Wortlaut der Verträge
eine Verfaffung rechtmäßig zu verlangen, auch
eine gesonderte Verwaltung, die der brutaleu
Willkür, den Uebergriffen und der Schreckcns-
herrschast der Nuffen ein Ziel setzt. Wenn
vor mehrercn Zahren der Ruf gehört ward,
Jtalien soll den Jtalienern gehören, so ist das
gleiche Vcrlangen der Polen ein voükommen
berechtigteS; auch wird ihnen eine befferc Zu-
kunst, eine einigermaßen erträgliche politische
und staatsbürgerliche Eristenz und Selbftstän-
digkcit von Allen, die auf Gerechtigkeit, Hu-
manität und Völkerglück noch etwaS halten,
herzlich gegönnt werden. Die Ruffen haben
schlimm gehaust und arg genug gewirthschaftet,

Der Mißgriff.

Vom Polizei-Director Dr. Stieber.

(Fortsetzung.)

Mein Verbacht gcgen ihn wuchs,' alS ich eine
Gewsumine von über 1000 Thaler bei ihm fand,
über deren rcchtlichen Erwerb er sich durchaus nicht
auswciscn koimte, vielmehr vcrwickelte er fich, bei
dem V-rfuch, diejcn Erwerb zu bcgründen, in augcn-
schcinliche Lügcn unb Widcrsprüche. Auch fanden
fich mchrere Schlüffcl bci ihm, von dcncn der kine
jedcnfalls geeignct schien, dcn bcstohlencn Klcider-
fchrank zu vffnen.

Rur cin llmftand sprach auch zu Gunsten deS
jungcn Mannes. DaS bei ihm gefundenc Geld
bestand nLmltch faft nur aus Gold, stimmte also
nicht mit den entwendeten Geldsortcn übcrein; ich
hatte die Spnr des Bcrdächtigcn scit bcm Tagc deS
DiebstahlS gcnau crmittelt, dicse Spur führte nur
durch klcinc Ortschaften, in denen sich die Einwcch-
selung einer so bedcutenden Summc Goldes schr
leicht HStte feststellen laffen; nirgends gelang aber

ein« solche Fcststcüung. Dennoch machte ich mit
dcm VerdLchtigen wcnig Umstänbe, ich hielt ihn in
dcn schr schlechten und unbequemen GefLngniffen
der klcinen Grcnzstadt in strenger Haft, inquirirte
ihn Tag und Nacht, kam aber, so schr ich »on sei-
ner Schuld überzeugt scin mustte, mit meinen Er-
mittlungen nicht von dcr Stclle. Der junge Mann
bcthcucrte fortwLhrend seine Unschuld und erklärte
endlich, ein Geheimnitz hindcre ihn, den Erwerb
der bei ihm gefundencn Gcldsummen nachzuweisen.

Jch gcrieth zuletzi in einc hochst unangenehme
Lage, welche mir schlaflose Nächte machte. Jn eincr
solchen Nacht «urde ich durch «ine Staffete des Mi-
nisterS übcrrascht. Zch wollte meinen Augcn nicht
traucn, als ich dcn Znhalt der Depcsche las. Der
Ministcr bat mich dringend um Entschulbigung,
dcr ganze Dicbstahl, «elcher seincr Schwestcr zu-
gefügt stin sollte, beruhte auf eincm MißverstLnd-
nist. Scine Schwester hattc während ihrcS Auf-
enthaltes in der GarnisonSstadt schmutzige WLsche
nach dcr Refidcnz geschickt. Durch ein Versehen
hattk fie beim Zusammenraffcn der WLsche, von
welcher ein Theil in dcm Kleiderschranke lag, jedcn-
fallS das Geldpaquet mitgegriffcn und daSselbe mit

der WLsche fortgeschickt. Als man einige Wochcn
später die WLsche reinigen wollte, fand man das
Paquet mit seinem kostbaren Znhalt un»ersehrt
wicder.

Das war nun cine schvne Gcschichte. Ach hatte
einen Verbrecher, abcr kein Verbrechen und befand
mich wcgen meincr srrengen Maßnahmen gegen den
jungen Mann tn der größten Verlcgcnhcit. Nur
mit der Hoffnung konntc ich mtch trösten, daß eS
mir noch gelingcn würde, irgcnd ein anderes Ver-
brcchen gegen den jungen Mann zu ernritteln, von
welchem die bci ihm gefnndene bedeutende Geld-
summe nvthwcndigerweise herzurühren schtcn. Zch
hatte in allen möglichen Orten, in denen fich der
jungc Mann in der letzten Zrit ausgehalten, nach-
gcfragt, ob dort irgcnd etwas pasfirt sei, aber nir-
gcnds cine befricdigende Rachricht erhalte». Roch
tröstetc ich mich mit dem Umftande, dast au« drei
Ortcn die Antwort fehlte. Die Post, welche am
nächsten Morgen ankam, brachte mlr auch au« dte-
sen letztcn der Orte eine »erneincnde Bntwort. ES
schicn, als hätte fich Alles gegen mich »erschworen.
Mein Kaffec schmeckte mir an jenem Morgen ver-
teufelt schlccht. (Korts. f.)
 
Annotationen