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Heidelberger Volksblatt (4) — 1871

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Nr. 1 - Nr. 8 (4. Januar - 28. Januar)
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10

und wandte ſich dann der Thür zu; da rief der Va- ömit ſeinem Geſchick und zuletzt auch mit Gottholden,

ter ihm nach: „Höre, ich beſinne mich, alle Fettham-
mel brauche ich doch nicht ſelbſt; verkaufe ſe bis auf
ein Paar.“
„Und zu welchem Preiſe?“ fragte der Sohn.

„Das iſt Deine Sache; ſoll Dein Probſtück ſein.

Wenn ich geſund ſein werde, will ich den Handel prü-
fen, bis dahin ſprich mir kein Wort mehr davon. —
Nun geh!“ ö ö
Blottmer ging; Gottholde ſah ihm traurig nach,
ſie wähnte wie er, daß die Mißlaune des Vaters, die
ſo bitter auf ihren. Anton ſich ergoß, nichts als Folge
ſeines krankhaften Zuſtandes ſei, und weichen werde,
wenn er geneſe; es dünkte ihr daher wohlgethan, die-
ſen Zeitpunkt geduldig abzuwarten und den alten krän-
kelnden Mann durch keine Vorſtellung zu reizen, die
nicht fehlen konnte, einem Vorwurfe zu gleichen, der
ſtatt ihn zu beſänftigen, ihn leicht noch mehr gegen
Anton erbittern dürfte.
Sie beſchloß, wie ſie gewohnt geweſen war, ihrem
Vater zu begegnen, immer freundlich und willſährig in
ſeine Laune ſich zu fügen, und zweifelte nicht, daß An-
ton's dankbares Herz ihn die Geduldprobe werde be-
ſtehen laſſen, welcher die Verſtimmung ſeines Wohl-
thäters ihn unterwarf.
Ebenſo tief wie Gottholde in Gedanken verſunken,
hatte der Vater inzwiſchen den Klang der Spornräder
geprüft, dann Gottholdens Marktgeſchenk vor ſich aus-
gebreitet auf dem Bette, und hub jetzt, das Geſicht
wieder ſüß verziehend, an:
„Holdchen, wirſt Du Dich heute putzen mit dem
Häubchen und mit dem Kragentuche?“
„Ja, lieber Vater!“ antwortete ſie, ihm den Löffel
mit der Arznei reichend. Er ſchluckte, griff nach ihrem
locker umgeſchlagenen Tuche, zerrte es herab von ihren
Schultern und wiſperte:
„Nun komm', nun werd ich Dich putzen.“
Ohne nur auf's Leiſeſte den Geiſt zu ahnen, der
aus dieſen grau bewimperten Augen blinzelte, ſteckte
Gottholde flüchtig das Gewand unter dem Halſe mit
einer Nadel zuſammen; und bog ihren Nacken nieder,
um ſich den leechten Kragen von ihm überwerfen zu laſ-
ſen. Das alte Männchen richtete ſich behend auf und
der Schalk, der in ihm war, ließ, während die linke
Hand mit dem Buſenſchmucke über das geſenkte Köpfchen
hinweglangte, die rechte nach der eben eingeſteckten Na-
del ſuchend umherirren; aber das ſteiſe Genick ſtrafte
den verrätheriſchen Verſuch der tappenden Finger; ein
Schmerz⸗-Seufzer enthuſchte ſeinen Lippen, und nun rich-
tete Gottholde ſich auf. „Väterchen, Sie bewegen ſich
zu heftig, ich will das ſelbſt machen,“ ſo redend, nahm
ſie Haube und Tuch und hüpfte aus dem Zimmer. —
Mit offenem Munde ſtarrte der Papa ihr nach; als
wimmele es uuter ihm von Gewürmen, ſo ſtachelte ihn
das Verlangen, Gottholden zu ſolgen und ihr ſeine hilf-
reiche Hand aufzuzwingen zur Unterſtützung bei ihrem
Geſchäfte; aber die gewaltſame Rückenkrümmung rächte
ein Schmerz, der vom Nacken längs des Rückgraths ſich
herunterzog; er ſank ſtöhnend zurück und maß, hadernd

die ewig langen Minuten. — Jetzt ſchlug es zwölf; jetzt.
halte er faſt anderthalb unerſetzliche Stünden verloren;
jetzt mußte der leidige Störer kommen, dem er in ſinn-
loſer Verblendung ſein Kleinod zugeworfen hatte. Seine
Geduld war erſchöpft; er griff, zürnend wider die ſäu-
mige Gottholde, nach dem Bande, welches ſie Auf dem
Berte hatte liegen laſſen und war im Begriffe, es zu
zerzerren, als er die Thür ihres Zimmers knarren hörte.
Sie kam. Er verſuchte zu maulen mit ihr, aber ſie.
war ſo unbeſchreiblich reizend in ihrem Putze, daß der
Grollblick in ſeinem Auge ſich wider ſeinen Willen ver-
ſüßte. Er ſchmunzelte ſie zärtlich an. „Ach, Engel-
chen, wie ſchön biſt Du!“ wiſperte er, „aber ſieh', was
Du vergeſſen haſt; das Band hier; das muß, zur Schleife
gefaltet, vornen an das Tuch geſteckt werden, komm',
ich ſteck' es Dir an.“
Gottholde zögerte: „Liebes Väterchen, Sie dürfen
und können ſich ja uicht regen.“ — „Ich will es nun
aber,“ rief er mit dem Tone eines eigenſinnigen Kin-
des dazwiſchen; „komm her, ich will es haben.“ — Sie
trat an das Bett; er zog ſie nieder und begann nun
das Band ihr anzuneſteln. Weder fie noch er wurden
gewahr, daß Blottmer, der zur Schonung der Ruhe des
Kranken die Thüren ſehr vorſichtig geöffnet und geſchloſ-
ſen hatte, in dem Eßzimmer ſtehend, Zeuge dieſer Scene
war, und kein Auge von dem launenhaft verzogenen
Angeſicht des Greiſes verwandte, der jetzt ſeine Arbeit
zu Stande gebracht hatte, ſeinen Arm um Gottholdens
Leib fchlang und ſeine Wange feſt an ihre Bruſt lehnte.
Peötzlich fuhr er zurück, denn Blottmer, ungewöhnlich
hart auftretend, durchſchritt das Zwiſchengemach und
ſtand nun, ihn anſtarrend, vor ſeinem Bette. Ihm auf
dem Fuße folgte der Bediente und meldete, daß die
Suppe warte. ö
„Ich komme, über die Wirthſchaft zu berichten,“
hub Blottmer in einem ungewöhnlich kalten Ton an.
„Laß das,“ fiel der Vater ein; „geh', iß und dann —
dann kannſt Du Dir ein Vergnügen machen, auf die
Jagd gehen, ein Häschen ſchießen. — Liebe Gottholde,
lege mir mein Süppchen vor, wir eſſen gemeinſchaftlich
hier, wir Beide.“
Gottholde ging und winkte Blottmer; er blieb noch
einige Augenblicke ſtehen, dann folgte er ilihrr.
„Geh', wenn Du gegeſſen haſt, in mein Zimmer
und harre meiner,“ flüſterte ſie ihm zu, während ſie
die Suppe für den Vater vorlegte, und fügte, ehe ſie
den Teller zu ihm hineintrug, noch hinzu: „Geh' aber.
nicht durch dieſe Thür, ſondern durch Dein Zimmer
in das meinige.“ ö ö ö
(Fortſetzung folgt.)
 
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