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Heidelberger Volksblatt (4) — 1871

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Nr. 1 - Nr. 8 (4. Januar - 28. Januar)
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ſtündlich ſehe, wie ſein Auge ſich verklärt bei dem Blicke
auf mich, wie ſein ehxwürdiges, ſanftes Antlitz ſich ver-
ſchönt bei ſolchen Blicken —“
„Herr Jeſus,“ ſtammelte der Alte und der Brief
entzitterte ſeinen Händen, „ich gefall' ihr wahrhaftig!“
— Er trat an den Spiegel, liebäugelte mit ſich ſelber
und griff dann wieder nach dem Briefe; es war ein
anderer, der ihm in die Hände gerieth; er las auf der
zweiten Seite, welche ganz friſch beſchriehen war: „Heute
54 mein Väterchen ſich den Kopf erkältet; er hat ja
faſt kein Häärchen mehr darauf; ich habe ſchon an eine
Perücke gedacht, die würd' ihm nicht allein wohlthun,
ſondern ihn auch verjüngen um zwanzig Jahre.“—
„Wahrhaftig, ſie hat Recht, eine blonde Perrücke
muß ich haben,“ rief der Hofrath, die Garnitur Wie-
ner Seidenlocken, die auf dem Nachttiſche lag, an ſeine
»Schläſen haltend und ſein verjüngtes Geſicht im Spie-
gel muſternd. Da bewegte es ſich in der Nähe, er-
ſchrocken warf er das Gelock hin und horchte; es kam
aber Niemand, und nun fielen ſeine Augen wieder auf
die Papiere: er las weiter: „Ich will ihm einſtweilen
von meiner ſchwarzen Sammetpellerine ein Käppchen
ſchneidern; das Maaß ſeines Kopfes hab' ich ihm heut'
ſchon abgeſtohlen, denn mein Geſchenk ſoll ihn über-
raſchen.“
Jetzt wiederholte das Geräuſch ſich, welches ihn vor-
hin geſtört hatte; es war Gottholdens nahender Fuß-
tritt. Der Papa warf den Brief hin und flüchtete ſich

64 ſeinem beſeligenden Geheimniſſe in das entlegenſte
zemach. „Ueberraſchen will ſie mich!“ flüſterte er ent-

zückt. „„Lieber Himmel, es hat ſich ja noch kein Meufch
die Mühe gegeben, mich zu überraſchen, als vor fünf-
zig Jahren zuweilen unſer alter Nachbar, wenn ich ihm
bei ſeinen Weintrauben zu Gaſte kam mit dem ſeligen
lottmer. Und das Engelskind will mich überraſchen!
Aher ſie ſoll auch überraſcht werden; was nur Schönes
aufzutreiben iſt in Breslau, das ſoll ſie haben; die
ganze Weizenladung ſoll darauf gehen für ſie, der ganze
Speicher meinetwegen! Doch an mich muß ich auch El-
was wenden, bin ja Rittergutsbeſitzer, muß alſo Uni-

form tragen und Sporen dazu. Ein paar Ellen neues

Ordensband fehlen mir auch; wofür hab' ich denn das
bübſche Kreuz, wenn ich's nicht tragen will; da ſitzt's
nun an dem guten Frack; hab's nicht anhänden gehabt,
ſeit ich mich trauen ließ mit ihr, für — den da, den
Glückspilz. — Sieh, da kommt er! Nun, ich will ihm
meine Aufträge geben; wenn er mich nur nicht zu ſcharf
anſieht dabei.“ ö ö

(Fortſetzung folgt.)

ſchaft geherrſcht.

als Mitgift — „die Provinz Schleſien.“

Mannichfaltiges.

(Bettlerweſen.) Italien und Spanien ſind von
Alters her das Eldorado der Bettler geweſen, die na-
mentlich in den volkreichen Orten eine förmliche Zunft
bildeten. Im erſteren Lande florirte das Bettlertrei-
ben namentlich in Neapel unter dem Regiment der
Bourbonen und in Rom unter dem Schutze der Prie-—
ſterherrſchaft. Die Polizei dachte nicht daran, dem Bet-
teln irgend welche Schranke aufzulegen; daſſelbe war
vielmehr förmlich privilegirt und hatte nur eine einzige
Gefahr zu beſtehen in der Konkurrenz der Bettelorden.
In Rom, wo die Bettler förmlich organiſirt zu ſein
ſchienen, gilt gegenwärtig — weniagſtens war dies noch
in den letzten Tagen des weiland päpſtlichen Regiments
der Fall — als anerkanntes Oberhaupt und König der
Bettler ein gewiſſer Papo, der ſich ſchon dadurch aus-
zeichnet, daß er keine ſimulirten Gebrechen vorzeigt.
Seine Beine ſind wirklich verſtümmelt nud er muß ſich
deshalb auf den Händen fortbewegen, doch bewahrt er
dabei ein heiteres Temperament. Seinen Standpunkt,
den ihm Niemand ſtreitig machen darf, hat er auf dem
Monte Pincio; er hält ſich einen Eſel, um ſich von ſei-
ner Wohnung hierher zu begeben und am Abend heim-
zukehren. Daß ſein Geſchäft ein einträgliches, bewies
Papo jüngſt bei der Verheirathung ſeiner Tochter, der
er eine glänzende Ausſteuer gab; die beim Hochzeits-
mahl erſchienenen Kollegen des Vaters präſentirten ſich
in prächtiger Kleidung, und ihre Gattinen hatten Pre-—
tioſen aller Art an ſich, von deneu indeß manche viel-
leicht nicht vom Betteln herrührten: zwiſchen Vettlern
und Banditen hat von jeher eine gewiſſe Wahlverwandt-
Nach der Heirath ſeiner Tochter ſchloß
Papo ſelber ein zweites Eheband mit einem jungen, ſchö-
nen Mädchen; um ſich der Treue deſſelben zu verſi⸗—
chern, beſoldet er einen „zuverläſſigen Freund,“ der
als Tugendwächter dienen muß, während Papo die Mild-
thätigkeit der den Monte Pincio beſuchenden Fremden

rege zu machen ſncht. — An Zudringlichkeit und Ver-

ſchmitztheit kommen den römiſchen Bettlern nur die pol-
niſch-jüdiſchen Bettler gleich, welche — jetzt freilich in
geringerer Zahl als ſonſt — die öſtlichen Provinzen
Preußens überſchwemmen. Als einer dieſer Bettler einſt
ſeine Tochter verheirathete, gab er dem Schwiegerſohn
Der
Papa machte nämlich eine Bettlerfahrt durch die Pro-
vinzen Poſen, Schleſien und Brandenburg. Für ſich be-
hielt er nunmehr blos Poſen und Brandenburg, der
Schwiegerſohn ſollte in der Provinz Schleſien in bie
Fußtapfen und die Kundſchaft des Alten treten.
 
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