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Heidelberger Volksblatt (4) — 1871

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Nr. 1 - Nr. 8 (4. Januar - 28. Januar)
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11

Aus der Speiſekammer von Paris.
— Von Wilhelm Angerſtein.
(Schluß.)

Derſelbe Pavillon 12, wo die „Händler mit gekoch-
tem Fleiſche“ ihren Stand hatten, faßte noch eine an-
dere, nicht weniger intereſſante Klaſſe vvn Handelsleu-
ten, die Brodhändler, die jedoch keinswegs friſche oder
altbackene Brode, ſondern nur Brodabfälle oder Prä-
paräte aus Brodabfällen verkaufen. Die Her-
kuilft dieſer Nährüngsmittel war womöglich noch dunk-
ler als die der oben beſchriebenen Speiſereſte. Der
Brodabfallhändler hatte ſeine eigenen eigenthümlichen Be-
zugsquellen, natürlich wiederum die Dienerſchaft in Re-
ſtaurants und Gaſthöfen, mehr aber noch die Mägde und
Aufwärter in Schulen und Penſionaten. Daß Kinder
im Spiel ihr Brod häuſig vertieren oder wegwerfen, die

Krummen mit den Fingern zu kleinen Kügelchen zuſam-

menballen und dergleichen Allotria treiben, weiß Jeder
aus ſeiner eigenen Jugend. In dem Kehricht einer je-
den Schulſtube liegen zahlreiche größere und kleinere
Brodreſte, dieſe wurden geſammelt und der Händler
aus der Centralhalle kaufte ſie, beſtaudt, beſchmutzt,
feucht oder verſchimmelt, wie ſie waren. Natürlich war
an eine direkte Verwerthung der Abfälle als menſchliche
Nahrungsmittel in dieſem Zuſtande nicht zu denken, aber
der induſtrielle Partſer fand den Weg, der hier einge-
ſchlagen werden mußte. Sämmtliches Materiel wurde
zuerſt ſortirt; die beſten und größten Stücke wurden
dann getrocknet, zerrieben, mit Waſſer zu einem Teig ge-
knetet und abermals gebacken, um ſo die Brodſchnitten,
Würfel oder Sterne zu erhalten, welche theils in Sup-
pen geworfen, theils geröſtet zur Garnirung von Gemü-
ſen gebraucht werden; außerdem wurden die weniger
guten Abfälle in Mörſer geſtoßen und als Streumehl
für Cotelettes, Schinken u. ſ. w. verkauft, während die
allerſchlechteſte Qualität gebrannt und pulveriſirt, und,
gemiſcht mit Honig und ätheriſchen Oelen, zu einem in
Paris ſtark gebräuchlichen, Zahnſchmerz ſtillendes Mit-
tel verwandt wurden.
Wenn die Bevölkerung einer Stadt in dieſer Weiſe
in ruhigen friedlichen Zeiten ihre Nahrungsmittel mit
Raffinement zu vermehren ſucht, dann kann man es ge-
wiß nicht abſonderlich finden, wenn ſie im Falle der
Noth jedes Vorurtheil follen läßt, und zu Mäuſen, Rat-
ten und Katzen greift. Außerdem iſt es bekannt, daß
es in Paris Menſchen giebt, die Jahr aus Jahr ein da-
von leben, daß ſie Katzen⸗ und Rattenjagd treiben, wie

man ſagt, freilich nur um die Felle zu gewinnen, aber.

