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Heidelberger Volksblatt (4) — 1871

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Nr. 26 - Nr. 34 (1. April - 29. April)
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16

kläre brauche. Die Zeitunge ſinn jo voll genug davun.
Die Sach, um die ſich's handlt, iſſ iwerigens ſo ern-
ſchter Natur, daß aach mir ſe heit emool ausnahms-
weis in d'r hochdeitſche Schbraach behandle kenne. Ich
ſag alſoꝛ: ö
„Beherzigen wir Alles, ſo müſſen wir geſtehen, daß
wir auf dem falſchen Weg ſind; die Rückkehr zu den
erſten von Jeſus gegebenen Grundlehren, die wir vor
kanoniſchen und dogmatiſchen Auslegungen nicht mehr
kennen, iſt daher geboten; dieſe einfache, ſchöne, unver-
ſtümmelte Lehre allein ſoll die Grundlage zu unſerer
Vereinigung abgeben, nicht die hierarchiſche Kirche,
welche das Uebernatürliche über das Natür-
liche ſetzen will. ö
Immerhin iſt es auffallend, daß die Jünger Jeſu
das Reich Gottes ſchon zu deſſen Lebzeiten nach dama-
ligen jüdiſchen Begriffen auffaßten, wos die Frage be-
weiſt: wer der Größte unter ihnen ſei, eine
Frage, die ſchon den Keim alles Deſſen in ſich trägt,
was wir jetzt entwickelt vor uns ſehen, eine Frage, die
in Folge einer ſo klaren, deutlichen und jedes Mißver-
ſtändniß beſeitigenden Antwort Chriſti gar nicht wieder
hätte angeregt werden dürfen, die aber jetzt im 19.
Jahrhundert, wie wir ſehen, wieder neuerdings im
großen Maßſtabe aufgetaucht iſt.
Darum zurück zum Chriſtenthum; die oft unſinni-
gen Bibelauslegungen müſſen beſeitigt, die falſchen Ur-
kunden als Quellen vernichtet werden. Die Alt-Chriſten
verſammelten ſich, um geiſtliche Lieder zu ſingen, der
von der Gemeinde gewählte Vorſteher las aus den hei-
ligen Büchern vor — ſie aßen von dem Brode und
tranken aus einem Kelch zum Andenken an Jeſus.
Die Alt⸗Chriſten belehrten die Ihrigen über Religion
und moraliſche Pflichten, aber ſie kannten keine Dog-
matik, keine Ceremonien. Die Einfalt der Urchriſten
hat in der That etwas Rührendes, wenn gleich bald
auch Schwärmer zu Tage kamen, die vergaßen, daß der
Schöpfer den Menſchen mit Vernunft begabt auf die
Welt ſetzte, um hier zu wirken. Die Alt-Ehriſten her-
vorgegangen aus dem Judenthum und Heidenthum,
konnten ſich aber von den früheren Ideen nicht ganz
losſagen, daher auch der Ceremonialdienſt wieder all-
mälig in Flor kam, welcher in der Lehre Jeſus nicht
enthalten iſt. Aber dieſe ſelbſt wurde leider immer
mehr und mehr vergeſſen, denn ſie ſagt: Prüfet Alles
und behaltet das Gute und derzeit heißt es: Glau-

bet was ich Euch ſage, oder Ihr ſeid ver-

dammt!
So gut das alte Teſtament und der Talmut Ein-
heit unter den Juden, der Koran unter die Moslims
brachten, ſo gut könnte auch das neue Teſtament Ein-
heit unter die Chriſten bringen. Aber ſtatt die Lehren
des erhabenen Lehrers zu befolgen, welche auf Moral
und Tugend ruhen, befaßte man ſich mit anderen Din-

gen, die zu nichts weniger als zur Religion führten.

Die ſpätere Zeit machte aus der ſchönen Lehre ein
ſpitztindiges Glaubensſyſtem, was zu vielen Zäukereien
und zu den verſchiedenen Sekten führte, die ſich gegen-
ſeitig tödtlich haßten, wogegen doch das Gebot ſagt:

Liebet euch unter einander! — So ging der

Segen, welchen das Chriſtenthum bringen ſollte, unter,
denn ſie lehrten ſolche Lehren, die nichts ais Menſchen-
gebote ſind. ö
Die Schrift weiſt nach, daß Jeſus an eine Sonde-
rung der geiſtlichen Lehrer und Laien nicht dachte. Er
wollte keine Leviten des Judenthums, ſondern Lehrer
der Moral, die weder glänzen noch herrſchen ſollen
(Math. 10, 9—20. 25); er wollte auch keine Oberhir⸗—
ten im modernen Sinn, denn er betonte ſtets die
Gleichheit Aller. Papſt kommt von papas (griechiſch)
der Vater und war in der griechiſchen Kirche die Be-
zeichuung für alle, namentlich höhere Geiſtliche. In
ſolcher Weiſe wurde dieſes Wort im 2. Jahrhundert

in die abendländiſche Kirche gebracht. Gegen Ende des

5. Jahrhunderts flug letztere an, dem Biſchof von Rom
vorzugsweiſe den Titel Papas beizulegen, indeſſen
blieb derſelbe noch bis in's 10. Jahrhundert ein allge-
meiner Ehrenname jedes Biſchofes. Erſt Gregor VII.
machte 1075 Papa oder Pabſt zum ausſchließlichen Ti-
tel des römiſchen Biſchofs, indem er befahl: ut papae
nomen unius sit in orbe christiano, d. h., daß nur Ei-

ner Papſt heiße in der Ehriſtenheit.

Wie kommen wir nun aus dieſem Labyrinth he-
raus? Nur durch Rückkehr zum Urchriſtenthum. Der

Kampf, der jetzt auf kirchlichem Gebiete entbrannt iſt,
er muß nun ausgefochten werden und wo Männer wie

Döllinger in denſelben eintreten, da mag man über-
zeugt ſein, daß er auf eine der Sache würdige Weiſe
geführt wird. Treten wir alſo heraus aus unſerer
Gleichgültigleit, die ärger iſt als Abtrünnigkeit, und
ſchließen wir uus dem Führer an, der in ſo maßvoller
Sprache die Wahrheit zu Tage gefördert hat. Erklä-
ren wir ſeine Sache als die unſere, nur ſo werden
wir wieder die reine Ur-Kirche finden, welche vor lau-
ter Dogmen unkenntlich geworden iſt, die ſich gleich
Schmorozerpflanzen um die erhabene Idee des
Chriſtenthums ſchlingen und die edelſten Triebe
desſelben und jede höhere Gottidee in ihrer Geburt zu
erſticken drohen. Kämpfen wir daher für die Er-
haltung und Fortpflanzung der wahren Glaubens-
lehren. ö

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