ich möchte bezweifeln, daß das Fleiſch der Thiere fort-
geworfen wird. ö ö
Uebrigens iſt es eine Erfahrung, die bei uns eben
ſo oft gemacht werden kann, wie in Paris oder irgendwo
anders: wenn man ſich den Appetit verderben will, muß
man in die Küche gehen. Und uun, wenn man gar
erſt einmal die Stoffe genau unterſucht, die in fertigem
Zuſtande zur Verwendung in der Küche angekauft wer-

mentlich der friſchen, dürfte doch

den, — wie viel iſt da gefälſcht, mit ungenießbaren, ja
mitunter mit ſchädlichen Dingen vermiſcht! Wer das Al⸗—
les wüßte, würde entweder nichts mehr, als in der Schaale
geſottene Eier genießen wollen, oder er würde das Ge-
fühl des Ekels auf ewige Zeiten unterdrücken müſſen.
Um übrigens auf die Pariſer Centralmarkthallr zu-
rückzukommen, ſo iſt zunächſt zu bemerken, daß dieſelbe

von einer Maſſe einzelner Gebäude gebildet iſt und, im

Jahre 1851 angelegt, fortdauernd durch Ergänzungsbau-
ten vergrößert wird. Bei einem Beſuche darin fand
man ſtets nicht allein die gewöhnlichen Lebensmittel,
ſondern in rieſigen Quantiläten überhaupt Alles, mas
die Fleiſch, Gemüſe-, Fiſch⸗, Geflügel⸗ u. ſ. w. Märkte
ſonſt bieten. Die „Damen der Halle“ ſpielten dort al-
kerdings eine Rolle, aber keine ſo hervorragende, wie
man vielleicht glauben möchte. Der Grund davon war,
daß in der Centralhalle neben dem Detailhandel viel
Engros⸗Geſchäfte getrieben wurden, während jene Da-
men uur dem erſteren obtiegen, der ſeine Alleinherrſchaft
auf den kleineren Märkten der einzelnen Stadttheile auf⸗—
geſchlagen hatte.“ ö
Das Bild, welches die einzelnen Pavillons der Cen-
tralhalle zeigten, war ein ungemein abwechslungsvolles
und lebendiges. Pavillon Nro. 7. enthielt z. B. den
Blumenmarkt, das heißt fortwährend einen reizenden
Flor von Roſen, Levkoyen, Narziſſen, Lilien, Kamelien,

Tulpen, kurz die blühenden Frühlingskinder der Gar-

tenkunſt. Ein friſcher, lieblicher Duft durchwehte dieſe-
Räume, in denen zugleich die üppigſten Früchte der Obſt-
baum⸗-Kultur zu finden waren. Düfte, wenn auch viel
weniger angenehme, man würde ſie mit Recht mephi-ͤ
tiſche genannt haben, beherrſchten auch deu Pavillon Nro.
4, wo lebendes Federvieh aller Art, Kanincher, Lämmer
u. ſ. w. zum Verkaufe ausgeſtellt waren. Die täglich
hier zuſammengebrachten Vorräthe konnte man allein
ſchon für ausreichend halten, um Paris eine ganze Woche
lang mit Fleiſch zu verſorgen, und doch wurden ſie
bei weitem durch die Ouantitäten übertroffen, welche
die eigenrliche Fleiſchhalle, Pavillon Nro. 3, enthielt.
Man hat die Centralmarkthalle „die große Spei-
ſekammer von Paris“ genannt und nicht mit Un-—
recht, denn der größte Theil ſämmtlicher Nahrungsmit-
tel, welche in der Rieſenſtadt verzehrt werden, nahm

ſeinen Weg durch dieſe Räume. Wie mag es nun heute

wohl darin ausſehen? Die Menge der Vorräthe, na-
weſentlich gerin⸗—
ger geworden ſein, und an Stelle des Wildprets
wird vermuthlich die Katze und die Ratte feilgeboten
werden. Sonſt ſandte ganz Frankreich, Deutſchland, Ita-
lien, Spanien ſein Kontingent in dieſe Hallen, die Meere
lieferten Seefiche, Auſtern und Muſcheln, die Levante

ihre vortrefflichen Artikel. — Alles fand man hier was

der Magen nur wünſchen kann! Und jetzt: Paris iſt
ſeit drei Monaten belagert, das friſche Fleiſch wird je-

dem Einzelnen rationenweiſe zugewogen, ſchwelgen kann
Niemand mehr und wenn's noch lange dauert, hören wir

nachher, daß in Paris die gourmandise ein unbekann-
ter Begriff geworden iſt.
 
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